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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

niemals gelungen, derselben ansichtig zu werden, und andere wißbegierige Touristen versichern dasselbe.

F. Warnecke in seinem unter den Auspicien des deutschen Kronprinzen und unter Beihülfe der preußischen Regierung herausgegebenen Prachtwerke, welches den Titel führt: „Heraldisches Handbuch für Freunde der Wappenkunst, sowie für Künstler und Gewerbetreibende bearbeitet und mit Beihülfe des König. Preuß. Cultusministeriums herausgegeben von F. Warnecke, mit 313 Handzeichnungen von C. Doepler und sonstigen Abbildungen in Lichtdruck von C. A. Starke“ (2. Auflage. Görlitz 1880[WS 1]), giebt uns eine Abbildung der alten Kaiserkrone, welche in der Wiener Schatzkammer verwahrt wird. Er bemerkt dabei jedoch ausdrücklich, der Künstler habe nicht nach dem Originale gezeichnet, „welches wohl selten Jemand zu Gesicht bekommen habe“, sondern nach der bildlichen Darstellung, welche sich in dem alten Wappenbuche des Conrad von Grünberg vom Jahre 1483 vorfinde.

Krone des heiligen römischen Reichs deutscher Nation.

Nach dieser Darstellung ist denn auch die Abbildung gezeichnet, welche wir hier den Lesern der „Gartenlaube“ geben.

Danach besteht die Krone in einer runden Kappe, umgeben von acht goldenen Schildern, welche unten eine gerade und oben eine halbkreisförmige Linie haben und im Ganzen ein Achteck bilden. Vier davon sind mit Bildern in Email und die vier andern mit Perlen und Edelsteinen geziert, und zwar so, daß die Perlenschilder und Emailschilder mit einander abwechseln. Diese Kappe, oder richtiger das sie bildende Achteck, ist mit einem Bügel überspannt, an dessen vorderem Fuße sich ein aufrecht stehendes Kreuz befindet, welches sich darnach über der Stirn des Gekrönten emporhebt.

Als die Kriegsstürme der Franzosenzeit vorüber waren und die freie Reichsstadt Nürnberg, nachdem man sie mediatisirt und dem Königreiche Baiern zugetheilt hatte, wieder etwas zu Kräften und zum Selbstbewußtsein gelangt war, meldete sie sich 1824 bei dem Kaiser von Oesterreich, indem sie die Reichskleinodien herausverlangte und vorstellte, dieselben seien ihr seit dem Jahre 1424 zur Aufbewahrung anvertraut gewesen, dieser Hinterlegungsvertrag sei niemals erloschen, auch seien ihr die Reichskleinodien niemals auf rechtliche Weise entzogen; wenn man dieselben, ohne Nürnberg zu fragen, vor Kriegsgefahr nach Wien geflüchtet, so sei dies selbstverständlich nur in vorübergehender Weise geschehen und mit dem Vorbehalte, sie nach vorübergegangener Gefahr nach dem Orte, von wo man sie entnommen, zurückzubringen (ad locum unde zu restituiren), die Gefahr sei nunmehr gänzlich beendigt, und mache daher Nürnberg sein Aufbewahrungsrecht auf’s Neue geltend.

Allein der Kaiser (früher als deutscher Kaiser Franz II., jetzt als österreichischer Kaiser Franz I.) ließ der guten Stadt Nürnberg sagen: Früher sei sie allerdings eine freie Reichsstadt gewesen und als solcher habe ihr jenes Aufbewahrungsrecht zugestanden, allein jetzt sei sie mediatisirt und nur eine gemeine baierische Stadt, wie jede andere auch, sie könne daher die öffentlichen Rechte und Privilegien der vormaligen freien Reichsstadt nicht für sich reclamiren; sie könne dies auch nicht im Namen des „Römisch-deutschen Reichs“, denn dies Reich habe aufgehört zu existiren.

Der Kaiser bestritt also der Stadt Nürnberg jede Legitimation zur Sache und hatte daher auch keine Ursache, sich über sein eigenes Recht auszulassen.

Ueber letzteres ließe sich streiten.

Rechtlich war vormals das römisch-deutsche Reich der Eigenthümer der Krone nebst Zubehör. Der jeweilige Kaiser war nur der Nutznießer oder Gebrauchsberechtigte (der beneficiatus). Er wurde damit gekrönt, er durfte sie bei den herkömmlichen Gelegenheiten öffentlich tragen, aber über das Eigenthum daran konnte er nicht verfügen. Er konnte sie weder veräußern noch verpfänden. Das Eigenthumsrecht des Reiches stand über seinem Gebrauchsrecht.

Wenn Kaiser Franz die Krone und die Insignien von 1796 bis 18006 in Besitz hatte, so geschah dies nur im Namen des noch bestehenden deutschen Reichs und nicht in eigenem Namen. Ebenso wenig konnte er 1806 durch Niederlegung der Krone die Krone erwerben; er konnte sich nicht aus einem Inhaber kraft staatlicher-öffentlicher Gewalt in einen Privateigenthümer verwandeln.

Auf der andern Seite aber ist es schwer, Jemanden zu finden, der legitimirt wäre, die Krone nebst Zubehör dem österreichischen Herrscherhaus abzuverlangen.

Das jetzige deutsche Reich ist etwas ganz Anderes, als das alte „Heilige römische Reich“. „Leider“, sagen die Einen, „Gott sei Dank“, die Andern. Die Ersteren bilden nur eine kleine Minorität.

Abgesehen davon, daß das Gebiet und die Verfassung ganz anders geworden, ist auch der Charakter des Reichs nicht mehr derselbe. Das alte römische Reich strebte nach Universalherrschaft und zwar unter Anderem auch mit theokratisch-hierarchischen Mitteln. Das neue deutsche Reich verschmäht solche Mittel und setzt seinen höchsten Stolz darein, ein geschlossener Nationalstaat zu sein, und nicht ein kosmopolitischer Allerweltsstaat. Dies ist namentlich auch bei der Erwägung über das Wappen des neuen Reichs hervorgehoben worden.

Der Freiherr von Köhne in St. Petersburg, der, obgleich ein hoher russischer Beamter, nicht ganz vergaß, daß er von Herkunft ein Deutscher ist, sagt in seiner heraldischen Abhandlung „Vom Doppeladler“ schon im Jahre 1871: „Nun ist unter den Mauern von Paris durch Fürsten und Volk ein neues Deutsches Reich geschaffen worden. Welch ein Wappen hat dasselbe anzunehmen? An den alten Doppeladler mit Heiligenschein darf man nicht denken, denn dieser gebührte dem römisch-deutschen Kaiser; mit Italien hat aber Kaiser Wilhelm nichts zu schaffen.“

Aehnlich sagt Friedrich Karl Fürst zu Hohenlohe-Waldenburg in seiner Abhandlung über den Doppeladler: „Was Deutschland Noth thut, ist die einheitliche Leitung. Diese soll auch im neuen Wappen ausgedrückt werden. Mit dem verderblichen Dualismus ist auch der Doppeladler gefallen!“

Noch treffender und schärfer hät sich darüber der berühmte Staatsrechtslehrer Dr. Hermann Schulze, Professor in Heidelberg und preußischer Kronsyndikus, ausgesprochen. Er sagt:

„Die Continuität unseres Kaiserthums ist eine geschichtliche Thatsache, kein juristisches Princip. Im staatsrechtlichen Sinne ist das Reich, die Kaiserwürde von 1871 eine völlige Neuschöpfung. Es wäre eine bedenkliche Verirrung, wenn man unser nationales Kaiserthum vom 18. Januar 1871 als eine staatsrechtliche Fortsetzung des am 6. August 1806 zu Grabe getragenen römischen Kaiserthums ansehen wollte. Könnte ein starrer Legitimist nicht etwa behaupten wollen, die ganze Aufhebung des römischen Reichs im Jahre 1806 sei illegal, sei eine Revolution gewesen, die Zeit von 1806 bis 1871 nichts als ein Interregnum? Könnte man dabei nicht etwa so weit gehen, zu sagen: die Majorität der neun Kurfürsten (wobei Böhmen, als ausgeschieden, nicht mitgerechnet wird), Pfalzbaiern, Sachsen, Brandenburg, Württemberg und Baden habe den neuen Kaiser reichsconstitutionsmäßig, wenn auch mit einigen unvermeidlichen Formfehlern, erwählt?

An Velleitäten dieser und ähnlicher Art wird es in manchen Kreisen nicht fehlen. Schon berufen sich Aachen und Frankfurt am Main auf die Ehre, die Krönungsstadt zu sein. Könnten sich nicht die Bischöfe des Rheins auch wieder darum streiten, wem das Vorrecht zustehe, den Kaiser zu krönen und zu salben, könnte sich nicht vielleicht ein ehrgeiziger Prälat auf dem Stuhl zu Mainz daran erinnern, daß der Moguntinus ‚des Reiches Erzkanzler durch Germanien‘ war?

Es wird darauf ankommen, mit sicherem Tacte gleich von vornherein alle derartigen Restaurationsgedanken zurückzuweisen. Selbst jede Anknüpfung an die veraltete Krönungsceremonie der römischen Kaiser wäre ein folgenschwerer politischer Fehler. Abgesehen von den zu befürchtenden Rang- und Etiqettestreitigkeiten, diesen wunderlichen Auswüchsen unserer ehemaligen Reichswirthschaft, machen unsere confessionellen Verhältnisse in Deutschland jeden Krönungsact im alten Stile unmöglich. War es schon den alten Reichspublicisten bedenklich, ob ein Protestant zum Kaiser gewählt und gekrönt werden könnte, so ist es hente geradezu undenkbar, daß ein evangelischer Kaiser consecrirt werde in der Bartholomäuskirche zu Frankfurt von den Händen katholischer Bischöfe. Eine specifisch evangelische Kirchenfeier würde ebenso den Charakter der Einseitigkeit tragen und nach der anderen Seite

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage (Satzfehler): 1808
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_254.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2021)