Seite:Die Gartenlaube (1884) 125.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 8.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Ein armes Mädchen.
Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Etwa vierzehn Tage waren vergangen, als Tante Lott eines Morgens die Treppe hinabstieg und nach Moritz fragte. Er sei bei der gnädigen Frau, berichtete der Diener, und die alte Dame durchschritt nun den blauen Salon Frieda’s und fragte, an der Portière stehen bleibend:

„Störe ich nicht, Kinderchen?“

„Immer herein, Tante Lott!“ rief Moritz.

Frieda saß am Schreibtische. „Einen Augenblick, Tante,“ bat sie, und sie las noch einmal einen zierlichen wappengeschmückten Briefbogen durch:

 „Meine liebste Lilli!

Nur in aller Eile ein paar Worte, damit Du au fait bist wegen meiner Balltoilette für Berlin, da wir ja doch jedenfalls viel neben einander sein werden. Ich habe mir bei Gerson ein weißes Atlascostüm bestellt mit Silberstickerei, die Corsage aus Drap d’argent, und will meine Brillanten dazu tragen statt Blumen; ich denke, es wird distinguirt aussehen. – Mama und Moritz bestehen darauf, daß Else, die neuerdings mehr als langweilig geworden ist (à cause de Monsieur Bernardi), mitkommt. Mama will sie partout in ein rosa Seidenfähnchen stecken; ich habe nachgerade diesen Elisabeth-Cultus satt und werde Moritz meine Meinung gründlich sagen. Ich bitte Dich herzlich, Lilli, nimm niemals ein junges Mädchen in Dein Haus, die quasi Familienrechte hat, es ist mehr als gräßlich, besonders wenn der Hausherr sich so sehr verpflichtet fühlt, die väterliche Vorsehung und nebenbei den Ritter zu spielen, wie Moritz. Lange hält meine Geduld nicht mehr vor.

Grüße die Eltern.   Auf Wiedersehen.

  Deine Schwester Frieda.

NB. Der Bennewitzer kommt merkwürdig oft jetzt, ich traue meiner Schwiegermutter nicht in diesem Punkte; sie sagt, Else’s Vaters wegen. Es giebt da ein altes Sprüchwort, das ich aber nicht hier hin schreiben will.   F.“

„So, Tantchen. Was giebt’s denn?“ fragte sie, nachdem sie den Brief adressirt und geschlossen. Und sie trat zu einem reizenden kleinen Möbel, zog die sämmtlichen Schubfächer auf und schickte sich an, eine Revue abzuhalten über ihre Schmucksachen. Sie war im hellblauen Schlafrock und auf dem üppigen schwarzen Haar saß eine Spitzenrosette mit blauer Schleife.

„Ach Gott,“ begann Tante Lott, sich zu Moritz wendend, der regungslos am Kamin saß im grauen Flauschrock und Stulpenstiefeln, wie er vom Felde gekommen. „Ach Gott, Moritz, es drückt mir noch das Herz ab, die Else – sie klagt nicht, sie sagt nichts, aber sie schläft keine Nacht, sie genießt nichts und sie wird so mager; willst Du mir nicht einmal den Arzt heraufschicken, wenn er kommt? Ich fürchte, sie grämt sich krank um diesen Bernardi.“

„Ist denn die Komödie noch nicht zu Ende?“ fragte die junge Frau. „Was wollt Ihr denn? Else scheint höchst vergnügt zu sein. Daß sie noch ein bischen Scheu hat, auszugehen, ist natürlich, sie war acht Tage lang hier das Stadtgespräch.“

„Ja, sie nimmt sich sehr zusammen, Frieda,“ sagte die alte Dame und nickte ernsthaft mit dem Kopfe, „aber –“

„Nun, Ihr thut ja auch alles in Hülle und Fülle, um sie zu trösten,“ fuhr Frieda gereizt fort und legte etwas unsanft eine kostbare Gemme in den Kasten. „Ob mir noch etwas paßt, darnach fragt kein Mensch mehr, immer nur Else. So macht es die Mama, so machen es die Kinder und so macht es Moritz; ich darf nicht einmal mehr sprechen, wie ich will und was ich will, und nächstens sage ich bei Tisch kein Wort mehr.“

Tante Lott sah förmlich entsetzt Moritz an, der so gleichmüthig in dem Sessel lehnte.

„Siehst Du, Tante, Frieda weiß, daß es ihr so gut steht, wenn sie ein bischen schmollt. Aber das darfst Du mir nicht anthun, Kind, diese häßliche Laune mit nach Berlin zu nehmen, denn –“

„Wenn Du darauf bestehst, daß Else mitkommt, so bleibe ich mitsammt meiner häßlichen Laune hier,“ unterbrach sie.

„Du mußt das mit Mutter ausmachen,“ entgegnete er ruhig; „sie hat gewünscht, daß Else uns begleitet.“

„Ich kann dann nicht mit, der Kinder wegen,“ beharrte die junge Frau. „Ich sehe überhaupt nicht ein, wozu ich eine Erzieherin habe, wenn ich nicht einmal beruhigt aus dem Hause gehen darf.“

„Bis jetzt hat Dir ja zur Beaufsichtigung immer die alte Kinderfrau genügt. Aber wie Du willst, Frieda; ich habe mich noch nie mit Dir gezankt, wenn es Dir beliebte, Dein Trotzköpfchen aufzusetzen, Du weißt es. Heute ist der letzte Tag, an dem Else als Erzieherin fungirt; ich werde noch in dieser Stunde Schritte thun, eine andere Dame zu engagiren.“

Frieda schwieg und schloß mit unendlicher Langsamkeit ein Schubfach nach dem andern.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_125.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)