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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Wie aus Italien nach Spanien und Frankreich, so gingen sie aus Frankreich nach Deutschland und England über, wo sie überall an den Höfen den Fürsten Gelegenheit boten, ihre Prachtliebe zu bethätigen. Heinrich IV., der jede Art von Zerstreuungen liebte, war auch ein großer Freund des Tanzes und der Maskeraden. In den einundzwanzig Jahren von 1589 bis 1610 wurden am französischen Hofe nicht weniger als achtzig große Ballete aufgeführt, und unzählig sind die Maskeraden und gewöhnlichen Tanzunterhaltungen, die außerdem stattfanden.

Es war gerade während einer großen Maskerade, als man dem Könige die Nachricht von der Eroberung Amiens’ durch die Spanier brachte. Die Maskerade stellte die Fürstenzusammenkunft (den Friedensschluß) von Thouars dar, welche dem Könige Philipp II. von Frankreich, genannt Augustus, die Normandie, die Bretagne und Anjou eingebracht hatte. Zu dem pompösen Auftreten des Königs bildete man ganze Damenlegionen, welche junge Ritter darzustellen hatten und in prächtigen Gewändern, mit kostbaren Waffen, in seinem Gefolge erschienen. Diese anziehende Schaar wurde von der Schönsten am Hofe, Gabrielle d’Estrées, angeführt. Als nun Heinrich die schlimme Kunde vom Verluste Amiens’ erhielt, rief er aus: „Das ist ein Schlag des Himmels! Nun haben wir genug den König von Frankreich gespielt und wollen wieder der König von Navarra sein.“ Dann wandte er sich an Gabrielle und fügte hinzu „Meine schöne Herrin, wir müssen unsere Waffen niederlegen und zu Pferde steigen, um einen andern Krieg zu führen.“ Und trotz der Thränen der schönen Gabrielle wurde der Maskenball abgebrochen. Heinrich sammelte noch in derselben Nacht Truppen und brach, begleitet von den Edelleuten seines Hofes, gegen Amiens auf.

Venetianische Straßenmaske.0 Nach dem Oelgemälde von Prof. Giulio Carlini.

Es war während der Regentschaft Philipp’s von Orleans, daß die Maskenfeste in Frankreich auf die breitere Basis der Volksbelustigungen gelegt wurden. Merkwürdiger Weise gab ein Mönch den Anlaß dazu. Derselbe arbeitete nämlich ein großes Project behufs der Abhaltung von Maskenbällen im Pariser Opernhause aus und erfand, um das Project dem Regenten noch annehmbarer zu machen, eine besondere Maschine, durch welche in wenigen Stunden der Zuschauerraum und das Orchester des Opernhauses auf das Niveau der Bühne gehoben werden konnten. Der vergnügungssüchtige Herzog von Orleans genehmigte das Project, und bald erschien eine besondere Ordonnanz der Regentschaft, welche die Abhaltung von Maskenbällen im Opernhause dreimal in der Woche gestattete. Die Maschine des industriellen Mönches aber, der sich durch die Ausführung seines Projectes bereichert haben soll – vielleicht war er gar der geheime Associe des Opernhauspächters – ist noch heute, wenn auch bedeutend verbessert, im Gebrauche.

Die höfischen Maskenfeste gingen dabei mit den Volksbelustigungen Hand in Hand, und noch in unserem Jahrhunderte feierte Prinz Carneval in Frankreich große Triumphe. Als Walter Scott Paris besuchte, veranstaltete die Herzogin von Berry zu seiner Huldigung einen Maskenball, auf dem alle die Romanheldinnen des berühmten Erzählers zu sehen waren.

Die graziöse „Kartenquadrille“ unter Louis Philipp wird in den Annalen des Carnevals unvergeßlich bleiben. Die Prinzen des Hauses erschienen als „Könige“ und die vornehmsten Damen des Hofes als ihre „Königinnen“.

Die schöne Kaiserin Eugenie zauberte später sogar den Olymp auf die Erde, und wer seine decolletirten Göttinnen sehen wollte, konnte sie am kaiserlichen Hofe bewundern. Der „Olymp“ der Kaiserin beschäftigte das Volk von Frankreich zu seiner Zeit vielleicht mehr, als die Noten des Kaisers in der Orientfrage.

Die Opernbälle popularisirten die Maskeraden in Frankreich, wo sich lange nur der Hof und die Großen des Reiches damit vergnügt hatten. In Italien und Spanien waren alle Masken-Arrangements längst zu beliebten Belustigungen des Volkes geworden. – Auch in Deutschland hatten sich die Maskeraden als Volksbelustigungen im Nachklange der Darstellungen altheidnischer Götterumzüge längst ganz selbstständig entwickelt, die „Narrenfeste“ am Faschingsdienstage waren überall im Schwung, und in München, Aachen, Düsseldorf, Köln, Mainz etc. wurden die Maskenaufzüge so pompös, daß sie als ebenso glänzende wie wohlgelungene Volksfeste bezeichnet werden konnten. Vieles von diesen lustigen Arrangements hat sich bis auf unsere Tage erhalten, und es muß nur die Welt wieder ein wenig heiterer und sorgenfreier werden, damit sie den alten Glanz ganz und gar wieder erlangen und Diejenigen Lügen gestraft werden, welche den vollständigen Verfall der Maskenfeste für eine nahe Zukunft voraussagen.

Hugo Klein.     


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_132.jpg&oldid=- (Version vom 3.11.2019)