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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Das Entsatzheer drang so weit vor, daß der linke Flügel den Leopolds-Berg, das Centrum den Hendel- und Langenberg und der rechte Flügel den Hermanns, Kobel- und Sauberg besetzten. In dieser Stellung, welche der König um drei Uhr noch einmal beritt, erwartete man den großen Morgen.

Wie hatte der Türke Kara Mustapha sich für den Tag vorbereitet? Echt türkisch! Derselbe sah der allmählichen Anhäufung und Entwickelung der feindlichen Streitmacht mit dem schönsten Türkenphlegma zu. Nur zu einem Befehle raffte er sich auf: im Lager bei Hernals wurden 30,000 christliche Gefangene jeden Alters und Geschlechts bewacht, um in die Sclaverei abgeführt zu werden. Da aber die Abführung derselben jetzt unmöglich und deren Bewachung lästig war, so erhielt der Pascha von Temesvar den Befehl, sie alle niederzumetzeln! Das geschah am 8. September. – Am folgenden Tage entschloß er sich, Wien noch eiligst mit Sturm zu nehmen, zog es aber dann vor, auf der Höhe von Döbling und Währing die noch heute an ihn erinnernde „Türkenschanze“ zu bauen, und nachdem er am 11. September noch die „zu spät“ gekommene Besetzung des Kahlenbergs versucht hatte, kam er endlich zu dem Entschlusse, am 12. September das Entsatzheer zu vernichten.

„Morgenroth, leuchtest mir zum frühen Tod“. Als der Tag erwachte, erkannte der Scharfblick des Königs die Schwächen der türkischen Aufstellung, die von Nußdorf bis Dornbach sich hinzog. Ein Kriegsrath mit den übrigen fürstlichen Befehlshabern führte zu dem Entschlusse, die Schlacht noch heute zu wagen. Nachdem man gemeinsam in der Klosterkirche das Abendmahl genossen, eilten alle Führer zu ihren Truppen – es war sechs Uhr geworden – und gleich darauf donnerten die Kanonenschüsse in’s Donauthal, die das verabredete Zeichen zum Aufbruche gaben.

Der Kampf des Tages war sehr schwer, denn jetzt war an die Türken die Reihe gekommen, um ihre Selbsterhaltung mit dem Muth, ja mit der Wuth der Verzweiflung zu kämpfen.

Der Kampf begann zwischen acht und neun Uhr auf dem linken Flügel gegen die Stellung der Türken am Nußberge unweit Nußdorf. Osman Oglu, der hier befehligte, hatte von Sachsen und Oesterreichern sich von diesem wichtigen Punkte verdrängen lassen und setzte nun Alles daran, wieder Herr desselben zu werden. Trotz aller Kampftüchtigkeit stieg von Augenblick zu Augenblick die Gefahr des Erliegens – dem die nahestehende Reichsinfanterie des Fürsten von Waldeck ruhig zusah –, da ließ der Prinz von Baden sächsische Dragoner absitzen und mit zwei Kanonen vordringen. Das Gefecht stand wieder, aber erst als noch vier Dragonerdivisionen und schließlich auch die gesammte sächsische Infanterie herbeigekommen, wurden die Höhen von Nußdorf gestürmt, und nach einem abermaligen wüthenden Widerstand bei Döbling fielen Nußdorf und Heiligenstadt in die Gewalt des siegreichen linken Flügels.

Das Centrum und der rechte Flügel hatten so bedeutende Terrainschwierigkeiten zu überwinden, daß sie nur langsam vordrangen. Erst gegen Mittag rückte der König an der Spitze seiner Reiterei und unter dem Schutze von vier Bataillonen des Centrums, deren Geschütz aus dem Galizinberge aufgestellt war, unweit Dornbach aus dem Walde hervor, während das Centrum die Höhen von Grinzing (bei Patzelsdorf) besetzte und mit dem rechten Flügel Fühlung gewann. Vom Siege des linken Flügels begeistert, brannten die Krieger vor Kampfbegierde, und bald sollten sie diese Begierde in Uebermaß zu stillen haben. Denn Kara Mustapha zog den Kern seiner Truppen zusammen und entfaltete die grüne Fahne des Propheten. Und als nun der König mit seiner Reiterei sich mitten auf den feindlichen Heerhaufen warf, stieß er auf unbezwinglichen Widerstand. Ein Theil seiner Reiterei wurde aufgerieben, ein Theil floh sogar, und der Großwesir jubelte schon Sieg!

Da kam die Rettung durch den Herzog Karl. Er sah die Gefahr und forderte den Kurfürsten von Sachsen zu einem Generalangriff auf den rechten feindlichen Flügel auf; beide erstürmten die große Batterie bei Döbling und eine Redoute bei Währing, die Sachsen, als die ersten bei den Batterien, richteten die Kanonen gegen den Feind und fort stürzten die aufgelösten Massen in regelloser Flucht erst in ihr altes Lager und dann weiter ohne Widerstand und Aufenthalt.

Durch diesen Angriff war der Großwesir gezwungen worden, vom König abzulassen. Dieser sammelte, ordnete und ermuthigte indeß seine Reiterschaaren, und als er nun abermals bei Dornbach hervorbrach, ergriff die Türken der panische Schrecken. Vergeblich erhob der Großwesir selbst die heilige Fahne und beschwor seine Paschas zu neuem Kampfe, vergeblich fiel er sogar dem Khan der Tataren zu Füßen, seine Rettung von ihm erflehend – Alles vergebens! Um sechs Uhr war die Schlacht zu Ende. Schon um fünf Uhr hatte Prinz Ludwig von Baden mit sächsischen und österreichischen Dragonern vor dem Stubenthor sich mit den Wiener Ausfalltruppen Starhembergs vereinigt. Da gab es wohl ein Händedrücken wie nicht oft in der Welt.

In das Türkenlager war zuerst der Herzog Karl mit den siegreichen Sachsen eingezogen; später kam der König mit den Polen und endlich die übrigen Truppen. Die Beute war außerordentlich groß, fiel aber zu drei Viertel in die Hände der Polen. Der werthvollste Beutetheil waren 500 Kinder, deren Eltern in Gefangenschaft geschleppt oder gemordet waren. Sie alle nahm der Bischof in seinen Schutz.

Dieser Tag hatte den Türken gegen 15,000 Mann gekostet; der Glanz der Janitscharen war für immer verblichen. Das christliche Heer verlor gegen 5000 Mann, darunter 1200 Polen.

Am 13. September hielten die Sieger ihren Einzug in dem befreiten Wien. Am 14. gab der Kaiser sich diese Ehre. Am 15. fand die Zusammenkunft des Kaisers mit dem König statt. Es war bei Schwechat, wo zum Andenken an den großen Augenblick eine Pyramide errichtet worden ist. Schade, daß man nicht diesen Stein die Frage des Kaisers eingegraben hat:

„Wie soll ich den König empfangen?“
Und die Antwort des Herzogs:
„Majestät, mit offenen Armen, denn er hat das Reich gerettet!“

Wir wollen den kaiserlichen Undank, über den sich so Mancher zu beklagen hatte, als schwarze Wäsche der Geschichte, hier bei Seite liegen lassen. Manchen ist ja doch ihr Lohn geworden. So wurde Starhemberg zum Feldmarschall, Bischof Kollonitz vom Papste zum Cardinal ernannt, und der mutige Koltschitzky erhielt von der Stadt die Erlaubniß, aus den im Lager erbeuteten Vorräthen von Kaffee das erste Kaffeehaus in Wien zu errichten.

Wir wollen noch einen Blick auf die vier Haupthelden des weltgeschichtlichen Ereignisses werfen, von welchen leider nur drei auf unserer Illustration Platz gefunden haben. Ohne alle Frage verdankt man den großen Doppelsieg der Vertheidigung und der Entsetzung Wiens, nächst der Tapferkeit und dem Opfermuth der Truppen und der Bürger, dem Feldherrntalente des Königs von Polen und des Herzogs von Lothringen, der Kriegserfahrenheit und dem Muthe des Kurfürsten von Sachsen und den ritterlichen und männlichen Eigenschaften des Grafen von Starhemberg.

Der König stehe auch hier obenan.

Wie kam es, daß gerade der Polenkönig zum Oberbefehlshaber des Entsatzheeres ernannt wurde? War dies etwa eine Courtoisie, welche man dem Oberhaupte eines verbündeten Staates erweisen zu müssen glaubte? Keineswegs! Die Auszeichnung galt einzig und allein dem Manne, dessen kriegerische Thaten schon lange vor der Schlacht bei Wien die Bewunderung der damaligen Welt hervorgerufen hatten.

An der Ostgrenze Polens begann er seine Laufbahn als einfacher Edelmann, und in jenen blutgetränkten Ländern, in denen nie der Friede herrschte, sondern ein fast ununterbrochener Kampf mit der anwachsenden Macht der Russen, mit den rebellischen Kosaken und dem anstürmenden Halbmond tobte, führte ihn der Gott der Schlachten bis zu den höchsten Staffeln des Ruhmes und Ansehens, die je ein Bürger der adeligen Republik erlangen konnte. Nicht allein den Feldherrnstab, auch die Krone selbst legte die Fortuna in seinen Tornister.

Als im Jahre 1672 der polnische Thron durch den Tod des Königs Michael „verwaist“ war, stand Sobieski als Kronfeldherr im Felde, um den Türken ihre Eroberungen im Osten des Reiches zu entreißen. Bei Chocim griff er den Seraskier Hussein an und errang mit 30,000 Mann einen glänzenden Sieg über die doppelte Macht des Feindes. Jener Morgen des 11. November war einer der glorreichsten Tage seines Lebens, und wenn man die Thaten für sich selbst und nicht nach ihrer geschichtlichen Bedeutung beurtheilen will, ruhmreicher als der 12. September 1683, an dem er mit anderen Feldherrn sich in den Lorbeer theilen mußte. Der Schnee fiel in dichten Flocken, als Sobieski mit gezücktem Säbel seine Infanterie zum Sturm gegen die Wälle des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_599.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)