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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

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brauchte freilich ihre Weile; es ging schon die zweite Augustwoche ihrem Ende zu, als Festei den Lehmverband zu lösen sich getraute – und als wieder eine Woche verflossen war, trippelte das Dschapei schon wohlgemuth in den Grasplätzen vor der Hütte umher.

Das war nun ein Samstag. Oben am Trischübl war bei der andauernden Sommerhitze die Trinkwasserquelle versiegt, und so stieg die Sennerin kurz vor der Essensstunde, wie schon seit einigen Tagen immer, um einen Ganter voll frischen Wassers zu holen, in das tiefere Thal hinunter, durch welches der Bartholomäer-Steig emporleitet, gerade in entgegengesetzter Richtung des Griesthales.

Als Nannei, die Füllung des Eimers erwartend, vor der Quelle stand, die auch nur mehr in einem dünnen Faden Wasser gab, hörte sie näherkommende Tritte. Sie blickte den Steig entlang – und sah den alten Wofei schwankenden Ganges einherkeuchen.

Wie der Alte das Mädchen gewahrte, blieb er eine Weile mit wackelndem Kopfe stehen, dann kam er näher geschlurft, in kaum verständlichen Worten vor sich hinmurmelnd: „Ueberall – bist überall – da kann ich nix dafür!“

„Wo willst denn hin heut’? ’Leicht zu mir?“

„Na – net zu Dir – na - gewiß net! Weißt – suchen muß ich – suchen – ja – ich bringe Dir ihn nachher schon!“

„Wofei! Wofei! Ich mein’ allweil, Du hast heut’ schon wieder a bißl z’viel g’laden. Kannst ja kaum stehen! Geh – scham’ Dich doch!“

„Ja – ja – ich weiß schon – es is a Sünd’ – a fürchtige Sünd’ – drum laßt’s mir auch kein’ Ruh net – aber macht nix – ich find’ ihn schon – kenn’s ja ganz g’nau – ’s Platzl! Mußt Dich net sorgen – na – gar net – sei nur stad –“ Und mit zitternden Händen tastete Wofei nach dem Arme des Mädchens.

Scheu wich Nannei vor ihm zurück, hob den kaum zur Hälfte gefüllten Ganter auf die Schulter und stieg nach flüchtigem Gruße der Höhe des Trischübls zu.

Wohl fürchtete sie, daß der Alte ihr folgen möchte. Da sie aber einmal das Gesicht wandte, gewahrte sie, daß Wofei schon den Steig verlassen hatte und auf Händen und Füßen den steinigen Graben hinankletterte, der unter die Wände des Gejaidberges emporführt.

Was mochte er da oben nur zu suchen haben?

Nannei war allzuwenig neugierig, um sich lange mit dieser Frage zu beschäftigen.

Als sie die Hütte erreichte und auf die Stubenschwelle trat, hätte sie vor freudigem Schreck schier gar den Ganter zu Boden fallen lassen.

Auf der Herdbank saß die alte Baslerin und rief mit lächelndem Munde ihrem Kinde einen herzlichen Gruß entgegen.

„Ja Mutterle, Mutterle! Ja grüß’ Dich Gott!“ jubelte Nannei, die dürren Finger der Alten mit beiden Händen umschlingend. „Na – so a Freud’! Geh, so sag’ nur g’rad, wie geht’s Dir denn – han? Und bist denn net recht müd’?“

„A bißl schon – weißt – aber ich hab’s heut’ recht gut ’troffen. Der Untersteiner Wirth, der hat im Wimbachschloß mit sei’m Wagerl an Gawalier abholen müssen, und da hab’ ich bis mit’reinfahren können. Von drunten da’rauf, das hab’ ich leicht in a dritthalb Stund’ dermacht.“

„O mein, o mein! Aber gelt, Mutterle, jetzt bleibst schon a paar Tag’ bei mir heroben?“

„Aber Nannei! Was denkst denn? Ich kann doch unser Häusl über Nacht net allein stehen lassen – und nachher – wann ich schon so gut auf die Füß’ bin, da müßt’ ich mir an argen Vorwurf machen, wann ich morgen am Sonntag die heilige Meß’ versaumet. Na, na – das därf net sein! Weißt – am ’Nunterweg, da geh’ ich über Bartlmä – ja – und wann ich mich da um a drei auf d’ Füß’ mach’, find’ ich drunten leicht noch a Schiffgelegenheit nach Königssee.“

Die Aussicht auf ein nur so kurzes Zusammensein trübte wohl Nannei’s Freude. Da aber all’ ihre Bitten und Einwendungen fruchtlos blieben, beschied sie sich endlich.

Nun ging es an ein Schwatzen und Plaudern!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_169.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2022)