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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)


Memento mori!

(Mit Illustration Seite 445.)

Mittsommertag – vor seiner Schwüle
Suchst, holde Maid, du Zuflucht hier;
Des alten Friedhofs schatt’ge Kühle
Weht um die heißen Schläfen dir.

Verloren ganz in süßes Träumen
Gingst achtlos du den Pfad dahin;
Geheimes Flüstern in den Bäumen
Nahm dir gefangen Herz und Sinn.

Da plötzlich aus der Blätterwildniß
Ragt auf vor dir ein Leichenstein,
Und einer Jungfrau ernstes Bildniß
Grüßt mahnend dich im Dämmerschein.

Es überrieselt dich ein Schauer:
Dir ist’s, als öffne sich ihr Mund
Und thäte dir in herber Trauer
Das Räthsel ihres Daseins kund.

Wo heut du gehst, ist sie geschritten
Im Prunke längst verscholl’ner Tracht;
Sie hat wie du geliebt, gelitten,
Sie hat wie du geweint, gelacht.

Dereinst vor hunderten von Jahren
War sie so jung und schön wie du –
Sie sank mit ungezählten Schaaren
Wie herbstlich Laub zur Todesruh.

Nur eine winzig kurze Spanne,
Da wirst auch du wie diese sein,
Verfallen dem urew’gen Banne –
Noch aber glänzt dein Sonnenschein.

So flieh die bange Todtenklage!
Dir ist die Welt noch reich geschmückt –
Nutz’ deines Sommers flücht’ge Tage:
Beglücke – und du bist beglückt!

 Ernst Scherenberg.




Das heilig’ Dirnd’l.

Von Hermine Villinger (H. Willfried).

Vom Dorf her kam die Boten-Burgl mit dem Moidl (Marie), und sie tummelten sich nicht wenig, denn sie mußten noch vor Einbruch der Nacht über den See, und hinten, aus der Wetterseite stieg ein Gewitter auf.

„Jesses, dös donnert schon!“ rief die Frau und bekreuzte sich.

„Mein,“ grollte das Moidl und warf einen vorwurfsvollen Blick zum behängten Himmel hinauf, „wenn ma amal im Jahr mit herüber darf, gleich donnern’s droben! Ich wäre so gern noch bei der Lis’l blieb’n – die Bilder, Jesus Maria, und gar noch die farbig’n Heilig’n und die Goldschal’n, Mutter! Ich bitt’ schön, nimm mich wieder mit!“

„Dös is nix für Dich, Moidl,“ entgegnete die Frau, „Du bleibst d’heim und hüt’st ’s Vieh, ’s taugt nix, wenn die Dirnd’l in Dein’ Jahren was Anderscht’s im Kopf hab’n, als ’s Vieh.“

„Je, was kann’s halt schad’n, wenn ich an der Lis’l ehnere schöne Sach’n denk! Das möcht ich wiss’n!“

„’s bleibt nit dabei, freili, wenn’s dabei blieb! Wo aber a Dorf is, da seind a Bub’n und mit ’m Anschau’n kommt alle Sünd’ in d’ Welt – mei Gott, Moidl, wann ich’s erleb’n thät, daß D’ mer d’ Buben anschaust und –“

„Ich hab’ g’wiß kein nit ang’schaut,“ betheuerte das Moidl.

Und die Alte fuhr fort:

„Denk’ an mich – denk’ immer an mich – Dein Vater hat mich auch ang’schaut und ich ihn – wie ich aber im Elend war, hat er mich sitz’n lass’n – kein Andrer aber hat mich mehr g’nommen. O Jesses, wann ich dös biss’l Frömmigkeit nit hätt’ – ich hätt’ mich halt nimmer ausg’wußt vor Herzeleid …“

Sie waren mittlerweile unten am See angekommen, dessen Wellen ziemlich bewegt gegen das Ufer schlugen. Burgl winkte einem Schiffer zu, der von drüben kam:

„Grüß Gott, Josef, geht’s noch?“

Der Bursche schaute nach dem Moidl, das mit gesenkten Augen hinter der Mutter stand, und sagte dann nach kurzem Besinnen:

„Jo – jo.“

Er legte den Nachen an, und die Frauen stiegen ein. Als sie sich mitten auf dem See befanden, brach das Gewitter los. Die Burgl betete aus Leibeskräften ein Vaterunser um’s andere, nichts desto weniger sank sie bei jedem heftigen Donnerschlage mit der Nase beinahe bis auf ihre Kniee herab, bei welcher Gelegenheit der Josef dann immer das Moidl zu sehen bekam, das hinter der Mutter saß und sich nicht rührte.

Als sie endlich ganz durchnäßt drüben anlangten, war es so stockfinster geworden, daß man den Weg vor sich nicht sehen konnte. Der führte dicht am See hin und dann steil empor, immer am Wasser entlang.

„Erbarmnuß Gottes,“ jammerte die Burgl, „da kenn’ ich mich ja selbst nit aus – heiliger Josef, steh uns bei!“

„No,“ meinte der Bursche, „ich glaub’, da kann ich schon besser aushelfen, halt Dich nur fest an mir, Burgl, und das Moidl soll sich auch halt’n –“

„Das Moidl halt sich an mir,“ fiel ihm aber die Alte in’s Wort.

Und so gingen sie zusammen den stockdunklen Weg entlang, dicht neben dem rauschenden See hin. Und so oft der Blitz diesen beleuchtete, flog die Burgl mit einem Angstschrei rechts gegen die Felswand, den Josef und das Moidl mit sich ziehend, sodaß sie allemal eine ganze Weile brauchten, bis sie wieder auf den Beinen standen. Da fluchte dann der Josef recht nach Herzenslust, indeß die Alte alle Heiligen des Himmels um ihren Beistand anrief.

Als sie von dem freien Weg in den Wald einbogen, in dem es so unheimlich krachte und dröhnte, da wurde der Burgl noch banger zu Muthe, und sie wollte durchaus in der heiligen Josef-Capelle, die da am Waldesrande stand, liegen bleiben, um im Schutze des Heiligen zu sein. Aber der Josef riß sie mit sich fort:

„Wenn’s eini schlag’n will, so schlagt’s halt eini, da kann kein Heiliger nix dagegen!“

„O Du gottvergessener Bub,“ klagte die Frau und humpelte an seiner Seite weiter, „Du red’st uns g’wiß in’s Unglück!“

„Sei doch a biss’l gescheidt, Burgl,“ meinte der Josef, tüchtig ausschreitend, „wenn D’ naß bist bis auf d’ Haut, so hilft all’s Bet’n nix, aber a trock’nes G’wand’l.“

Dagegen ließ sich nun eigentlich nichts einwenden, wenigstens sprach die Burgl nicht weiter, und so kamen sie ohne ferneren Aufenthalt droben in der kleinen Hütte an.

Die Burgl suchte in der Tasche.

„No, Josef,“ sagte sie, „Du verdienst schon was Bess’res, als ich Dir halt geb’n kann –“

„Ich nehm’ nix nit, Burgl,“ unterbrach er sie, „’s freut mich, wenn ich auch amal hab’ können Ein’ a Lieb’s thun, bin so a biss’l viel ’rumg’stoß’n word’n in der Welt, da woaß mer, wie’s thut.“

„Dann vergelt’s Gott, Josef!“

„Gut’ Nacht,“ sagte er.

„Gut’ Nacht,“ sagte auch das Moidl.

„Sakra –“ fluchte der Bursche und wandte sich noch einmal nach der Hütte um, „jetzt woaß ich, bei Gott, nit amal, was dös Moidl für Augen hat!“

Drinnen in der Hütte aber sagte das Moidl zur Mutter:

„Mei Gott, is dös a treuherziger Bub, a guter –“

„Moidl,“ rief die Burgl, „was hab’ ich D’ g’sagt – woher kommt all’s Elend der Welt?“

„Ich woaß schon, Mutter,“ erwiderte das Moidl mit großer Zuversicht, „ang’schaut hab’ ich ihn jo auch nit, aber hör’n hab’ ich ihn doch müss’n, d’ Ohren kann Keiner nit zumach’n.“ –

Am andern Morgen saß das Moidl droben auf der Alm und hütete das Vieh, aber es hatte noch ganz andere Dinge im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_444.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2024)