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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

die Kugel hatte seinem Leben gegolten, und er wußte, wer sie geschossen hatte.

Die Tücke hatte er David nicht zugetraut. Die Feigheit des Mordanschlages empörte ihn.

Wäre der Unterburgsteiner ihm offen entgegengetreten, er hätte es ihm verzeihen können. Diese That zeigte ihm, wie groß der Haß des Bauern gegen ihn war, es war jetzt zwischen ihnen ein Kampf auf Leben und Tod, und es war nicht einmal ein ehrlicher Kampf, denn aus einem Hinterhalte war in feiger Weise auf ihn geschossen. Das lag schwer lastend auf ihm. Gab es für ihn einen Schutz gegen die Tücke eines Meuchelmörders? Konnte sich derselbe nicht jeder Zeit an ihn heranschleichen und ihn durch eine Kugel niederstrecken, wenn er bei der Arbeit war?

Erschöpft und in Schweiß gebadet langte er in dem Hause seines Vaters an.

Er dachte an Moidl und ihre Verzweiflung, wenn der Anschlag Davids gelungen wäre. Dann hätte sie keinen Schutz mehr gehabt.

Er wollte am folgenden Morgen die Stelle des Ueberfalls wieder aufsuchen, er wollte nach den Spuren des Tückischen spähen, sie mußten ihm den Beweis geben, daß der Unterburgsteiner auf ihn geschossen hatte, denn die großen Füße desselben mußten zum Verräther werden. Aber selbst diese Hoffnung wurde ihm vernichtet, denn immer dichter fiel der Schnee und mußte schon jetzt jede Spur überdeckt haben.

Es war spät in der Nacht, als er sein Bett aufsuchte, und spät am folgenden Morgen erwachte er, es war ihm noch wüst im Kopfe.

Als er zu seinen Eltern in das Zimmer trat, blickte seine Mutter ihn besorgt an.

„Du siehst bleich aus, Hansel,“ sprach sie.

„Es ist nichts,“ entgegnete er und setzte sich an den Tisch, auf welchem der Napf mit dem Milchbrei stand. Aber nur wenige Bissen genoß er, dann legte er den Löffel auf den Tisch. Sein Auge blickte auf die alte Wanduhr.

„Wollt Ihr nicht in die Messe gehen?“ fragte er vor sich hinstarrend, denn die Tücke des Unterburgsteiners beschäftigte seine Gedanken.

„Hast Du nicht gesehen, wie stark es in der Nacht geschneit hat?“ warf sein Vater ein. „Wir beiden Alten können nicht in’s Thal hinab.“

„Auch Du solltest heute nicht hinab gehen!“ sprach seine Mutter.

„Weshalb nicht?“ rief Hansel, sich aus seinen Gedanken aufraffend.

„Es ist keine Bahn.“

„Nun, Einer muß sie zuerst machen,“ fuhr Hansel fort. „Mich kümmert der Schnee nicht, denn den Weg find’ ich schon. Mir soll Niemand nachsagen, der Schnee sei für mich zu hoch gewesen, um zur Messe zu kommen. Er hat früher oft noch höher gelegen und ich hab’ mich als Junge durchgearbeitet, wenn ich Morgens zur Schule ging. Das war ein Hauptspaß, wenn ich bis an die Schulter einsank und mich wie ein Maulwurf durchwühlte.“

Die Alte blickte mit stolzem Lächeln auf ihren Sohn.

„Du bist immer ein verwegener Bub’ gewesen,“ sprach sie.

„Es hat mir nicht geschadet, Mutter,“ entgegnete Hansel und verließ die Stube.

In Hast zog er seine Sonntagsjoppe an, denn aus dem Thale klangen bereits die Glockentöne, welche zur Messe riefen, zu ihm empor. Er nahm den Hut vom Nagel, und als er die Löcher in ihm erblickte, da zitterte seine Hand. Zum ersten Male wurde er sich bewußt, wie tief er David haßte.

Er stieg zum Thal hinab. Der Schnee lag hoch, aber er brach sich nicht mit lustigem Uebermuthe wie früher durch ihn Bahn. Der Oberburgstein war in Nebel gehüllt, wie eine feste Wand zogen sich die Wolken an dem Berge hin. Nur das Gehöft des Unterburgsteiners lag hell vor ihm, als ob es ihn herausfordern wolle.

Das alles wirkte verstimmend und erbitternd auf ihn. Der Schnee machte ihn müde.

Als er endlich in die Kirche trat, hatte die Messe bereits begonnen. Langsam, den durchlöcherten Hut in der Hand, schritt er zwischen den Kirchenstühlen vor und blickte nicht zur Seite, um die Andacht nicht zu stören. In der Mitte des Ganges blieb er stehen, hob den Hut zum Munde empor und flüsterte leise sein Vaterunser in denselben hinein.

Dann erst blickte er sich um und zuckte unwillkürlich zusammen, als er unmittelbar neben seinem Feinde stand. Sein Auge begegnete dem starren Blicke des Unterburgsteiners, er sah, wie dessen Gesicht erbleichte, wie seine große Gestalt zitterte. Der Tückische hatte ihn todt und unter dem Schnee begraben gewähnt, und nun stand er plötzlich an seiner Seite.

Glühend leuchtete sein Auge, einige Secunden hielt der Unterburgsteiner diesen Blick aus, dann trat er wankend zurück. Es trieb Hansel, vor ihn hinzuspringen, ihn an der Brust zu erfassen und ihm laut in’s Gesicht zu rufen, daß er einen Meuchelmord habe begehen wollen – die Heiligkeit des Ortes hielt ihn zurück.

Die Messe war beendet.

Als Hansel die Kirche verließ, suchte sein Auge vergebens seinen Feind, derselbe hatte vor ihm das Gotteshaus verlassen. Mit seinen Freunden trat er in das Wirthshaus. Es gährte und stürmte in ihm, denn die ganze Aufregung seit der Nacht zitterte in ihm nach.

Das bleiche Gesicht und der starre, erschreckte Blick David’s hatte ihm die Gewißheit gegeben, daß er sich in seinem Verdachte nicht geirrt, und doch konnte er nicht vor ihn hintreten und ihn anklagen, denn er durfte nicht gestehen, daß er mit der Geliebten sich getroffen hatte.

An dem Nebentische hatten sich mehrere Freunde des Unterburgsteiners niedergelassen, was kümmerte es ihn! Er trank hastig, um den in ihm zehrenden Groll zu bekämpfen, aber der Wein fachte denselben nur noch mehr an. Die Stelle seines Kopfes, welche die Kugel gestreift hatte, brannte wieder.

Die Freunde des Unterburgsteiners am Nebentische sprachen über dessen bevorstehende Hochzeit, sie schätzten ab, wie viel sein Gehöft gewinnen werde, wenn er auch die Felder, die Wiesen und den Wald des Oberburgsteiners sein nennen werde.

„Dann thut es ihm Keiner mehr gleich,“ sprach ein Bauer. „Wenn ich der Oberburgsteiner wär’, ich gäb’ ihm meine Tochter auch, denn einen bessern kann er nicht für dieselbe finden.“

Der Alte dachte nicht daran, Hansel zu kränken, er wußte nicht einmal, daß dieser die Moidl liebte, aber den jungen Burschen traf jedes Wort wie ein Stich. Er hätte aufspringen und dem Alten zurufen mögen, daß die Moidl nie das Weib des hochmüthigen Burschen werde; er beherrschte sich und ließ die Worte in sich zehren und seinen Groll noch erhöhen.

Hansel’s Freunde hatten keine Ahnung, was in ihm vorging, denn er lachte laut und stieß mit ihnen an, daß die Gläser klirrten.

„Hansel,“ rief der Sepp Plankensteiner, um den Freund zu necken, „der David war gestern Abend hier. Wir sprachen von Deinem Glück, welches Du auf der Gemsjagd hast, denn bis jetzt bist Du noch nicht leer heimgekehrt. Er behauptet, das letzte Thier, welches Du gebracht, sei ein Bock gewesen, der aus Alter verendet, Du habest ihn an der Stöckelspitz gefunden.“

Wie ein Feuer an der Lunte langsam glühend hinschleicht und weiter zehrt, bis sein erster Funke das Pulver erfaßt und zum Explodiren bringt, so war es mit Hansel’s Erregung. Es hatte gezehrt und gezehrt an ihm, seine Freunde hatten nicht bemerkt, wie das Feuer still weiter geglommen war, der Scherz des Freundes war der Funke in’s Pulverfaß.

Wie ein Blitz schnellte er von seinem Sitze empor, seine Wangen waren bleich, seine Augen glühten, sein ganzer Körper zitterte. Jede Selbstbeherrschung hatte ihn verlassen.

„Der David ist ein lügnerischer Bub’!“ rief er heftig, laut. „Wenn Du ihm begegnest, dann sag’ ihm, daß meine Kugel sicherer trifft als die seinige, und sag’ ihm, daß er mir ausweicht, denn ich habe etwas mit ihm auszumachen, was sich in Frieden nicht ausgleichen lasse. So soll es ihm ergehen!“

Er erfaßte sein Glas und schmetterte es so heftig auf den Tisch, daß die Splitter desselben bis zu der Decke des Zimmers flogen.

„Hansel, was ist Dir?“ riefen seine Freunde erschreckt, da sie seine Erregung nicht begriffen.

„Ich hab’ nur einen Scherz gemacht, Du hast ihn sonst verstanden,“ rief Sepp kleinlaut.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_546.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2023)