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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Metallbügel, der sich an der Tischplatte festklammern läßt und von dem ein Metallstäbchen nach aufwärts geht.

Dies Stäbchen, das man je nach der Größe des Schülers verlängern oder verkürzen kann, trägt oben eine näpfchenartig vertiefte Holzplatte, in welche der Schreibende seilt Kinn zu legen hat. Indem das Auflegen und Niederbücken zum Schreibhefte durch Anstemmen des Kinnes an die „Schreibstütze“ verhütet wird, strebt Soenneken zugleich eine Verbesserung der Körperhaltung an.

Auch dieser keine Apparat vermag, abgesehen davon, daß er wohl allzu sehr auf den guten Willen des Schülers rechnet, der nur ungern in dieser gezwungenen und absonderlichen Kinnhaltung verharren wird, den anatomisch-physiologischen Anforderungen nicht völlig zu entsprechen.

Fig. 5.
Der Soenneken’sche Geradehalter.

Insbesondere ist von Augenärzten dagegen geltend gemacht worden, daß die Haltung des Kopfes gegenüber der Schriftfläche eine ungünstige wird, indem die Augenachse mit der Tischebene nicht einen rechten, sondern einen stumpfen Winkel bildet. Auch fehlt hei dieser „Schreibstütze“ jeder Einfluß auf eine zweckmäßige natürliche Haltung der Schultern sowie der Wirbelsäule. Es ist entschieden anfechtbar, wenn behauptet wird, die Schreibstütze zwinge zum selbstständigen Geradesitzen und „erziehe mit der Zeit zu einer guten Haltung“.

Die Haltung ist ebenso „unselbstständig“ wie bei jedem Geradehalter; jeder Geradehalter übt einen „Zwang“ aus und es kommt nur darauf an, welcher Zwang für Auge, Brust und Wirbelsäule der rationellste, vortheilhafteste ist. Mit der Zeit „erziehen“ kann ein Geradehalter nur bei gleichzeitiger Aufmerksamkeit und Selbstbeobachtung des Kindes und genügender Kraft desselben. Ob das Anstemmen des Kinnes oder Brustkastens vortheilhafter ist, als das Zurückziehen der Schultern, darüber kann selbst der Laie kaum im Zweifel sein.

Fig. 6. Verstellbarer Schulschreibtisch.   Fig. 7. Der Fürst’sche Geradehalter.   Fig. 8. Der Schreber’sche Geradehalter.

Diese Thatsache, daß die sämmtlichen bisher existirenden Vorrichtungen nur auf einem Druck der Brust oder des Kinnes gegen eine Widerstand bietende Querstange, gegen Pelotten, oder gegen eine runde, ausgehöhlte Holzplatte, also auf einem Anstemmen der Vorderfläche des Körpers beruhten, veranlaßte den Verfasser zu der Verwirklichung einer schon seit längerer Zeit von ihm in den Grundzügen festgestellten Idee eines jeden Druck vermeidenden „Geradehalters“.

Das leitende Princip mußte unstreitig ein Zug der Schultern nach hinten sein, der dem Brustkasten eine völlig ungehinderte Vorwölbung, Ausdehnung und Athembewegung ermöglicht, ja, eine solche womöglich begünstigt. Das Ergebniß dieser Versuche, die „krumme Rückenhaltung“ mancher Schüler und Schülerinnen auf rationelle Weise zu beseitigen, führte den Verfasser zur Angabe des folgenden Geradehalters[1] (vergl. Fig. 7 und 10).

Ein Eisenstab a ist in senkrechter Richtung an der hinteren Seite der Lehne L einer mit schräger, verschiebbarer Tischfläche versehenen Hausschulbank (zur Noth auch an der Lehne eines gewöhnlichen Stuhles) mit zwei Schrauben XX befestigt. In der Mitte dieses Stabes befindet sich ein Schlitz, in welchem ein vorn mit flachem Knopf versehener eiserner Querstab b hinten durch eine Schraube S in jeder beliebigen Höhe, wie sie den Schultern des Kindes entspricht, fest eingestellt werden kann. Letzteres geschieht bei Kindern mit normaler Haltung horizontal, bei Kindern, die eine einseitige schiefe Haltung oder bereits eine hohe Schulter haben, kann man diesen Querstab derartig schräg stellen, daß man die Seite, welche der zu hohen Schulter entspricht, tiefer stellt, wodurch man zugleich die Ausgleichung einer solcher Mißform begünstigt. Nahe den Enden des Querstabes befinden sich auf dessen hinterer Fläche zwei Knöpfe cc'[WS 1] zum Befestigen der Achselriemen RR', und ganz an den Enden zwei spiral nach aufwärts gedrehte Haken dd', in welche die an den Riemenenden befindlichen Ringe sehr leicht eingehakt werden können, ohne wieder herauszugleiten. Diese Riemen werden, der Größe jedes Kindes angemessen, ein- für allemal so eingeknöpft, daß, wenn die Riemen unter den Achseln nach vorn geführt und dann die Ringe oben eingehakt sind, das Kind in ganz ungezwungener, aufrechter Stellung dasitzt, ohne sich vorbiegen zu können.

  Fig. 9.   Fig. 10.   Fig. 11.

Mit nicht größerem Zwang, als bei dem gewohnten Schultornister, werden die Schultern zurückgezogen, die Wirbelsäule streckt sich ein wenig, der Brustkorb tritt dem entsprechend vor und doch bleibt für alle nöthigen Bewegungen genügend freier Spielraum. Das Kind kann während der Arbeit seine Haltung nicht vernachlässigen. Es schlüpft selbst leicht in die Riemen und fühlt kaum den Zwang, da es durch den Schutornister gerade an diesen Riemenzwang gewöhnt ist.

Wenn man zur Aufnahme des Tintenfasses beim Schreiben in bequemer Entfernung an der rechten Seite der Schultischplatte einen eisernen oder hölzernen Ring anbringt, aus welchem, nach

  1. Käuflich bei Alex. Schädel in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: CC'
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_540.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)