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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Dschapei.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)


„Grüß’ Gott, Sennerin!“ ertönte eine weiche, freundliche Stimme.

„Grüß’ Gott auch!“

Ja – das – das war Nannei!

„Han, Sennerin – suchst ’was?“

„O mein Gott – ja! Mein Dschapei geht mir ab – mein Lamperl, so a liebs Viecherl. Mein’ ganze Freud’ hab’ ich dran g’habt – und jetzt kann ich’s nimmer derfinden.“

„Aber Deandl! Was weinst denn jetzt gar a so! Schau – das hat sich halt verlaufen – oder is wo ’neing’stiegen und traut sich nimmer ’raus – das wird sich doch wieder finden lassen! Und weißt – wann nix dagegen hättst – nachher thät’ ich Dir ganz gern suchen helfen.“

„Ja – ja! Bist a recht a guter Mensch – Du! Wer bist denn? Han? A Jaager – gelt?“

„Ja – Jagdg’hilf in der Ramsau – und seit gestern auf d’ Nacht bin ich da ’rauf ’kommen am Trischübl. Weißt – – No, no, Bella! Was hast denn? Sei doch z’frieden! – – Ja, weißt, der alte G’hilf’, der is jetzt pansaniert worden, der zieht nach Bertlsgaden ’nein – und drum habe ich vom Schüttaipl, wo ich bis jetzt mein’ Bezirk g’habt hab’, weg müssen und daher. Aber wie heißt denn, Deandl – han?“

„Nannei.“

„Nannei? So hat mein Mutterl auch g’heißen.“

„Hat’s g’heißen? Lebt’s ’leicht nimmer?“

„Na! Im letzten Fruhjahr is g’storben – unser Herrgott hab’s selig.“

„Ah geh –“

„Ja –“

„Und wie heißt denn nachher Du?“

„Hindammer Festei[1].“

„Festei? Das is aber a seltner Nam’ – aber – a schöner Nam’ – ja – Festei – Festei –“

„Jetzt schau nur g’rad, was mein’ Bella hat! Die zieht an wie auf der Schweißfährten! No – so lauf’ halt a bißl zu, Du Dapperl[2] Du! Wirst es gleich sehen, daß nix da is. – Also jetzt sag’, Nannei – wo hast denn schon überall g’sucht?“

„Gestern am Abend hab’ ich ’naufzu am Tabakmandl g’sucht, wo ’s allweil gar viel gern droben g’wesen is, und –“

„He, Bella – he – was hast denn? – was schaust denn jetzt da? – da drunten is nix –“

Und das Dschapei, welches nur unter schmerzender Mühe das eine Auge nach der Höhe richten konnte, sah am Rande der Schlucht ein Gesicht erscheinen und jählings wieder verschwinden.

„Jesses! Nannei! Da drunten liegt Dein Lampl!“

„Heilige Muttergottes!“ klang Nannei’s lautschluchzende Stimme entgegen, und ihr Antlitz neigte sich hernieder über den Felsrand. „Dschapei! Mein arm’s Viecherl! Dschapei! Dschapei!“ Und Nannei’s Kopf verschwand – „ich hab’s gesehen – es lebt noch – g’rührt hat sich’s – g’rührt!“

„So komm’, Deandl, komm’ – von da aus können wir net ’nunter – wir müssen unten ’rum.“

„O mein Gott – o mein Gott – arm’s Dschapei!“

Die Stimmen der Beiden verklangen unter ihren enteilenden Schritten und wurden nach einer kurzen Weile wieder vernehmbar von einer tiefer gelegenen Stelle her, an welcher ein Abstieg leichter zu bewirken war.

Mit ungeduldigem Winseln hüpfte auch schon der Teckel über die Steinabsätze hernieder, eilte in langen Sprüngen auf das Dschapei zu, stutzte, beäugte das Thier mit witternd vorgestreckter Nase und ließ dann ein lautes Geheul vernehmen. Nun umkreiste er ein paarmal das Lamm, näherte sich langsam dem Kopfe desselben und beleckte ihm schüchtern den Backen und die Kehle.

Indessen war Festei dem Mädchen beim Niedersteigen behülflich gewesen; er hatte, um sich selbst diese Mühe zu erleichtern, Büchse und Bergstock am Rande der Schlucht zurückgelassen.

„O mein Gott – o mein Gott – arm’s Dschapei! Ja was hast denn g’macht – was hast mir denn ang’stellt!“ rief Nannei unter Schluchzen, indem sie sich niederließ auf das Geröll, und achtsam hob sie mit beiden Händen den Kopf des Lammes in ihren Schooß.

Festei kniete an ihrer Seite auf den steinigen Grund, und während der Mund des Mädchens überfloß von jammernden, mitleidsvollen und schmeichelnden Worten, untersuchte er die Glieder des gestürzten Thieres. Die Wunde am Rücken erkannte er sofort für den Fangriß eines Adlers, und darauf gründete er die Vermuthung, als wäre das Dschapei entweder von dem gefiederten Räuber da herunter gestoßen worden, oder selbst in die Tiefe gestürzt, sei es in unbedachter Flucht, sei es in einem Taumel, welcher das Thier bei dem starken Blutverluste überkam.

Als Festei die Füße des Lammes einer genaueren Besichtigung unterzog, nahm sein Antlitz eine recht bedauernde Miene an.

„O mein, Deandl,“ sagte er zögernd, „da schaut’s schlecht aus! Das bißl da am Buckel, das machet noch lang nix – aber – die Füß’, die Füß’ – mein Gott, wie schau’n die aus! Da – der eine is völlig ’brochen, g’rad ober’m Knie – den ganzen Huf hat’s versprengt – und am andern Fuß is d’Schulter aus’prellt – und wie is Alles verschwollen! O mein, Deandl – da wird nimmer viel z’helfen sein – da wird wohl nix Bessers bleiben, als – als –“ Er brachte das Wort, das er sagen wollte, gar nicht hervor, da er in Nannei’s bekümmertes Antlitz sah, auf dem die dicken Thränen unablässig über die gerötheten Wangen rannen.

„Mein Gott, mein Gott – mein’ ganze Freud’ is das Thierl g’wesen – mein’ ganze Freud’ –“

„Ja – weißt ’was – probiren wir’s!“ sagte Festei nach einer Weile. „Ich hab’ meiner Bella amal an Fuß eing’richt’, und is wieder ganz gut worden! Mein – probiren kost’ ja nix! Probiren wir’s halt!“

„Ja – ja!“

„So komm’, Deandl, komm’, steh auf! Ich nimm jetzt nachher ’s Lampl und trag’s ’nunter in d’Hütten.“

Nannei erhob sich, mit den Händen die Augen wischend, und schaute zu, wie Festei das Lamm, welches Alles willig mit sich geschehen ließ, auf seine beiden Arme hob. Und als der Jäger den ersten Schritt dem Aufstieg entgegenthat, ging das Mädchen voraus, während der Teckel freudig bellend an die Kniee seines Herrn emporsprang.

„Steig’ nur zu, Nannei – steige nur zu!“ sagte Festei, als das Mädchen vor den aufwärts führenden Steinen Halt machte.

  1. Sylvester.
  2. Ungeschicktes, thörichtes Ding.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_118.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)