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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Eine jähe, blitzähnliche Bewegung ging durch die ganze Versammlung, Alle wandten sich um, alle Blicke hafteten auf dem Freiherrn, der sich noch in einiger Entfernung befand. Der Lärm verstummte, wie auf Commando, aber das dumpfe unheimliche Schweigen, das urplötzlich eintrat, war noch bedrohlicher für den Schloßherrn.

Da öffnete sich die Thür des Hauses und der Gemeindevorsteher selbst, Rainer und noch einige der angesehensten Bauern traten heraus. Auch sie stutzten, als sie den Freiherrn erblickten, der sich noch in einiger Entfernung befand, und in dem Gesichte des Vorstehers zeigte sich ein Ausdruck von Besorgniß, als er die aufgeregte Menge überblickte, Rainer dagegen sagte ganz laut:

„Der Werdenfels? Um so besser! Dann können wir es gleich hier auf der Stelle mit ihm ausmachen.“

Raimund hatte längst den Galopp seines Pferdes gemäßigt und kam jetzt im Schritt näher. Die Haltung der Bauern ließ keinen Zweifel darüber, daß und wie sie ihn erwarteten, aber er nahm keine Notiz davon, sondern sagte kurz:

„Was sperrt Ihr hier die Dorfstraße? Gebt Raum, daß ich hindurch kann.“

Der herrische, befehlende Ton war ebenso ungewohnt wie unvorsichtig in diesem Augenblicke, aber es lag darin jener herbe Trotz, der die Gefahr herausfordert, statt sie zu vermeiden. Die Menge schien diese Herausforderung auch zu begreifen, denn es wurde ein dumpfes Murren laut, und Rainer trat mit einer trotzigen Bewegung vor, als der Gemeindevorsteher, der einen Ausbruch zu fürchten schien, ihn zurückdrängte und an seiner Stelle das Wort nahm:

„Wir wollten eben zu Ihnen, Herr Baron, auf’s Schloß, um mit Ihnen zu reden.“

„Worüber?“ fragte Werdenfels, indem sein Blick kalt und verächtlich über die Menge hinglitt, die jetzt näher herandrängte. Die Dorfstraße war in der That in ihrer ganzen Breite gesperrt, und anstatt Platz zu machen, umgab man den Freiherrn und sein Pferd von allen Seiten, sodaß er weder vorwärts noch rückwärts konnte.

„Nun, über das, was heute Nacht passirt ist,“ antwortete der Vorsteher. „Ist es wahr, daß Sie bei den Gerichten Anzeige machen wollen, wie der Herr Pfarrer sagt?“

„Ja, denn ich bin nicht gesonnen, noch länger die Zerstörungen meines Eigenthums zu dulden. Uebrigens ist das meine Sache allein.“

„Nun, uns geht sie doch auch an, sollt’ ich meinen!“ brach Rainer los, der sich jetzt nicht länger zurückhalten ließ. „Daß Sie es nur wissen, Herr Baron, ich habe auch einen Buben dabei, und den laß ich nicht in’s Gefängniß. Ich leid’ es nicht, daß ihm etwas geschieht.“

„Das habt Ihr mit den Gerichten auszumachen,“ sagte der Freiherr ebenso kalt wie vorher. „Und jetzt noch einmal – macht mir Platz, ich will hindurch!“

Der Befehl wurde mit einer solchen Energie herausgeschleudert, daß die Bauern, überrascht und bestürzt, wirklich Miene machten, zu gehorchen. Eine rücksichtslose und furchtlose Energie wirkt immer auf die Menge, zumal hier, wo man sie gar nicht vorausgesetzt hatte, aber der Eindruck war nicht von Dauer.

„Oho, wollen Sie etwa mit uns umgehen, wie Ihr Vater?“ rief Rainer höhnisch. „Das geht heutzutage nicht mehr, die Zeiten sind vorbei, und mit Ihnen haben wir so noch eine alte Rechnung abzumachen!“

Die Worte schienen die Menge zu entfesseln, die bisher immer noch eine gewisse Zurückhaltung beobachtet hatte. Von allen Seiten erhob sich lärmende Zustimmung, das Murren wurde zum Geschrei, und Vorwürfe und Verwünschungen, wie sie nur der wildeste Haß, der krasseste Aberglaube erfinden kann, brachen gegen den Freiherrn los. Noch waren es bloße Worte, aber schon in der nächsten Minute konnten es Thätlichkeiten werden.

Der Gemeindevorsteher, der einzige Gemäßigte und Besonnene, versuchte es vergeblich sich Gehör zu verschaffen, er wurde überschrieen, und als er Rainer beschwichtigen wollte, stieß ihn dieser ohne Weiteres zurück.

Raimund hielt inmitten der tobenden Menge, ohne auch nur den Versuch einer Beruhigung oder Verständigung zu machen. Er blickte so fremd und theilnahmlos auf all dies Lärmen und Drohen, als sei er gar nicht der Gegenstand desselben, in seinem Antlitz lag wieder jene todte eisige Ruhe, die mit der Welt und den Menschen abgeschlossen hatte; er war ja gescheitert mit dem Versuche, ihnen wieder nahe zu treten! Nur in seinem verdunkelten Blicke zuckte etwas auf wie herbe Verachtung, als er auf diese Menschen niedersah, denen er hundertmal die helfende Hand gereicht hatte, deren Sicherheit er mit einem Opfer von vielen Tausenden hatte erkaufen wollen – und die ihm nun so lohnten.

„Geben Sie mir meinen Buben heraus und die Anderen dazu!“ schrie Rainer in zügelloser Wildheit. „Wir dulden es nicht, daß sie im Schlosse eingesperrt bleiben. Geben Sie sie heraus!“

„Ja, sie müssen heraus! Wir wollen sie heraus haben!“ tobte und schrie es von allen Seiten, und Roß und Reiter wurden so dicht umdrängt, daß sie sich nicht regen konnten.

Werdenfels hielt mit vollster Kraft den schnaubenden, bäumenden Emir im Zügel, der mit jeder Minute scheuer und wilder wurde: wäre er nicht so vollständig des Thieres Herr gewesen, es hätte sich mit seinen Hufen gewaltsam Bahn geschafft durch seine Bedränger.

Noch wagte sich Niemand an den Freiherrn, aber jetzt gab ein halberwachsener Bursche das Zeichen zum Angriff, indem er die Zügel des Pferdes packte.

„Laß das Pferd los!“ sagte Raimund mit dumpfer, halb erstickter Stimme. „Laß los oder –“

Der Bursche gehorchte nicht – er wandte sich im Gegentheil jetzt gegen den Freiherrn selbst und versuchte ihn herabzureißen.

Raimund zuckte zusammen, als die rohe Faust des Burschen ihn berührte, sein eben noch so bleiches Gesicht wurde von einer flammenden Röthe übergossen; er hob sich hoch im Sattel, die Reitpeitsche pfiff durch die Luft, und ein furchtbarer Hieb sauste nieder auf den Angreifer, sodaß dieser, laut aufschreiend und mit einer blutigen Strieme, zurücktaumelte.

Ein allgemeiner Aufschrei der Wuth und Rache folgte der raschen That, man war im Begriff, sich auf den Freiherrn zu stürzen, aber dieser hatte die Reitpeitsche von sich geworfen und eine Pistole hervorgezogen, welche auch er jetzt immer bei sich trug.

„Zurück!“ rief er, mit einer Stimme so voll und mächtig, daß sie den ganzen Tumult beherrschte. „Zurück, sage ich! Wer es wagt, mich anzurühren, ist des Todes!“

Die Bauern wichen zurück, sogar Rainer ließ die erhobene Hand sinken. Sie waren Hundert gegen Einen, der bei einem allgemeinen Ansturm leicht überwältigt und niedergerissen wurde, aber es war eine alte Erinnerung, die ihre Arme lähmte.

Sie hatten es bisher nicht gewußt, daß auch der jetzige Herr von Werdenfels die Züge seines Geschlechtes trug, weil der Ausdruck bei dem ernsten, düsteren Manne ein so ganz anderer war, in diesem Augenblicke aber trat die Aehnlichkeit mit seinem Vater so unverkennbar, so überwältigend hervor, als sei jenes Bild im Schlosse aus seinem Rahmen gestiegen.

Die Meisten kannten noch jenen Ton und jene Stimme, die sie so oft aus dem Munde des verstorbenen Freiherrn gehört hatten, und das waren auch seine wildflammenden Augen, sein ganzes Antlitz, als sei er aus dem Grabe erstanden und mit ihm die alte Zeit, wo er noch ungestraft Tyrann sein durfte und niedertrat, was sich ihm in den Weg stellte. Dies plötzliche energische Aufflammen des Sohnes, der sich vor ihren Augen zu verwandeln schien, erfüllte die Bauern mit abergläubischem Staunen und die Todesdrohung, die er ihnen entgegenschleuderte, jagte sie vollends in Schrecken.

Man wußte es ja, daß der Felsenecker „fest“ war, daß Niemand ihm etwas anhaben konnte. Er streckte vielleicht mit einer einzigen Kugel die sämmtlichen Angreifer zu Boden und schwang sich dann durch die Luft davon, nach seinem unzugänglichen Bergschlosse, gegen Hexenkünste half ja keine Uebermacht – der Aberglaube, der dem Freiherrn so oft verhängnißvoll geworden war, schien jetzt seine Rettung zu werden.

Der Lärm verstummte, die dichtgekeilte Menge öffnete sich und machte Anstalt, den Weg freizugeben. Rainer, der mit finsterer Stirn und zusammengebissenen Zähnen dastand, sah das,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_367.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2024)