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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

der armen Familie vernichtete. Wie eines Tages Merode’sche Soldaten nach Arnstadt kamen und ein junger Kriegsknecht scharmuzierend bei ihnen hereinbrach, die Mutter mit ihm auf dem Arm flüchtete, und – da sie endlich wieder zurück sich wagte – den ärmlichen Hausrath zerschlagen, das Bett, das sie in ihren Dienstjahren mit allen gesammelten Hühner- und Taubenfedern gestopft hatte, aufgeschnitten und die Flaumen in alle Winde zerstreut fand. Der Vater aber lag todtwund gestochen am Boden und vermochte nur noch zu stammeln, daß auch der Glücksducaten geraubt sei. Es wollte Hermann oft ein Wunder bedünken, daß ihm zugleich so wonnesam und wehmüthig um’s Herz war, wenn er ihr von seinen armen Eltern sprach, und sie nimmer müde wurde, von seiner schwer geprüften Mutter zu hören.

Und sie lernte sich bescheiden. Vor dem Leid, das diese arme Erdenpilgerin getragen hatte, verstummte die stürmische Klage der großen Bürgerstochter. Sie wurde still in ihrem Schmerz.

Gemachsam genas die Frau Henningin wieder. Ihre treuen Pfleger verschonte die Pest. Hermann’s muthiges Beispiel hatte das im ersten sinnlosen Schrecken fortgelaufene Gesinde beschämt. Der Knecht, die Tagelöhner kehrten zurück. Dann kamen auch die Versippten und Gefreunde, weinten mit der Frau Henningin und klagten ihr das eigne ausgestandene Leid.

Johanne und Hermann hatten nicht Zeit, sich um den Einspruch zu kümmern. Sie arbeiteten rastlos, um die Spuren des Unglücks zu verwischen. Die Mühle wurde gesäubert und Unheimliches im Feuer verbrannt. Hermann sah die Bücher ein und rechnete, sandte Schreiben an Zacharias und die Geschäftsfreunde, welche anzeigten, daß die Seuche zu erlöschen beginne. Johanne führte die Wirthschaft, tröstete und pflegte die Mutter und hielt die Kinder in Zucht. Mit ihnen verfuhr sie, wie Hermann mit ihr gethan hatte. Sie legte ihnen Pflichten auf, die ihren Kräften entsprachen.

Christel bekam die Tageswacht bei der großen Herbstwäsche, welche nach Arnstädter Brauch auf der Hohen Bleiche von der Sonne und dem Mond beschienen werden mußte, und Bastian hatte den Bienen den Tod des Bienenvaters anzuzeigen.

Wenn man beim Erbfall die andern Hausthiere mit Stöcken aufjagte, heischten die wilden Würmber feinere Rücksicht. Der älteste Sohn war nicht beihanden; so kam es Bastian zu, des Amtes zu walten. Als tapfrer Junge bezwang er sich. Mit abgezogenem Hütlein trat er zu dem Bienenhaus und that laut dem Volk der Immen kund, daß ihren zeitherigen Meister der Herr über Leben und Tod abgerufen habe, und ermahnte sie, ihrem nunmehrigen Bienenvater treu, hold und gewärtig zu sein wie dem alten. Dann drückte er die Fäuste vor die Augen, biß die Lippen zusammen und ging heim.

Bald war die Ordnung wieder hergestellt, und die Papiermühle blitzte und blinkte äußerlich und innerlich von Sauberkeit und Wohlstand.

Und nun schlug die Stunde, da auch die Muhme Schmidtin dahin zurückkehrte. Gleich einem Klageweibe erhob sie ihre Stimme und ihre Arme; aber nachdem sie noch einmal den ganzen Jammer aufgewühlt hatte, wandte sie sich den Vorkommnissen des täglichen Lebens zu. Und von Stunde an hielt sie wieder pünktlich wie sonst am helllichten Tage mit einem Laternchen und einem schuhlangen Hausschlüssel Einspruch in der Papiermühle, zum großen Verdruß der Magd Trine, die dann allezeit nach den Bäckerbänken am Rathhaus springen mußte, damit die Muhme mit frischen Mussemmeln tractirt werden konnte. Und wenn das Mühlwerk wohl geschmiert war, dann dämpfte die Gastin ihre Rede allgemach zu einer leisen Murmelung in das blasse, mit einem großen goldnen Ring geschmückte Ohr der Frau Henningin. Diese belebte sich sichtlich unter ihrem Geflüster. Freilich bekam sie zuweilen wieder fieberrothe Bäckchen, wenn die Muhme mit einem falschen Blick auf Hermann geraunt hatte: „Es wird auf allen Gassen breit getreten, die ganze Stadt rümpft die Nase darüber.“ Sie begann auch wieder zu nörgeln, da Johanne einen künstlichen Kuchen, den Fischer ihr zum Geburtstage verehrte, und der wie ein Taubennest formirt war, sonder Freude und Achtung dem Ingesinde preisgab, nachdem Benjaminlein dem Taubenpaar die Rosinenaugen ausgegessen hatte.

Ueber Johannens Züge aber senkte sich allmählich ein düsterer Schleier. Zuweilen zuckte ein scheuer Blick von ihr zu Hermann auf, daß dieser betroffen nachsann, womit er sie gekränkt haben könne, oder sie fuhr wie aus einem Traume empor, wenn Mutter und Geschwister schon lange auf sie eingeredet hatten. Einmal, da Hermann von dem Rechnungsabschluß am Neujahr sprach, sah sie verwirrt zur Seite und gab keine Antwort.

Auch auf sein Herz legte sich ein Druck wie von einer kalten Hand. Er konnte das Unheimliche nicht nennen, das seinen Schatten voraus warf; aber er hatte das Gefühl, als schöbe es sich verhüllt und dunkel trennend zwischen ihn und Hannchen.




Als der Windmond mit eisiger Ostluft über das Land zog, athmeten die Arnstädter auf. Waren auch in den letzten Wochen neue Erkrankungen nicht mehr erfolgt, so hatte die Stadt doch erst jetzt Gewißheit, daß die Seuche nicht wieder aufflackern könne. Der alte deutsche Riese Frost warf unwiderstehlich den Würgengel aus dem Morgenlande nieder; das war ein alter Erfahrungssatz. Aber er schob auch, wie männiglich bekannt, Laub und Blumen in seinen Sack. In dem Garten an der Brunnenkunst, wo in den Wochen der schweren Heimsuchung Unkraut und Zierpflanzen lustig durch einander gewuchert hatten, hing das Augentrost im Gras so gut den Kopf wie Liebstöckel auf dem Beet; nur das bittere Kräutlein Wermuth hielt sich tapfer zwischen den braunen Mauersteinen.

„Alles welk, todt!“ flüsterte Hermann für sich, während er die schützende Winterdecke von Stroh vor das Bienenhäuschen hing.

Da klirrte die Pforte und Hannchen trat in den Garten. Sie trug einen Brief in der Hand, und an ihrer Schürze hing Benjaminlein. Hermann erschrak, da er sie erschaute, bleich mit gerötheten Augen. Die Trauerkleidung konnte nicht an ihrem elendigen Aussehen schuld sein, an die war er ja – leider Gottes! – gewöhnt.

Einen Augenblick stand sie still und schöpfte tief Athem. „Lieber Gott,“ sprach sie leise, „ist mir’s doch um’s Herz, als sollte ich Tauben schlachten. Das bringe ich auch niemalen zuwege.

Im Congoland: Zernagte Schieferklippen im Congobett.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_792.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2024)