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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Der deutsche Reichsadler und die deutsche Kaiserkrone.

Eine historisch-politische Plauderei von Karl Braun-Wiesbaden.
Erstes Capitel.

Nachdem das deutsche Reich an die Stelle des Norddeutschen Bundes getreten war und der König von Preußen, der bisherige Schirmherr des Norddeutschen Bundes, von den Regierungen und der Volksvertretung des neu geeinigteu Deutschland als „deutscher Kaiser“ proclamirt worden war, wurde durch kaiserlichen Erlaß vom 3. August 1871 das kaiserliche Wappen und die kaiserliche Standarte festgestellt. Der deutsche Reichsadler wurde neu geboren. Da aber die Heraldik und die Wappen-Wissenschaft heutzutage nur noch von einer geringen Anzahl deutscher Reichsbürger cultivirt wird, so bestehen bei vielen, sonst wohl unterrichteten Deutschen noch mancherlei Irrthümer hinsichtlich des Reichsadlers und des kaiserlichen Wappens, und diese Irrthümer führen zuweilen sogar zu Collisionen.

Ich erinnere mich, daß alsbald nach Aufrichtung des deutschen Reichs in Berlin einige Geschäftsleute, welche den Titel „Königl. Hof-Lieferant“ oder „Königl. Hof-Photograph“ etc. führten, und mit Recht führten, in einen Rechtsirrthum bezüglich der nunmehrigen Qualification dieses Prädicats verfielen und in Folge dessen sich „Kaiserlich und Königlich“ nannten und den preußischen Adler mit dem Reichsadler vertauschten. Sie wurden gezwungen, diesen Schritt rückgängig zu machen und den früheren Zustand ihrer Geschäftsschilder wiederherzustellen.

Auch in der Gegenwart sind einem neuen Theater in Berlin, welches, da es sich als „Deutsches Theater“ bezeichnet, es für zweckmäßig hielt, sich auch des deutschen Reichsadlers zu bedienen, daraus Schwierigkeiten entstanden, und es schweben, so viel ich weiß, heute noch Verhandlungen darüber, ob und inwieweit dieser Musentempel berechtigt ist, das Reichswappen oder den Reichsadler zu führen.

An diese praktischen Streitfragen reihen sich theoretische Irrthümer.

Der deutsche Reichsadler.

Viele glauben, die Erhebung des Königs von Preußen zum „deutschen Kaiser“ komme einer Wiederherstellung des alten „heiligen römischen Reiches deutscher Nation“ gleich, wie solches bis zum 6. August 1806 bestand, an welchem Tage Kaiser Franz II. durch eine feierliche Abdicationsacte die „Römisch-Deutsche“ Kaiserkrone niederlegte, das Band, welches ihn bisher an den Staatskörper des Reichs gebunden, für gelöst und die reichsoberhauptliche Würde nebst all ihren öffentlichen Befugnissen und Verpflichtungen für erloschen erklärte, und alle Kurfürsten, Fürsten und sonstigen Reichsstände, sowie alle Reichsangehörigen, die Richter der Reichsgerichte mit inbegriffen, von ihren Pflichten gegen das Reichsoberhaupt entband, indem er zugleich mit seinen sämmtlichen deutschen Erblanden, mit welchen er bisher dem deutschen Reichsverbande angehört hatte, aus demselben ausschied.

Ja, es sind sogar seiner Zeit Stimmen laut geworden, welche verlangten, Oesterreich solle die alten Reichs-Insignien, welche sich seit 1796 noch in seiner Bewahrung befinden, an das jetzige deutsche Reich herausgeben, und eine diplomatische Action in diesem Sinne begehrten, die aber, wie mir scheint mit Recht unterblieben ist.

Endlich kennen auch Viele nicht den Unterschied zwischen dem jetzigen Reichswappen und dem alten – ein Unterschied, welcher keineswegs nur auf heraldische Spitzfindigkeiten hinausläuft, sondern seine historisch-politische Bedeutung hat.

Unter diesen Umständen dürfte es nicht unzweckmäßig erscheinen, das Capitel vom deutschen Reichsadler und von der deutschen Kaiserkrone, welches bisher nur in staatsrechtlichen und heraldischen Fachblättern behandelt worden ist, in einer in den weitesten Kreisen verbreiteten volksthümlichen Wochenschrift, wie die „Gartenlaube“, zu erörtern, um den Sachverhalt aufzuklären, Irrthümer zu widerlegen und Mißverständnisse zu beseitigen.

Zu diesem Zwecke geben wir zunächst eine genaue bildliche Darstellung des „Reichsadlers“, wie solcher durch kaiserlichen Erlaß vom 3. August 1871 festgestellt worden ist. Zur Erläuterung des Bildes fügen wir hinzu:

Während der alte Reichsadler zwei Köpfe hatte, von welchen der eine nach rechts und der andere nach links sah, hat der neue nur einen Kopf, und dieser Kopf sieht nach rechts. Die Doppelköpfigkeit des alten Reichsadlers ist erst in späteren Zeiten entstanden. Ursprünglich war auch der alte nur einköpfig. Später aber scheint man zwei Köpfe für schöner und majestätischer gehalten zu haben. Denn auch den russischen Adler hat man mit zwei Köpfen ausgestattet. Alle alten Reichs-Publicisten haben die Doppelköpfigkeit entweder damit erklärt, daß der eine Kopf das römische Regiment, das Imperium Romanum, der andere das deutsche Regiment, das Imperium Germanicum, bedeute; oder sie haben die zwei Köpfe als ein Symbol der Wachsamkeit gepriesen, indem der Adler ausschaue nach allen Seite. Böswillige meinten, der Hauptkopf sehe nach dem österreichischen Haus- und der andere nur so ganz beiläufig nach dem Reichs-Interesse, Jener schaue donauabwärts, nach Belgrad, indem er die Rathschläge des Prinzen Eugen von Savoyen, des edlen Ritters, befolge, Dieser schaue donauaufwärts und rheinwärts, nach Frankfurt am Main, indem er die Rathschläge des Fürsten Metternich befolge. Doch das gehört für uns heutige deutsche Reichsbürger der Vergangenheit an. Wir sind zufrieden, wenn unser jetziger Reichsadler nur einen Kopf hat. Wir halten das für richtig, nicht nur in zoologischer, sondern auch in politischer Hinsicht.

Der jetzige einköpfige rechtsblickende schwarze Reichsadler hat rothen Schnabel, rothe Zunge und rothe Klauen oder „Fänge“. Man nennt das die „Waffen“ des Wappenthieres.

Der alte Reichsadler war (an beiden Köpfen) roth gezunget. Dagegen hatte er goldene Schnäbel, goldene Kronen und goldene „Fänge“. Der russische Adler dagegen ist wie der unserige roth geschnäbelt, roth gezunget und roth gefänget.

Der jetzige Reichsadler hat nicht auf seinem Kopfe eine goldene Krone sitzen, sondern es schwebt über dem Ganzen die sogenannte „Krone Karl’s des Großen“, gegen welche man antiquarische und heraldische Einwendungen erhebt, welche ich für meine Person für begründet halte. Ich will dieselben jedoch hier

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_233.jpg&oldid=- (Version vom 16.8.2020)