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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 46.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.

Glockenstimmen.

Eine Bürgergeschichte aus dem 17. Jahrhundert.
Von Stefanie Keyser.

Hilf Gott! berath! hilf Gott!

So rief die kleine Signirglocke ihr Sprüchlein, welches vor zwei Jahrhunderten der fromme Glockengießer als Inschrift ihr eingegossen hatte. Sie verkündete der guten Stadt Arnstadt die Mittagsstunde.

Die Zeitläufte waren wieder darnach angethan, daß die Bürger ihre Füße geruhig unter den gedeckten Tisch zu strecken vermochten. Der furchtbare Krieg, der dreißig Jahre in dem heiligen römischen Reich deutscher Nation gewüthet hatte, war zu Ende geführt, der Friede mit der bräuchlichen Formel „für jetzt und ewige Zeiten“ geschlossen, verbrieft und besiegelt worden, und das deutsche Volk ging wieder einmal an’s Flicken und an’s Stückeln.

In Arnstadt machte diese Arbeit nicht allzu viel zu schaffen, maßen es nur insoweit gelitten hatte, als für eine streng lutherische Stadt sich unumgänglich geziemte. Denn es lag, an den Fuß des Thüringer Waldes geschmiegt, abseits von den großen Heerstraßen und vor streifenden Truppen durch gedoppelte Mauern und feste Thore geschützt. Wenn dennoch einmal die Wächter, die von den Thürmen der Stadt und dem hohen Schloßthurm der gräflich Schwarzburgischen Residenz Neidecke in das Land spähten, einen feindlichen Haufen gemeldet hatten, der bis an die Wassergräben herangekommen war, dann hatten die Bürger ihre Säckel geöffnet und sich von der Kriegsfurie losgekauft, oder, so die Einlagerung nicht abzuwenden gewesen war, die fremde Soldateska so wohl aus ihren vollen Kellern tractirt, daß diese ein Einsehen genommen und wiederum die Stadt glimpflich behandelt hatte. Ereignete es sich bei solcher Heimsuchung, daß die Rittmeister in den Straßen sich todt hieben und stachen, oder der Obrist ein paar widersetzliche Soldaten auf dem Marktplatz henken ließ, so genossen sie des Schauspiels und priesen heimlich die göttliche Fügung, daß ein Bösewicht den andern auffressen mußte. Als aber der Löwe von Mitternacht, wie Gustav Adolph genannt wurde, herangezogen war, da hatten sie ihm Thor und Thür aufgethan, schalmeiet und ihn angeblasen, auch darauf gegen die ganze Nachbarschaft ob der Ehre, die ihnen widerfahren war, sich gerühmt.

Jetzunder handelten sie wieder als Männer von Einsicht und Verstand: sie griffen zur Arbeit. Die fruchtbare schwarze Erde der Stadtflur, welche sich zwischen der Altenburg, den drei Gleichen und der vom Thüringer Waldgebirge herab rauschenden Gera hinstreckt, trug schwere Weizenähren, die nun kein Rosseshuf mehr bedräute; unter dem Walpurgisholze hin zogen sich die Hopfenpflanzungen in schnurgeraden Reihen, die Stangen wurden nicht mehr in Wachtfeuern verbrannt. Die Brauhäuser dampften Tag und Nacht, auf daß sich die leer getrunkenen Fässer wieder füllten. Auf schwanken Gerüsten standen die Tüncher und frischten die Gemälde auf, welche die Häuser zierten und ihnen ihre Namen verliehen. Unter ihrem Pinsel erstund ob der Hausthür der Frau Schmidtin am Sperlingsberg der wachsame Kranich mit seinem Stein in der rechten Klaue in glänzendem Braun, gleich der Frucht des Kästenbaumes, wie man die Kastanien benamste; erneute sich an dem Hause des berühmten Brauherrn Nicolaus Fischer auf dem Rieth in allen Farben des Regenbogens die Schilderei, welche den großen Christopher darstellte, wie er, einen Tannenbaum als Wanderstäblein in der Hand, den Heiland der Welt durch die Meerfluth trug. Und da Friedenszeiten stets die Schreiberei begünstigen, so klapperte auch die weit und breit berühmte Papiermühle, welche sich am Liebfrauenkirchhof mit roth gemalten Balken und vorspringenden Stockwerken erhob, so rastlos, wie der Weißebach rauschte, der sie trieb. Nur heute am dritten Pfingstfeiertag stand sie still.

„Sie läuten Mittag, Hanne,“ sagte die Papiermüllerin, Frau Henningin, indem sie in die Küche trat, angethan mit einer großen blauen Schürze, an der ihr jüngster Sohn, das Benjaminlein, hing. Allda war Johanne, die älteste Tochter, beschäftigt, das Tischgeräth vom Schüsselbrett zu langen. Das junge Mädchen prüfte mit scharfem Blick die wie Silber glänzenden zinnenen Teller und Näpfe. Dann rief sie der Magd zu: „Trine, die Stockflecken wollen noch immer nicht weichen, die sich dem Geschirr dazumal einverleibt haben, als es vor dem Volk des Königsmark im Keller vergraben worden war, und der Napf hat die Beule behalten von dem Wurfe, den der Krawat nach Dir damit gethan hat.“

Trine, in einem Mützchen, das gleich einer breit gedrückten Düte auf dem Kopf saß, mit einem kümmerlichen Schleifchen im Nacken, wie es solch armem Mensch zukam, beugte das zusammengewelkte Gesicht mit den Heidelbeeraugen und dem runden Pflaumennäschen über den Suppennapf und antwortete seufzend: „Das kostbare Geräth trägt es in alle Ewigkeit nach, daß ihm einmal ungebührlich begegnet worden ist. Mir heilte die Kopfnuß schneller.“

„Der liebe Gott weiß, warum er seine Menschen prüft,“ sagte Frau Henningin mit einem mißvergnügten Blick auf ihr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_741.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)