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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Heinrich Heine’s Memoiren über seine Jugendzeit.

Herausgegeben von Eduard Engel.

Nachdruck verboten. Uebersetzungsrecht vorbehalten. 

V.

Meine Großmutter väterlicherseits,[1] von welcher ich ebenfalls nur wenig zu sagen weiß, will ich jedoch nicht unerwähnt lassen. Sie war eine außerordentlich schöne Frau und einzige Tochter eines Banquiers zu Hamburg, der wegen seines Reichthums weit und breit berühmt war. Diese Umstände lassen mich vermuthen, daß der kleine Jude, der die schöne Person aus dem Hause ihrer hochbegüterten Eltern nach seinem Wohnorte Hannover heimführte, noch außer seinem großen Barte sehr rühmliche Eigenschaften besessen und sehr respektabel gewesen sein muß.

Er starb frühe, eine junge Witwe mit sechs Kindern, sämmtlich Knaben im zartesten Alter zurücklassend; sie kehrte nach Hamburg zurück und starb dort ebenfalls nicht sehr betagt.[2]

Im Schlafzimmer meines Oheims Salomon Heine zu Hamburg sah ich einst das Portrait der Großmutter. Der Maler, welcher in Rembrandtscher Manier nach Licht- und Schatteneffekten haschte, hatte dem Bilde eine schwarze klösterliche Kopfbedeckung, eine fast eben so strenge dunkle Robe und den pechdunkelsten Hintergrund ertheilt, so daß das vollwangigte, mit einem Doppelkinn versehene Gesicht wie ein Vollmond aus nächtlichem Gewölk hervorschimmerte.

Ihre Züge trugen noch die Spuren großer Schönheit, sie waren zugleich milde und ernsthaft und besonders die Morbidezza[3] der Hautfarbe gab dem ganzen Gesicht einen Ausdruck von Vornehmheit eigenthümlicher Art; hätte der Maler der Dame ein großes Kreuz von Diamanten vor die Brust gemalt, so hätte man sicher geglaubt, das Portrait irgend einer gefürsteten Aebtissin eines protestantischen adlichen Stiftes zu sehen.

Von den Kindern meiner Großmutter haben, so viel ich weiß, nur zwey ihre außerordentliche Schönheit geerbt, nemlich mein Vater und mein Oheim Salomon Heine, der verstorbene Chef des hamburgischen Banquierhauses dieses Namens.

Die Schönheit meines Vaters hatte etwas überweiches, charakterloses, fast weibliches. Sein Bruder besaß vielmehr eine männliche Schönheit und er war überhaupt ein Mann, dessen Charakterstärke sich auch in seinen edelgemessenen, regelmäßigen Zügen imposant, ja manchmal sogar verblüffend offenbarte.

Seine Kinder waren alle, ohne Ausnahme, zur entzückendsten Schönheit emporgeblüht, doch der Tod raffte sie dahin in ihrer Blüthe und von diesem schönen Menschenblumenstrauß leben jetzt nur zwei, der jetzige Chef des Banquierhauses und seine Schwester, eine seltene Erscheinung mit – – –[4]

Ich hatte alle diese Kinder so lieb, und ich liebte auch ihre Mutter, die ebenfalls so schön war und früh dahinschied, und alle haben mir viele Thränen gekostet. Ich habe wahrhaftig in diesem Augenblicke nöthig, meine Schellenkappe zu schütteln, um die weinerlichen Gedanken zu überklingeln.

Ich habe eben gesagt, daß die Schönheit meines Vaters etwas Weibliches hatte. Es sollte das keine unziemliche Äußerung sein; im Sinne hatte ich nur die Formen seiner körperlichen Erscheinung, und da wollte ich nur andeuten, daß dieselben nicht straff und drall und seine Gesichtszüge nicht streng gemessen waren, sondern vielmehr weich und zärtlich geründet waren;[WS 1] den Conturen seiner Züge fehlte das Markirte und sie verschwammen ins Unbestimmte. In seinen späteren Jahren ward er wohlbeleibt, aber auch in seiner Jugend scheint er nicht eben mager gewesen zu seyn.

In dieser Vermuthung bestätigt mich ein Portrait, welches aus seiner ersten Jugendzeit datiert und das seitdem in einer Feuersbrunst bei meiner Mutter verloren ging[5]. Mein Vater wird hier dargestellt als ein junger Mensch von etwa achtzehn oder neunzehn Jahren in rother Uniform[6], das Haupt kreideweiß gepudert und versehen mit einem höchst anmuthigen Haarbeutel.

Dieses Portrait war günstigerweise mit Pastellfarbe gemalt. Ich sage: günstigerweise, da diese Farbe weit besser als die Oelfarbe mit dem hinzukommenden Glanzleinenfirniß jenen Blüthenstaub wiedergeben kann, den wir auf den Gesichtern der Leute, welche Puder tragen, bemerken und die Unbestimmtheit der Züge sowie jene fatale rosige Fadheit der Oelbilder vortheilhaft verschleiert. Indem der Maler auf besagtem Portrait mit den kreideweiß gepuderten Haaren und der eben so weißen Halsbinde das rosigte Gesicht enkadrirte[7], verlieh er demselben durch den Kontrast ein stärkeres Kolorit und es tritt kräftiger hervor.

Auch die scharlachrothe Farbe des Rocks, die auf Oelgemälden so schauderhaft uns angrinst, macht hier im Gegentheil einen guten Effekt, indem dadurch die Rosenfarbe des Gesichtes angenehm gemildert wird.

Der Typus von Schönheit, der sich in den Zügen meines Vaters auf jenem Portrait aussprach, erinnerte weder an die streng keusche Idealität der griechischen Kunstwerke, noch an den spiritualistisch schwärmerischen, aber mit heidnischer Gesundheit gesättigten Stil der Renaissance; nein, besagtes Portrtät trug vielmehr ganz den Charakter einer Zeit, die eben keinen Charakter besaß, die minder die Schönheit als das Hübsche, das Niedliche, das kokett-Zierliche liebte; einer Zeit, die es in der Fadheit bis zur Poesie brachte, jener süßen, geschnörkelten Zeit des Rokoko, die man auch die Haarbeutelzeit nannte und die wirklich als Wahrzeichen, nicht an der Stirn, sondern am Hinterkopfe, einen Haarbeutel trug. Wäre das Bild meines Vaters auf besagtem Porträte etwas mehr Miniatur gewesen, so hätte man glauben können, der vortreffliche Watteau habe einen hübschen Schäfer gemalt, um mit phantastischen Arabesken von bunten Edelsteinen und Goldflittern umrahmt auf einem Fächer der Frau von Pompadour zu paradiren.

Bemerkenswerth ist vielleicht der Umstand, daß mein Vater auch in seinen späteren Jahren der altfränkischen Mode des Puderns treu blieb und bis an sein seliges Ende sich alle Tage pudern ließ, obgleich er das schönste Haar, das man sich denken kann, besaß. Es war blond, fast golden, und von einer Weichheit, wie ich sie nur bey chinesischer Flockseide gefunden. Den Haarbeutel hätte er gewiß ebenfalls gern beybehalten, jedoch die Ansprüche des fortschreitenden Zeitgeistes waren unerbittlich. In

  1. Mathe Eva Popert, nachmalige Heine, gestorben 1799.
  2. Sie hatte in zweiter Ehe einen gewissen Schiff geheirathet.
  3. Kränkliche Blässe, sonst speciell zur Bezeichnung der Gesichtsfarbe der Venezianerinen gebraucht.
  4. Es folgten im ursprüglichen Manuscript hier noch drei Zeilen unten auf dem Blatt und auf dem nächsten Blatt oben, welche mit einer Scheere abgeschnitten sind. Schwerlich von Heinrich Heine, sehr wahrscheinlich von Maximilian Heine oder einem andern zärtlichen Verwandten, der Anstoß genommen an Aeußerungen über die Kinder Salomon Heine’s.
  5. Bei dem großen Hamburger Brande von 1842.
  6. Diese „Uniform“ hat zu allerlei Aufschneidereien seitens der Familie Heine geführt. Maximilian Heine hat daran die Erfindung geknüpft, daß sein Vater Samson Heine Militär gewesen und als solcher im van Geldern’schen Hause „in Quartier gelegen“; Heine’s Nichte, die Prinzessin della Rocca, geht gar so weit, daß sie Samson Heine frischweg einen ufficiale (Officier) nennt; wir werden weiterhin aus Heinrich Heine’s ehrlichen Geständnissen sehen, was an dieser Rederei ist.
  7. einrahmte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. [Dieser Satz lautet im Manuskript:] Ich will hiermit keineswegs einen Mangel an Männlichkeit andeuten; letztere hat er zumal in seiner Jugend oft erprobt und ich selbst bin am Ende ein lebendes Zeugniß derselben. Im Sinne hatte ich nur die Formen seiner körperlichen Erscheinung, die nicht straff und drall, sondern vielmehr weich und zärtlich geründet waren;
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_194.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2024)