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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Sie liebt ihren Salvatore – heißer und grenzenloser als je zuvor; und gerade weil das Alles sie so erfüllt und so von Grund aus bewegt, gerade deshalb ist sie so ernst und so still! O, ich verstehe mich besser auf die Deutung der Mienen! Dafür haben wir die beiden dänischen Maler im Haus – ja wohl, Silvio – und ob Ihr sie Ketzer scheltet, sie sind gute, freundliche Männer, die Unsereinem Manches erklären, und nicht immer an’s Küssen denken, wie die jungen Leute von Capri.“

Der Fischer zuckte die Achseln.

„Du bist auch so Eine, Giulietta, die vor lauter Klugheit nicht sieht, was der Himmel ihr dicht vor die Füße legt! Treibt’s wie Ihr wollt – mir soll’s recht sein! Um die Maria aber ist’s schade, und ich bleibe dabei, sie ist unglücklich, mag sie noch so verliebt sein!“

Die letzten Worte waren halb in den Bart gemurmelt. Das Marktschiff hatte sich in mächtiger Schwenkung quer vor das Ufer gelegt, und alsbald war ein Dutzend Kähne zu dem Fahrzeug herangerudert, um zunächst die Passagiere, dann auch die mannigfaltigen Waaren an’s Gestade zu bringen.

Der Erste, welcher den Boden der Felseninsel betrat, war augenscheinlich ein Nordländer. Er trug einen modischen Tuchrock mit dem schweren kummtartigen Kragen, wie er damals im Schwange war, hohe Stiefel mit gelben Umschlägen und einen breitkrämpigen Filzhut. Trotz dieser sorgfältigen Toilette machte er den Eindruck fröhlicher Ungebundenheit und Naturwüchsigkeit.

Giulietta begrüßte den Ankömmling mit offener Herzlichkeit.

„Das freut mich, daß Ihr uns Wort gehalten, Signor Gustavo!“ sagte sie, ihm die Hand bietend. „Aber ich wußte es ja: Ihr taugt nicht in den Lärm der Toledo-Straße. Hier in Capri, in Eurem traulichen Stübchen, wo Ihr sinnen und malen könnt, ohne daß Euch das Rädergerassel die Staffelei erschüttert – das ist der rechte Ort für Euch – und ebenso für den werthen Herrn Bruder, der’s auch nicht mehr lange treiben wird in Palermo! Es ist ein Brief von ihm da; er schreibt gewiß, daß er vor dem Ersten noch aufbricht. Nein, wie gut Ihr ausseht, Signor Gustavo! Wahrhaftig, so stolz und so vornehm – aber im Leinwandkittel und vollends in der betreßten Sammetjacke gefallt Ihr mir doch hundertmal besser, als so im Herren-Costüm, – und das meint auch die Mutter.“

„Sehr verbunden,“ lachte der Däne, nach der mittelgroßen Männergestalt umschauend, die hinter ihm aus dem Kahne getreten war. „Einstweilen – hier, mein lieber Cesari, das ist Giulietta, die Tochter unserer gütigen Wirthin – matre pulchra filia pulchrior – also, was ich bemerken wollte: wie steht’s, Giulietta? Kann dieser Herr – ein Freund von mir – im Haus Deiner Mutter für acht Tage Logis bekommen? Er ist Avvocato am königlichen Gerichtshofe von Neapel und hat sich während der letzten Monate etwas zuviel gethan. Im Albergo zu wohnen, wäre ihm unerwünscht.“

„O, das wird sich schon machen,“ versetzte Giulietta. „Wenn der Herr fürlieb nehmen will ... Zunächst haben wir ja das Stübchen des Signor Frederik, – und wenn der wirklich in Kürze von Palermo zurückkehrt, so räum’ ich dem Signor Avvocato das meinige ein: ich wohne dann in der Küche.“

„Ihr seht,“ wandte sich Gustav an seinen Begleiter, „daß hier durchaus die Idylle herrscht. Procul negotiis – das läßt sich im Hause der braven Pamela auskosten, wie nirgends im Bereiche der Insel. Ihr sollt’s mir noch danken! Wahrhaftig, Ihr seht blaß aus, Signor Cesari, recht angegriffen und blaß! Und wenn man obendrein sich nun sagen muß, daß Euch die letzte Affaire mit der vermeintlichen Giftmischerin keine durchlöcherte Uncia eingetragen, sondern im Gegentheil Euch noch gutes, gemünztes Gold dazu gekostet, so wäre man wirklich versucht, Euch einen Thoren zu nennen, erlaubte dies die Bewunderung, die Eure Selbstlosigkeit einflößt.“

Antonio Cesari wiegte langsam den Kopf. Ein schmerzliches Lächeln spielte um die geschlossenen Lippen.

„Ihr wißt ja ...“ sagte er leise.

Giulietta war inzwischen vorausgeschritten. Die zwei Männer folgten ihr, von einem halbwüchsigen Burschen begleitet, der das geringe Gepäck trug.

„Ja, ich weiß,“ versetzte der Däne, an der Biegung des steilen Weges Halt machend und sich mit dem Taschentuche über die Stirn fahrend – „ich weiß, was Ihr damals schon in Pisa Euch zugeschworen! – Ein hochherziges Gelöbniß – einzig in seiner Art. Dennoch – das sind jetzt beinahe zwölf Jahre her, und ich dachte –“

„Was?“ fragte Cesari.

„Nun, die überschwängliche Jugend gelobt so Vieles ... Ich war dennoch erstaunt, als ich jetzt in Erfahrung brachte, wie eifrig und rückhaltslos Ihr erfüllt, was Ihr Euch vorgeuommen.“

„Ihr habt Euren Vater niemals gekannt,“ sagte Cesari – und seine Stimme zitterte. „So könnt Ihr, trotz aller Lebhaftigkeit Eurer Phantasie, nicht vollständig nachfühlen, was das Herz des Sohnes bewegt, der den verehrtesten und geliebtesten Mann unschuldig leiden sieht, – verurtheilt zu schmachvoller, entsetzlicher Strafe und jener Verzweiflung überantwortet, die da Hand an sich selbst legt! Ich war fast noch ein Kind, aber Nichts von alledem, was uns damals durchwühlt und erschüttert hat, ist mir im Lauf der Jahre verblaßt! Jede Minute dieser entsetzlichen Zeit schwebt mir noch vor, als hätt’ ich sie eben jetzt erst durchlebt ... Und damals schon, da Alle an dem Verrathenen zweifelten, nur ich nicht, der ich ihn kannte wie mich selbst, – damals schon leistete ich mir den Schwur: wenn seine Unschuld dennoch an’s Tageslicht käme, solle mein ganzes zukünftiges Leben Denen geweiht sein, die das Gesetz mit seinem Zorne verfolgt, den Verlornen, die – man sage mir, was man wolle – fast ohne Ausnahme den Haß und die Entrüstung der Gesellschaft in geringerem Grade verdienen, als die Pharisäer sich träumen lassen!“

„Aber Ihr erzähltet mir doch ...“

„Ich verstehe Euch,“ gab Antonio Cesari zurück. „Jenes Gelöbniß war wie ein Opfer, das ich dem Himmel anbot, wenn er den Beschuldigten retten wolle! Späterhin – seht Ihr, Signor Gustavo ... ich dachte: in so heiligen Dingen soll der Mensch nicht drehen und deuteln! Die Unschuld kam ja wirklich zu Tage, wenn auch erst, nachdem das Fürchterliche geschehen war ... Ja, ja, ich mußte da Wort halten ... Oder – daß ich’s ehrlich bekenne: als nun das Schicksal uns so grausam zermalmt hatte, da war es für mich kein Opfer mehr; – im Gegentheil: mein einziger Trost! Ich wollte Rache nehmen an der bethörten Gesellschaft, und die Rache sollte des Mannes, den es zu rächen galt, würdig sein. Nichts aber fand ich, was mir höher erschienen wäre und edler ...“

„Ihr regt Euch auf, theurer Freund,“ sagte der Däne. „Verzeiht, daß ich so unbedacht war, diesen Punkt gerade jetzt zu berühren, da Ihr im Begriff steht, Euch zu erholen. Blickt lieber hinaus über den lechtenden Golf, oder zerstreut Euch im Genuß des farbigen Bildes, das da unten am Strande wimmelt! Wahrhaftig, diese capresischen Fischer sind noch echte Naturmenschen, – trotz der goldverstreuenden Briten, die von Jahr zu Jahr zahlreicher über die Bucht schwimmen. Und die Mädchen sind so frisch und so blühend – halb hellenischer Typus, wahre Perlen für Unsereinen. Nach Giulietta freilich müßt Ihr nicht urtheilen: die gleicht mehr den Napoletanerinnen. Aber saht Ihr nicht, als wir ausstiegen, rechts in der Gruppe die Dunkeläugige mit der Rose im Haar? Zingarella heißt sie bei ihren Gespielinnen – ein Prachtgeschöpf, tadellos, wie ein Werk des griechischen Meißels! Wenn ich ausführe, was mir seit lange schon vorschwebt – eine große Composition: Persephone an der Seite ihres Gemahls – dämonische Beleuchtung – symbolisirede Darstellung alles Dessen, was an verhaltener Leidenschaft in der Brust des Weibes glühen und lodern kann – beim Leibe des Bacchus, dann muß mir die schöne Zingarella Modell stehen, koste es, was es wolle! Da, seht Ihr, Signor Antonio, da kommt sie an der Seite ihres Apuliers den Pfad herauf! Wie ernst und schweigsam die Beiden dahin wandeln, – recht, als kämen sie vom Begräbniß! Und doch giebt’s kein zweites Paar auf der Insel, das so rasend in einander verliebt wäre, wie Salvatore und die Zigeunerin. Ich war ’mal Zeuge einer unglaublichen Scene, – drüben am Südgestade. Er war außer sich, nannte sie eine Schlange, eine ehrlose Heuchlerin und drohte sie von der Klippe in’s Meer zu stoßen. Irgend ein Streit: Gott mag wissen, üm was es sich handelte. Ich saß unten, fast in der Brandung, und malte. Ich sag’ Euch: es war ein gewaltiger Anblick – die stolze Jünglingsgestalt mit den flammensprüheden Augen, Zorn und dennoch Anmuth in jeder Bewegung, und neben ihm das herrliche Weib,

zaghaft, flehend und völlig zur Unterwerfung gezwungen, – sie,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_226.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2020)