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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 24.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


  manicula Alle für die Redaction der „Gartenlaube“ bestimmten Sendungen sind zu adressiren:

An die Redaction der „Gartenlaube“, pr. Adr. Ernst Keil’s Verlagsbuchhandlung in Leipzig.




Das alleinige Recht der     
Dramatisierung vorbehalten.

Die Hochzeitsreise.

Humoreske von Zoë von Reuß.

 1.

„Und als der Großvater die Großmutter nahm,
Da war der Großvater ein Bräutigam,
Und sie war eine Braut!“

paukte der gemiethete Clavierspieler und sangbegleitend der sich im Tanzschritte durch alle bewohnbaren und nicht bewohnbaren Räume fortbewegende Chor. Der Bräutigam-Assessor hatte sich mit der Braut pflichtschuldigst an die Spitze gestellt, um die Tour anzuführen. Aber der Schwiegervater-Stadtrath hatte mit Scharfblick das Brautpaar von heute zur Seite geschoben und Großmama mit ihrem Cavalier, dem Rentier-Hausfreund-Erbonkel, an die Tête gedrängt. Die Alten konnten das besser! Was weiß unsere leichtbewegliche, hastige Gegenwart von der würdevollen Grandezza, von dem selbstbewußten und doch so unendlich naiven Genügen, welches unsere Ureltern den Großvatertanz ersinnen ließ? Dazu gehört Zeit, Ruhe, Würde und fingerdicker Brokat und steifleinene, lanzenspitze Vatermörder nebst einer goldenen Tabatière, wie sie der Onkel jetzt hervorzog und im Scherze seiner Dame präsentirte. Ja, es blieb wirklich ein Vergnügen, Großmama an der Seite ihres gemüthlichen Gesellschafts-Entoutcas sich im regelrechten Polonaisenschritte über den Parquetboden fortbewegen zu sehen. Wie sie bei der Sache war! Sie wollte es absichtlich nicht bemerken, daß der Zeiger der Wanduhr während des Umgangs bereits zehn Minuten fortgeschritten war, und daß der Kukuk draußen aus dem Vorzimmer durch seinen Ruf soeben an die schnellere Vergänglichkeit der[WS 1] glücklichen Minuten mahnte –

„Du mußt Dich wirklich nun umkleiden, liebes Kind, Ihr versäumt den Zug!“

Mit diesen Worten trieb der Vater das einzige geliebte Töchterlein selbst aus dem Hause. In Hochzeits- und Weinlaune floß das Wort so leicht von den Lippen, als gäbe es kein Morgen und keine Einsamkeit nach ihrem Scheiden. Tante Bertha, die in der Nähe stand und die Worte gehört hatte, machte ihrem Tänzer, dem alten Major, einen Knix und wandte sich trippelnd zu dem Brautpaare. Sie hatte es einmal übernommen, der lieben Mieze all die schönen und doch so aufregenden und beschwerlichen Tage hindurch behülflich zu sein, und wollte der Braut nun auch noch den letzten Dienst leisten und ihr beim Umkleiden helfen.

Tante und Nichte hatten nämlich ein Komplot geschmiedet, um Mama zu hintergehen. Marie wollte sich heimlich hinwegstehlen, um nicht Abschied nehmen zu müssen. Mama that auch, als wisse sie von nichts, und war nur mit ihren wirthlichen Pflichten beschäftigt. In diesem Augenblicke stand sie drüben in der Ecke und fächelte sich mit dem spitzenbesetzten Taschentuche. Es war wirklich nicht so leicht, eine respectable Brautmutter zu sein. Aber, du lieber Gott, was thut man in der Welt nicht alles um der Ehre willen! Erst hat man sein liebes einziges Töchterlein ohne allzu viel Bedenken dahingegeben. Er ist zwar brav, der Schwiegersohn – wenigstens so wie die Männer heutigen Tages sind. Aber man hätte sie eigentlich doch gern noch ein bis zwei Jahre im Hause behalten. Wenn es nur nicht so hübsch wäre, im Bekanntenkreise die Erste zu sein, die eine Tochter verheirathete. Wirklich, Mieze war rasch an den Mann gekommen, trotzdem sie nur eine mittelmäßige Partie war. Auch ließ sich gegen den Schwiegersohn absolut nichts einwenden. Er würde gewiß dereinst Carrière machen. Und beim Hochzeitsdiner war gleichfalls alles vorzüglich gewesen, vom Sect bis zum Radieschen hinab. –

„Du lieber Gott, wo bleibt aber nur der Kaffee? Selbst als Brautmutter muß man bei jeder Kleinigkeit nachsehen und trotz der Schleppe hinaus in die Küche.“

Die junge Frau war inzwischen in Begleitung von Tante Bertha in ihr kleines stilles Mädchenstübchen getreten. In dem freundlichen wohlgepflegten Raume sah es heute bunt und kraus aus. Da lag noch die heliotropfarbene Seidenrobe und der Hut mit den Orangeblüthen, den sie bei der Civiltrauung getragen hatte. Dazu Mantille und Handschuhe. Und dort in der Ecke hing der feine graue Reise-Anzug. Wie sie sich auf die Reise

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ver
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_381.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2024)