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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 44.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Die Braut in Trauer.

Erzählung von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)
7.

Vetter Grün benutzte die Erlaubniß, sich nach seinem Belieben als Gast einführen zu dürfen, viel eifriger, als Helene erwartet hatte. Ihre Befürchtung, daß ihm die Hausgenossen bald gleichgültig werden würden, schien sich nicht bestätigen zu wollen. Er gab freilich allemal mehr, als er empfing, und hielt dies offenbar auch ganz in der Ordnung. Wenigstens ließ er sich selbst gegen die Cousine nichts merken, daß er etwas vermißte. Er fehlte auch bei den kleineren und größeren Gesellschaften selten, vielleicht nur so oft, als ihm gerade schicklich schien, um nicht für unvermeidlich gehalten zu werden. Dann konnte Helene überall das Bedauern aussprechen hören, daß man seine anregende Unterhaltung entbehren müsse. „Haben Dir neulich nicht die Ohren geklungen, Walter?“ pflegte sie ihn bei nächster Gelegenheit zu fragen, die sie manchmal selbst durch einen Besuch bei Onkel Benjamin herbeiführte.

Herr von Brendeln hatte sich ihm in jeder Weise entgegenkommend bewiesen. Zu Anfang schien es auch so, als hätten sich ein Paar Männer gefunden, die nach ihrer geistigen Structur zu einander gehörten und rasch gute Freunde werden müßten. Aber bald zeigte sich eine sehr merkliche Abkühlung. Sie gingen sich nun eher aus dem Wege, so weit dies möglich war. Betheiligten sie sich bei einem gemeinsamen Gespräch, so schien es sich ganz von selbst zu verstehen, daß auf die Behauptung des Einen der Andere gerade das Gegentheil vertheidigte. Diese Redekämpfe wurden oft sehr interessant. Vielleicht bewies sich der Assessor darin als der gewandtere Dialektiker, aber der Doctor hatte das tiefere und gründlichere Wissen für sich, und er überzeugte auch mehr.

Helene freute sich, in Vetter Grün eine feste Stütze finden zu können, deren sie in diesem Hause so sehr bedurfte. Es war ihr Wunsch, sich ihm recht innig anzuschließen. Sie durfte erwarten, daß er sich, wenn er erst im Hause bekannt geworden, vornehmlich mit ihr beschäftigen, sich liebevoll um sie bekümmern werde. Aber darin täuschte sie sich schwer. Er begrüßte sie, wie man eben eine Verwandte begrüßt, und verabschiedete sich auch so – mit einem nichtssagenden Wort, mit dem üblichen Händedruck. Er suchte nicht die Unterhaltung mit ihr, und wenn sie sich von selbst ergab, war sie so allgemeiner Natur, daß der Fremdeste Zeuge sein durfte. Oft stellte sie sich absichtlich allein in eine Fensternische oder an’s Clavier, immer so, daß sie von ihm bemerkt werden mußte. Sie wurde auch bemerkt, aber er machte nicht die mindeste Anstalt zu ihr zu treten, sondern ließ sich nur um so eifriger in das Gespräch mit dem Nächststehenden verwickeln. Es war, als ob er geflissentlich jedes Mißverständniß beseitigen wollte, als wuchere die Jugendthorheit noch heimlich fort und habe Mühe sich zu verbergen.

Sie empfand darüber den heftigsten Verdruß. Es war ihr gar keine Entschädigung, daß Herr von Brendeln fortfuhr sie auszuzeichnen und mit immer auffälligerer Ausschließlichkeit sich ihr zu widmen. Unlieb war ihr dies jetzt freilich nicht. Wenn Walter sich so wenig aus ihr machte, so war da doch ein Anderer, der sich desto mehr um sie bemühte.

Sie glaubte auch wirklich zu bemerken, daß Walter sich zu diesem augenfälligen Entgegenkommen nicht ganz gleichgültig stellte. Sprach sie mit Herrn von Brendeln, so streifte sein Blick viel häufiger an ihr vorüber, als wenn sich ein Anderer mit ihr beschäftigte. Wurde die Unterhaltung munterer, so konnte sie sich einbilden, daß Walter etwas wie Beunruhigung merkbar werden ließ. Gelegentlich fehlte es auch nicht an flüchtigen Aeußerungen über den „galanten“ Herrn Assessor, die scherzhaft eingekleidet waren, aber einen mürrischen Klang hatten. Verspürte er am Ende doch eifersüchtige Regungen? Mindestens beachtete er sie.

Sie hatte also ein Mittel, sich bei ihm Beachtung zu verschaffen. Trotzig sagte sie sich: gut! treib’s nur, wie du’s willst. Ich glaube dir nicht recht, daß du im Ernst von mir so wenig wissen willst. Wenn du aber dein Vergnügen daran hast, mich so obenhin zu behandeln, als ob ich für dich gar nicht zähle, so will ich mir wenigstens die Genugthuung schaffen, dich ein Bischen dafür zu ärgern. Und es ärgert dich, daß mir einer den Hof macht, den du nicht leiden kannst, und daß ich ihn nicht abfallen lasse, weil du ihn nicht leiden kannst. Ich will auch zeigen, daß ich mich ganz frei weiß. Ich will recht boshaft sein, um dir’s zu vergelten!

Darnach handelte sie nun auch. Und gar nicht boshafter meinte sie sein zu können, als wenn sie Herrn von Brendeln die Wege zu sich ebnete und ihn recht auffällig ermunterte, seine Liebenswürdigkeit an sie zu verschwenden. Hatte er sich auch keiner heimlichen Gunst zu erfreuen und mußte er sie für recht launisch halten, wenn sie an Abenden, wo Walter fehlte, ihm recht übermüthig zu erkennen gab, wie weit er vom Ziel sei, so durfte er sich zu anderen Zeiten doch zu seinen Erfolgen gratuliren. Sie hielt dann seinen schmeichelhaftesten Lobsprüchen und vorzüglichsten Redewendungen nicht nur muthig Stand, sondern schien durch ihr heiteres Lachen und ihre witzigen Antworten ihr Wohlgefallen daran beweisen zu wollen. Seine Aufforderung zu musiciren oder zu singen blieb selten unbeachtet, und er stand

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_709.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)