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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Die Anfänge des Geldes.

Wie sinnig hat unsere Muttersprache das Wort für jenes Gut gewählt, mit welchem wir alle anderen Güter in der menschlichen Wirthschaft eintauschen! Sie nennt es Geld, weil es überall gilt. Am Faden dieses Gedankens findet man sich im Labyrinthe des Geldbegriffes leicht zurecht, der nach der Bemerkung eines englischen Schriftstellers viel mehr Menschen verrückt gemacht habe, als die Liebe!

„Aber was gilt denn überall,“ wird man fragen, „da Datteln, Stockfisch, Salz, Felle, Vieh einmal Geld gewesen sind?“ Die Antwort wäre leicht. Doch – versetzen wir uns einige Augenblicke in eine Ansiedelung im fernen Westen, dann wird eine Antwort überflüssig sein.

Ueber das fruchtbare Thal zerstreut wohnen einige Dutzend Ansiedler. Nach und nach haben sich ein Schmied, ein Schneider, ein Schuster eingefunden und hantiren mit dem Blasebalge, der Elle und dem Pechdrahte. Darauf kam ein junger Arzt. Ja zuletzt hat dort ein Setzer eine Zeitung gegründet. Die Ansiedler sind weit vom Markte entfernt. Sie erhalten nur selten kingende Münze für ihre Waaren, und wenn der Schmied, der Schuster und der Schneider für die Farmer arbeiten, dann bekommen sie Getreide, Kartoffeln, ein fettes Schwein für ihre Schuhe, ihre Nägel, ihre Schlösser und Röcke. Bei dem Arzte sammelt sich eine wilde Collection von Weizen, Stiefeln, Hosen, Schuhnägeln und Kartoffeln an. Der Setzer versteht es, sich mit Geschick in die Culturverhältnisse vergangener Jahrhunderte zu versetzen. Er kündet auf dem Titelblatte seiner Zeitung an, daß ein Jahresabonnement ein Paar Stiefel oder drei Hektoliter Weizen oder fünftausend Schuhnägel oder ein Dutzend ärztliche Besuche koste. Bis jetzt sieht das noch ganz lustig aus. Aber es häufen sich Schwierigkeiten auf Schwierigkeiten. Wie viel Pfund Kartoffeln ist ein Recept werth? Wie viel Centner Getreide ein Anzug? Wie viele Hufnägel gehen auf eine gute Weste? Wenn die Leute in der Colonie nun daran denken, daß es ihnen in Europa leicht wurde zu sagen, wie viel ein jeder Gegenstand werth war, dann kommen sie zur Erkenntniß einer Seite des Geldes, die wir in unseren civilisirten Zuständen meistens übersehen, daß es nämlich der allgemein geltende Werthmaßstab ist, daß wir an ihm den Preis der Dinge messen, wie wir am Pfunde ihre Schwere, am Meter ihre Länge messen. Von welcher Bedeutung das ist, wird man sich unschwer vorstellen können, wenn man es versucht, zehn Dinge, die man um sich hat, an einander abzuschätzen. Drückt man ihren Werth in Geld aus, so braucht man nur zehn Preisangaben, mißt man ihren Werth aber an einander, dann hat man fünfundvierzig Werthangaben nöthig.

Dann kommt eine zweite Schwierigkeit. Der Schuster hat unglücklicher Weise am Schmied seinen besten Kunden, weil er die meisten Stiefel zerreißt, hier und da ein Schurzfell braucht, aber der Schmied kann ihm dafür nur immer wieder Schlösser und Schuhnägel liefern. Der Schuhmacher müßte ja verhungern, wenn er nur immer Nägel erhielte. Getreide ist ihm jedenfalls lieber, davon kann er sich Brod backen, wenn es auch vorkommen mag, daß er zu viel erhält, es nicht wieder los wird und sich Leder dafür anzuschaffen nicht im Stande ist. Bei diesen und ähnlichen Vorkommnissen werden auch die Leute im fernen Westen durch eine Vergleichung mit den Zuständen in Ländern mit Gold- und Silbergeld der Annehmlichkeit bewußt werden, etwas für ihre Mühe zu erhalten, wofür überall ein Bedürfniß vorhanden ist, was leicht von Hand zu Hand wandert, was überall gilt. Sie fühlen das Bedürfniß eines allgemeinen Tauschmittels. Wir köunen es nun leicht verstehen, daß in verschiedenen amerikanischen Colonien der Tabak lange Zeit als allgemeines Tauschmittel, als Geld gebraucht wurde.

Doch wir sind mit den Schwierigkeiten noch nicht zu Ende. Der Arzt hat dem Schneider einmal im Jahre ein Recept zu verschreiben. Nun rechnet der Schneider, daß zwanzig ärztliche Besuche auf einen Rock gehen. Was soll da geschehen? Soll der Rock in zwanzig Theile getheilt und ein Theil dem Arzte ausgezahlt werden? Dann hätte der Rock gar keinen Werth mehr. Wie viele Vorzüge hat da das Metallgeld! Die kleinsten Beträge bis auf den Pfennig herunter und die höchsten bis in die Milliarden hinauf lassen sich durch eine Stufenleiter von Münzen berichtigen. Der Stoff, welcher zur Würde des Geldes erhoben werden soll, muß aber leicht theilbar sein. Und nun kommen wir zur letzten Schwierigkeit.

Man denke sich, daß der Zeitungsverleger in einer Gegend lebt, wo hauptsächlich Baumfrüchte gezogen werden. Für sein Blatt werden ihm die Kirschen centnerweise in’s Haus geschickt. Was soll er damit machen? Sie alle essen oder verfaulen lassen? Die Nutzanwendung liegt auf der Hand. Der Geldstoff muß leicht aufbewahrt werden können.

Was überall gelten soll, muß also drei Anforderungen entsprechen: sein Besitz muß erstens von Allen oder den Meisten erstrebt werden, es muß zweitens leicht theilbar und drittens dauerhaft sein. Der Gegenstand, welcher diesen Anforderungen in einem bestimmten Lande, zu einer bestimmten Zeit am meisten entspricht, wird allgemeines Tauschmittel, und der Preis aller Sachen wird in ihm festgesetzt. Er wird Geld. Nun sind die Bedürfnisse und die Naturproducte in verschiedenen Ländern verschieden, ebenso verschieden wird der Geldstoff sein.

Beobachten wir zunächst, welchen Einfluß das zwingendste Bedürfniß, der Hunger, in Ländern mit verschiedenen Producten hat. An den westlichen Abhängen des Hochlandes von Anahuac ist die Heimath der Cacaobohne. Cacao war das Nationalgetränk der Mexicaner. Die Bohne entsprach also einem allgemeinen Bedürfnisse. Sie läßt sich bekanntlich leicht aufbewahren. Eine einzige Bohne hat geringen Werth, aber da ihre Zahl einer unberechenbaren Zunahme fähig ist, können mit Cacaobohnen auch werthvolle Gegenstände bezahlt werden. Wir können uns daher nicht darüber wundern, daß sie den Mexicanern als Geld gedient hat.

Dasselbe trifft bei der Dattel zu. Wer hat niemals von den Lobsprüchen der Orientalen auf die Datteln gehört? Eine gute Hausfrau, heißt es, kann einen Monat lang ihrem Hausherrn jeden Tag eine neue von Datteln bereitete Speise vorsetzen. Sie ist denn auch in der Oase Siwah in Afrika und in verschiedenen Theilen Persiens Geld gewesen. Das Dattelgeld eröffnet uns einen eigenthümlichen Blick auf die Weise, wie sich im Leben die Erscheinungen an einander reihen. Als später in Persien Metallgeld geschlagen wurde, hatten die ersten Münzen die Gestalt eines Dattelkerns.

Auf ähnliche Betrachtungen führt uns der Kabeljau, der bekanntlich in großen Mengen auf der Bank von Neufundland gefangen wird. Wenn man bedenkt, wie sehr wilde Völker, ja die Fischer in unserer Zeit auf Fischnahrung angewiesen sind, wie leicht sich der Kabeljau aufbewahren läßt, da er gesalzen, getrocknet, getrocknet und gesalzen werden kann, mit wie geringer Mühe das Thier in die kleinsten Theile zu zerlegen ist, dann wird man in Papiergeldländern geneigt sein, die Neufundländer um ihr gutes Stockfischgeld zu beneiden.

Wenden mir uns nun von der unwirthlichen Insel im atlantischen Ocean nach den Hochebenen des inneren Asiens und nach Sibirien! Dort sehen wir den Thee in Ziegelform als Geld von Hand zu Hand wandeln, was wir bei den Eigenschaften des Thees (Dauerhaftigkeit und Theilbarkeit) und dem allgemeinen Bedürfniß nach demselben fast selbstverständlich finden.

Was wäre die beste Speise ohne die einfachste, die älteste Würze, das Salz? Erwägt man, daß Reich und Arm es gebrauchen muß, daß es leicht theilbar und dauerhaft ist, dann erblickt man gar nichts Befremdendes darin, es in vielen Erdstrichen, besonders aber in salzarmen Gegenden mit der Würde des Geldes bekleidet zu sehen, so z. B. an der Grenze von China und Birma und besonders im inneren Afrika. Wie der Thee in Ziegelform von bestimmter Größe gepreßt wird, damit an ihm leicht alle Gegenstände gemessen werden können, so giebt man dem Salze die Form einer Tafel oder eines Barrens von conventionellem Umfang. Kleine, längliche Salzwürfel haben in manchen Gegenden Afrikas ungefähr den Werth von 5 Pfennig.

Dem Nahrungsbedürfniß giebt das Bedürfniß nach warmer Kleidung in kalten Gegenden nichts nach. Die Jägervölker bieten das Schauspiel, daß dieses Bedürfniß und der Charakter ihres Erwerbes über den Geldstoff entscheiden. Was ist auf diesen niedrigen Culturstufen das Wünschenswertheste und Dauerhafteste?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_179.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2023)