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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Durchführung des Geschützkampfes auf beiden Seiten für nothwendig erachtet worden waren.

Der praktische Theil der Uebung fand dann am Abend des 10. August in der Herstellung der ersten Parallele seinen Anfang. – Das Terrain vor der Nordfront der Festung gegen das Dorf Prosken hin ist trefflich dazu geeignet, diesen schwierigen Act bei der Belagerung einer Festung zur lehrreichsten Anschauung zu bringen. Gedeckte, von der Festung her nicht zu sehende, aber wohl mit Wurffeuer zu erreichende Anmarschwege – tief eingeschnittene Schluchten – gestatten es, die für den Bau der Parallele erforderlichen Arbeiter und die Truppen zum Schutz derselben gegen Ausfälle ungesehen bis auf 1000 Meter von den Festungswerken entfernt heranzuziehen. Ebenso ließ sich der Anmarsch an die Arbeitsstelle – das heißt die Parallele – selbst völlig gedeckt ausführen. Ein häufigeres Beleuchten des Vorterrains mittelst Raketen von der Festung aus gestattete jedoch dem Vertheidiger die emsig arbeitenden Pionniere und Infanteristen zu entdecken. Ein in Folge dessen unternommener Ausfall gegen die Arbeiter scheiterte an der Wachsamkeit der die Arbeiter deckenden Infanterie, sodaß die Ausfalltruppen unverrichteter Sache in die Festung zurückkehren mußten. Am nächsten Morgen war daher die Basis für den Nahangriff auf die Festung gewonnen, und schritt man bereits am nächsten Abend zur Erbauung der zweiten Parallele. Auch dieses Unternehmen gelang, sodaß bereits am Montag Abend von dieser zweiten, gegen die Festung vorgeschobenen Position der Sturm auf die Lünetten[1] unternommen werden konnte.

Wer dieses kriegerische Bild zu schauen Gelegenheit hatte, wird den herrlichen Eindruck niemals vergessen, welchen die Sturmcolonnen darboten, als sie in den magischen Lichtkreis traten, den die Leuchtfackeln hervorbrachten, welche von dem durch seine Vorposten alarmirten Verteidiger der Lünetten entzündet worden waren, um ein wohlgezieltes Feuer auf den heraneilenden Gegner richten zu können. Pionniere mit Sturmgeräth eröffneten den Reigen, begleitet von Schützen, welche ebenfalls ein heftiges Feuer auf die Schanzenbesatzung richteten. Sehr bald hatten die gewandten Pionniere alle die Lünetten umgebenden Hindernisse beseitigt und unschädlich gemacht. In Sturmeslauf nahten nun die Infanteriecolonnen, um sich in den Graben hinab, den Wall hinauf zu stürzen. Der Vertheidiger mußte dem jähen Anprall weichen, und die Lünetten fielen in des Angreifers Hand, welcher diese Werke nun seinerseits als einen festen Posten für sich selbst einrichtete. Am nächsten Abend wurde dann diese dritte Position nach beiden Flügeln weiter ausgedehnt, wodurch die dritte Parallele entstand, welche unsere Abbildung (S. 621) veranschaulicht.

Wir sehen auf derselben hinter der (im Vordergrunde abgebildeten) eingenommenen feindlichen Lünette und vor der Festung die Laufgräben der dritten Parallele, welche mit denen der zweiten durch die in Zickzackform laufenden „Approchen“ verbunden sind. Jeder Zickzack (Schlag) endet in eine bogenförmige Erweiterung, den sogenannten „Haken“, in welchen Infanterie oder leichtes Geschütz zur Vertheidigung der Laufgräben aufgestellt werden. Links vor der letzten Parallele ist die später erfolgte Sprengung einer Mine angedeutet.

Von dem Moment der Errichtung der dritten Parallele an sollte der bisherige unaufhaltsame Siegeslauf stocken. Die Nähe der Kernfestung forderte nunmehr ein langsames Tempo. Tage und Nächte mußte geschantzt werden, um nach und nach durch die Sappeure das Terrain überschreitbar zu machen, welches zwischen den Lünetten und dem Glacis der Festung liegt.

Frisch gewagt ist halb gewonnen! Diesem den tapferen Soldaten so häufig zu kühnen Unternehmungen drängenden Wahlspruche folgend, faßte jedoch der Angreifer in der Nacht vom 17. zum 18. August den Entschluß, sich auf überraschende Weise eine vierte Position, die vierte Parallele, am Fuß des Glacis zu erbauen.

Es gelang! Trotzdem von Neuem ein gebieterisches Halt! Wußte man doch, daß die Festung mit einem ausgedehnten Minensystem versehen war, und daß es dem Vertheidiger leicht werden würde, von hier aus durch unterirdische Sprengungen das weitere Vorschreiten der Angriffsarbeiten auf dem Glacis zu verhindern oder wenigstens in hohem Maße aufzuhalten. Jetzt galt es daher, den Kampf mit dem unterirdischen Gegner aufzunehmen, die Minengänge desselben zu zerstören und durch Sprengen von stark geladenen Trichterminen Logements[2] zu schaffen, von welchen aus nicht nur das nächste Vorterrain der Festung beherrscht werden konnte, sondern die auch dazu dienen sollten, mit neuen Angriffsminen dem unter der Erde wühlenden Feind immer mehr und mehr auf den Hals zu rücken.

Man hatte beliebt, den Minenkrieg gleichzeitig in zwei Angriffsverfahren, auf dem rechten Flügel mit Schlachtminen, auf dem rechten Flügel in förmlicher Weise, durchzuführen. Für letzteren Zweck wurde vor die vierte Parallele wiederum eine neue Position, das Minenlogement, vorgeschoben, um von hier aus Minengänge vorzutreiben, die, wenn weit genug, das heißt bis auf etwa fünfzehn bis zwanzig Meter, vorgearbeitet, mit Trichterminen geladen werden sollten. Das Logement kam bereits in der nächsten Nacht zu Stande; Tags daraus ausgebaut, erhielt dasselbe fünf fallende Gallerien, welche mit aller Macht vorgetrieben wurden.

Zum Zweck des Angriffs mittelst Schlachtminen gingen in der Nacht vom 20. zum 21. August die Sappeure vor die vierte Parallele vor, hoben daselbst ein Logement aus, in welchem bald darauf die Mineure einige Schächte ansetzten und schnell in die Tiefe hinabtrieben, die, in Summa mit achtzig Centner Pulver geladen, am nächsten Morgen gemeinsam gezündet wurden. Leider war der Himmel dem zu erwartenden großartigen Schauspiel der Explosion dieser mächtigen Ladung nicht günstig. Ein dichter Nebel verschleierte das Angriffsfeld. Die Spannung der Zuschauer erhielt hierdurch eine unheimliche, noch größere Steigerung. Um zehn Uhr Vormittags ertönte das Signal zum Zünden. Ein mächtiger Knall durchzitterte die Luft, die Erde erbebte, und mit furchtbarem, geisterhaftem Gepolter stürzten die in den Aether geschleuderten, dem Auge völlig unsichtbaren Erdschollen zur Mutter Erde zurück. Wir eilten alsbald an die Sprengstelle; ein sieben Meter tiefer, vierzig bis fünfzig Meter langer und etwa zwanzig Meter breiter Schlund gähnte die Beschauer in seiner großartigen Nacktheit an. Ein imposantes Bild der Zerstörung, ein schlagender Beweis für die Gewalt der aus den achtzig Centnern Pulver entwickelten Gase. Schnell waren Truppen zur Stelle, um diesen der Festungsbesatzung abgerungenen Minengraben zur Verteidigung einzurichten und zu besetzen.

So leicht und glücklich wie der Schachtminenangriff sollte dagegen der förmliche Minenangriff auf dem linken Flügel nicht verlaufen. Das Vortreiben der Angriffsgallerien konnte nur langsam gefördert werden, der schwere Lettenboden ließ sich nur mühsam durchbrechen. Außerdem wartete hier auch ein aufmerksamer Gegner und nur zu bald sollte der Angreifer verspüren, was ihm die kleinen Quetschladungen des Vertheidigers für Schaden zuzufügen im Stande waren.

Als endlich nach mehreren Tagen und Nächten und nach mühevoller anstrengender Arbeit zwei Pulverkammern zum Laden fertig gestellt worden waren, zündete der Vertheidiger hiergegen Quetschminen an, welche die Kammern arg beschädigten und das Fertigstellen der Trichterminen wieder auf längere Zeit hinausschoben. Jedoch die Gefechtspause benutzend, welche der Vertheidiger wegen der in seinen Gallerien befindlichen Pulvergase, die erst wieder vor weiterer Arbeit durch Ventilatoren entfernt werden mußten, zu halten gezwungen war, gelang es dem Angriffsmineur dennoch, in der nächsten Nacht die beabsichtigten zwei Trichterminen zu vollenden und am Morgen des 24. August zur Zündung zu bringen. Auch dieses Mal schleuderten wieder einige achtzig Centner Pulver die Erde gegen den Himmel; eine brodelnde Dampfwolke wälzte sich über die Festung hin, und ehe dieselbe sich noch aufgelöst, waren die Trichter schon von dem Angreifer besetzt, welcher sofort neue Gallerien auf der Sohle der sieben Meter tiefen kraterartigen Gebilde, deren obere Breite einige zwanzig Meter Durchmesser zeigte, ansetzte.

„Bis hierher und nicht weiter“, galt nunmehr das Losungswort des Vertheidigers. Alle Versuche, die neuen Gallerien aus den Trichtern weiter vorzutreiben, scheiterten an der Energie des Festungsmineurs.

Aber welch ein beschwerlicher Dienst, welche Aufopferung der Officiere und Mannschaften gehörten dazu, dem Losungswort nicht untreu zu werden!

Acht Meter und mehr unter der Oberfläche der Erde, bis zu


  1. Offene, vorgeschobene Festungswerke.
  2. Leichte Verbauungen und Deckungen von kleinerem Umfang für Infanterie oder Geschütze.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_620.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)