Seite:Die Gartenlaube (1883) 743.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Urgroßvaters geholfen habe, in dem Du aussahst wie der Knecht Ruprecht. Das ist ganz in der Ordnung. Aber Du brauchst es nicht auszurufen wie der Bierrufer das aufgethane Bier; es versteht sich von selbst. Du magst den Nickel nicht leiden. Solcher Gefühle kann der Mensch sich nicht gänzlich entschlagen: aber Du treibst Deinen Haß zu weit. Wenn Du ihn siehst, bekommst Du einen rothen Kopf. Das ist unchristlich.“

„Schilt mich nur, Hannchen,“ sagte er demüthig. „Du weißt, wie gern ich still halte. Wenn Du mir nur dafür versprichst, daß Du heute nicht mit ihm auf dem Maienfest tanzen willst.“

Sie zog wichtig die zart gezeichneten Augenbrauen in die Höhe. „Das kann eine Tochter aus der Papiermühle dem ersten Brauherrn der Stadt nicht abschlagen. Man muß seinem Stand gemäß sich aufführen. Sieh mich doch nicht so verzagt an! Ich nehme Dich ja mit, daß Du auch Deine Lust hast und nicht den ganzen Nachmittag dem Großvater aus der Postille vorlesen mußt.“

„Ich eine Lust haben?“ fragte er, schwermüthig lächelnd. „Vielleicht, daß ich zusehen darf, wie Du Dich mit dem Nicolaus schwenkst? Wenn ich auch mit Schneiders Lieschen tanzen wollte –“

Sie fuhr auf. „Du wirst doch nicht mit der Liese tanzen? Die ist ja ein Fuchs, und sagt nicht das Sprüchwort, daß an einem solchen kein gutes Haar ist?“

„Das ist auch ein unchristliches Wort,“ mahnte Hermann; „Lieschen ist kein schlechtes Mädchen.“

Johannens Rosenwangen hatten sich mit einem feinen Purpur gefärbt. Heftig stürmte sie auf ihn ein: „So gehe und tanze mit ihr. Ich bleibe zu Haus und trage das Kind und schwatze mit dem Großvater von Historien, die sich vor hundert Jahren begeben haben, und stelle die Mühle und fege die Lumpen zusammen.“

„Hannchen,“ sagte er sanft, „weshalb bekommst Du nun einen rothen Kopf? Du sollst ja zum Tanz gehen und lustig springen, und ich darf zuschauen, gelt?“

Sie gewährte es ihm mit versöhntem Kopfnicken. Der Klang der Hausschelle rief sie in den Hausflur zurück.

„Das Gott erbarm! Ist das Leben eine Plage!“ tönte es ihnen entgegen, und eine stattliche Bürgersfrau wandelte herein im schwarzen Tuchmantel, eine steil aufgerichtete schwarzseidene Mütze auf dem Kopf, die am Rücktheil eben solche steife Bandschleifen gleich einem ausgebreiteten Pfauenschweif schmückten.

„Morgen habe ich große Wäsche. Was muß ich dazu alles vorrichten! Kuchen, Seife, Lauge. Und nun ist auch noch das Maienfest.“

Der Papiermüller lachte in seiner selbstgefälligen Weise, „Laßt’s gut sein, Muhme Schmidtin. Ihr Weibsen schafft, weil es Euch eine Freude ist. Derohalb erhebt Ihr Eure Arbeiten zu Festen, wie die Namen Waschfest, Schlachtfest, und – Gott behüt’ uns! – Scheuerfest besagen.“

„Du lieber Gott!“ rief die Schmidtin, „als ob wir die Worte erfänden! Das vollbringen die Männer, und wir armen Kreuzträgerinnen müssen nach ihnen thun und, so wir waschen, Kuchen backen, so wir schlachten, Fische sieden, wir haben allezeit die Plage, der vielwerthe Ehewirth hat das Fest.“

„Habt Ihr auch einmal einen Ehewirth gehabt, Muhme?“ fragte Bastian.

„Die Leute sagen, es sei immer nur eine Muhme Schmidtin allhier genannt worden,“ setzte Christel hinzu, „und der Meister Schmidt habe, hinter dem Backofen nicht herfür gedurft, darinnen er die kleinsten Semmeln in Arnstadt gebacken habe.“

„Daß Gott erbarm! Was erzieht Ihr für Früchtchen, Muhme Henningin!“ zeterte die Schmidtin.

„Soll ich mit für die Muhme decken?“ unterbrach sie Johanne. „Wollt Ihr fürlieb mit uns nehmen?“

„Sieh da, das Mühmchen!“ rief die Schmidtin beschwichtigt. „Immer gastfrei, wie für die Jungfer sich geziemt, bei der der reichste Bürger und Brauherr auf Freiersfüßen geht. Ist der Hermann ein Tolpatsch! Da läßt er einen Teller fallen. Ja, was ich sagen wollte, Hanne. Putz Dich dem Fischer nur recht in die Augen, auf daß Dich die Barbe vom Tuchmacher Brotkorb nicht aussticht. Sie ist zwar ein wahres Lerchenei mit ihren Sommersprossen; aber sie hat doch ein Auge auf ihn geworfen.“

„Dann soll sie das andere auch noch auf ihn werfen,“ sagte Johanne, indem sie die Tafel deckte. „Christel, streue die Maßlieben auf den Tisch! Wie hübsch die gefüllten blassen und dunkelrothen Blümlein auf dem weißen Tischtuch aussehen. Trine, setze den Suppennapf neben mich! Muhme, nehmt Platz auf dem Ehrenstuhl neben dem Herrn Vater! Bastian, sprich das Tischgebet!“

Alles folgte den gebieterisch gegebenen Anordnungen. Und dann begann sie ebenso flink vorzulegen. Dem Hermann, der neben ihr zu unterst saß, schöpfte sie zuletzt auf; aber die Muhme erschaute neidisch, daß es ein schönes Bruststück war, und daß sein Schüsselein bis an den Rand gefüllt wurde.

„Du bist ja auch der Längste,“ entschied sie herrisch, da er bescheiden wehrte.

„Wahrlich, da tritt Herr Fischer schon die Gasse daher,“ rief plötzlich die Schmidtin, einen Blick durch die von Weinlaub umsponnenen Fenster werfend. „Welch eine höchst ansehnliche Statur er hat!“

Vom Markt herunter schritt ein junger Mann, dem sein Bäuchlein stattlich eine Elle vorausging. Er trug ein Staatskleid von feinem Tuch, aus dessen bunt umsäumten Aermelschlitzen feine holländische Leinwandpuffen sich bauschten, Strümpfe von weißem Tuch mit breiten Aufschlägen verziert; sein rundes blühendes Haupt bedeckte ein emporgekrempter Filzhut. Ein Mantel mit Bänderbesatz und Schlingen flatterte von den Schultern trotz des Pfingstwetters; denn ohne Mantel auf der Straße sich zu zeigen, wäre gleichbedeutend gewesen mit einem Ausgang in Hemdärmeln.

Johanne warf einen Blick hinaus. „Ich glaube, wir können aufstehn. Hermann, an Dir ist die Reihe, das Dankgebet zu sprechen.“

Stotternd, die Augen auf den Nahenden gerichtet, gehorchte dieser.

Sie stieß ihn ärgerlich mit dem Ellenbogen an: „Was ich gesagt habe, habe ich gesagt: wir gehen selband.“ Damit sandte sie die Magd mit dem Geschirr in die Küche, und dann klappte sie so fest die Treppe hinauf, als seien ihre Absätze kleine Spitzhämmer. Der Riegel an ihrem Giebelstüblein schnappte.

Der Botschafter manche pochten an die Thür, und es wurden verschiedentliche Aufforderungen durch das Schlüsselloch geflüstert, aber sie kam nicht zum Vorschein. Endlich ertönte gepreßt die Stimme der Mutter unten im Hausflur, und an dem Schlürfen, welches ihre Reden begleitete, wurde merkbar, daß sie allerhand Kratzfüße machte.

„Es thut uns von Herzen leid, daß Hanne Euer Geleit entbehren muß, dieweil sie sich mit ihrem Putz versäumt hat. Wollet deshalb keinen Haß auf uns werfen.“

Darauf zogen die alte Muhme und der junge Freier ab.

Die Kinder liefen mit der Maie fort. Auch das Ingesinde: Mühlburschen und Mägde, denen das Recht auf eine Festfreude nicht verkümmert werden durfte, ging zum Tanz. Das Ehepaar blieb daheim beim alten Großvater und dem jüngsten Kind, auf daß die Mühle treu gehütet werde.

Endlich klappte Johanne aus der Giebelstube herab. Sie hatte sich wahrlich schön gemacht, wenn sie auch in ernste Farben gekleidet war, wie das die Mode der Zeiten, die aus Kriege und andre Landplagen folgen, mit sich bringt. Sie trug ihren schwarzen Moorrock, der in viele steife Falten gelegt war, und über den eine weiße Schürze mit feinen Kanten sich spannte. Eine steif gefältelte Krause umstarrte den zierlichen Hals und fiel auf das Mieder von schwarzem Tuch nieder. Auch ihre Schmuckzierde hatte sie angelegt. Auf der Krause wiegte sich ein Halsband von Granaten, die in dem Ruf standen, angenehm zu machen vor den Augen der Menschen.

Athemlos eilte auch Hermann herbei in seinem zimmetbraunen Sonntagsrock, der aus einem abgelegten Mantel des Papiermüllers gefertigt war. Er hatte drüben im Garten neben dem Wasserthurm für Johannen ein Sträußchen von Balsam und Narden geholt. Mit diesen hohen Namen belegte man die bescheidenen Kräuter: Rosmarin, Spika, Minze. Zwischen ihren duftenden Blättern barg sich ein noch ganz geschlossenes Rosenknöspchen.

„Warum brachst Du es ab, ehvor es blüht?“ rügte sie weisheitsvoll und steckte das Sträußlein an ihr Mieder.

Er betrachtete sie mit leuchtenden Augen. „Ach, hätte ich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_743.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)