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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Das wäre mir allerdings sehr erwünscht, ich sehe aber diese Möglichkeit nicht ein bei den jetzigen Verhältnissen, indessen lassen Sie hören!“

„Gnädige Frau,“ begann Freising mit großer Feierlichkeit. „Sie sind Wittwe!“

„Allerdings,“ sagte Anna, etwas befremdet über diese Einleitung.

„Und ich bin Junggesell!“ fuhr der Justizrath fort.

Die junge Frau sah ihn verwundert an.

„Auch das ist mir bekannt.“

„Es ist aber etwas Trauriges um solch ein Junggesellenleben. Ich fühle mit jedem Jahre mehr meine Vereinsamung, ich sehne mich unendlich nach einer Lebensgefährtin –“

„Herr Justizrath!“ unterbrach ihn Anna erschrocken; denn jetzt wurde ihr die Bedeutung der Rosen klar, aber der Herr Justizrath ließ sich nicht unterbrechen, sondern sprach so geläufig weiter, als stelle er einen Antrag vor Gericht. Er berief sich auf die langjährige Bekanntschaft, erwähnte seine ausgebreitete Praxis, sein nicht unbedeutendes Vermögen, betonte seine Uneigennützigkeit, die ihm bei der genauen Kenntniß aller Verhältnisse allerdings zugegeben werden mußte, und hielt endlich in aller Form um die Hand der jungen Frau an.

In Anna’s Zügen malte sich eine peinliche Empfindung; sie hatte die Blumen bei Seite gelegt und sagte jetzt mit leisem Vorwurf:

„Herr Justizrath, diese Stunde hätten Sie sich und mir ersparen sollen. Ich ahnte nicht, daß unser freundschaftlicher Umgang derartige Gefühle in Ihnen erweckte – sonst hätte ich es nicht so weit kommen lassen.“

„Sie weisen mich ab?“ rief Freising in bitterer Enttäuschung.

„Ich hege die höchste Achtung, die aufrichtigste Freundschaft für Sie und werde Ihnen stets die Dankbarkeit bewahren, die ich Ihrem treuen Rath und Beistand schulde.“

„Ja, gnädige Frau, damit kann ich nichts anfangen,“ sagte der Justizrath wehmüthig. „Das haben mir all die Damen angeboten, denen ich meinen Antrag machte.“

„Haben Sie denn das schon öfter gethan?“

„Schon dreimal! Und immer habe ich nur Hochachtung und Freundschaft bekommen statt des Jawortes.“

Das eigenthümliche Geständniß kam so schmerzlich heraus, daß Anna ihr Lächeln unterdrückte und tröstend sagte:

„Das ist aber unbegreiflich bei einem Manne von Ihrer Stellung und Ihren Verdiensten. Bei mir walten eben ganz besondere Verhältnisse ob.“

„Ja, es ist eben mein Unglück, immer auf diese ganz besonderen Verhältnisse zu stoßen,“ seufzte Freising. „Die erste Dame, an die ich mich wandte, erklärte mir, sie könne nur einen Künstler lieben; ein Jurist habe höchstens Anspruch auf ihre Achtung; sie verlobte sich denn auch gleich darauf mit einem jungen Maler. Die zweite gab mir ihre Absicht kund, in ein Kloster zu gehen, aber sie ließ mir ihre Freundschaft zurück. Die dritte gestand mir, daß sie bereits einen Anderen liebe, und nahm meine Hülfe bei ihren Eltern in Anspruch, die gegen diese Partie waren, wofür sie mich ihrer ewigen Dankbarkeit versicherte – und jetzt weisen auch Sie mich ab!“

„Soll ich deshalb einen treuen, bewährten Freund verlieren?“ fragte die junge Frau, ihm die Hand hinstreckend.

„Nein, das sollen Sie nicht,“ sagte der Justizrath mit Selbstüberwindung, indem er die dargebotene Hand ergriff, und nun erfolgte zum vierten Male der übliche Austausch von Hochachtung und Freundschaft, der ihm trotzalledem wohlzuthun schien; denn er sah einigermaßen getröstet aus, und als Anna die Rücksicht so weit trieb, ihren Shawl umzuwerfen und den abgewiesenen Freier bis zu dem Gitterthor zu begleiten, wo sein Wagen hielt, schien das alte freundschaftliche Verhältniß wieder hergestellt zu sein.

Inzwischen hatte Lily im Nebenzimmer Mühe gehabt, sich nicht zu verrathen; denn sie war mehr als einmal in Versuchung gewesen, laut aufzulachen. Als aber jetzt der Wagen fortfuhr und gleichzeitig Fräulein Hofer wieder eintrat, flog das junge Mädchen ihr entgegen und rief mit einem Ausbruch stürmischer Heiterkeit:

„Der Freitag hat doch Recht behalten! Der Onkel Justizrath hat sich einen Korb geholt, und denken Sie nur, es ist schon der vierte, den er erhält!“

„Sie haben gehorcht, Lily?“ fragte das Fräulein in vorwurfsvollem Tone.

„Natürlich!“ bestätigte Lily, die gar nichts Unrechtes darin fand, und begann nun die Scene, die sie erlauscht hatte, in sehr komischer Weise zu schildern. Aber das machte nicht den beabsichtigten Effect – Fräulein Hofer zog die Stirn kraus und verwies dem jungen Mädchen ernstlich die Spöttereien über diesen „höchst achtungswerthen Mann“.

„Aber Sie können ihn ja nicht leiden,“ warf Lily ein, sehr erstaunt über diese Parteinahme. „Er ist ja auch bei jeder Gelegenheit Ihr Widersacher.“

Fräulein Hofer gerieth einen Augenblick in Verlegenheit, faßte sich aber sofort wieder und sagte salbungsvoll:

„Das ist er, aber man darf auch seinen Feinden nichts Böses wünschen!“

Anna war nicht wieder in das Haus zurückgekehrt, sondern machte einen Gang durch den Garten; Lily bemerkte das und stürmte ihr nach. Sie hatte gleichfalls nur ein leichtes Mäntelchen übergeworfen und war gerade bis zu dem Gewächshaus gekommen, als sie einen zweiten Wagen vorfahren und zu ihrer Ueberraschung den jungen Baron Werdenfels aussteigen sah. Das junge Mädchen wußte oder errieth doch wenigstens, daß dieser Besuch einzig ihrer Schwester galt; Paul’s Augen hatten damals im Pfarrhause deutlich genug gesprochen, aber einen Gruß hatten er sicher für seine kleine Bekannte vom Schloßberge übrig, und sie blieb unwillkürlich stehen, um diesen Gruß zu erwarten.

Aber Paul bemerkte sie nicht einmal, obgleich er in geringer Entfernung vorüberging. Er hatte sofort beim Aussteigen die hohe dunkle Gestalt dort am anderen Ende des Gartens entdeckt, und nun hing sein Auge so fest an diesem einen Punkte, daß alles Andere für ihn nicht existirte. Er trat nicht in das Haus, sondern suchte sofort die junge Frau auf, und dabei strahlte sein ganzes Antlitz, als sei dieses Alleinsein, in dem er sie traf, ein langersehntes Glück.

Lily senkte das Köpfchen; sie hatte keine Lust mehr, zu der Schwester zu gehen und an der Unterhaltung Theil zu nehmen, bei der sie so gänzlich überflüssig war; man sah sie ja nicht einmal. Leise trat sie hinter einen Pfeiler des Gewächshauses zurück; sie wollte diesmal nicht lauschen, was bei der weiten Entfernung auch gar nicht möglich war, aber sehen durfte[WS 1] sie doch die Beiden, die jetzt dort drüben in der blätterlosen Allee auf und nieder gingen und keine Ahnung davon hatten, daß sie beobachtet wurden.

Die Unterredung dauerte sehr lange und schien im Gegensatz zu jener Scene mit dem Justizrath sehr ernst zu sein. Anfangs sprach Paul viel und lebhaft, aber die Antworten der jungen Frau mußten wohl seine stürmische Beredsamkeit dämpfen; denn er wurde immer stiller, bis endlich Anna selbst das Wort nahm. Auch sie sprach lange und eindringlich und schien einzelne leidenschaftliche Bemerkungen ihres Begleiters zurück zu weisen; denn dieser verstummte endlich ganz und stand regungslos da, das Auge auf den Boden geheftet.

Es folgte eine kurze Pause; dann reichte Anna ihm die Hand, die Paul, ohne aufzublicken, an seine Lippen zog, und nun wandte die junge Frau sich ab und kehrte in das Haus zurück.

Lily hatte eine Ahnung von dem, was sich dort begeben hatte, obgleich der junge Baron keinen Frack und kein Bouquet trug; sie wollte sich natürlich nicht zeigen und blieb deshalb an ihrem Platze, aber Paul, der nach einigen Minuten auch zurückkehrte, nahm diesmal den nächsten Weg, der ihn dicht am Gewächshause vorbeiführte.

Er ging sehr langsam, und sein hübsches Gesicht, das vorhin so glückselig strahlte, war jetzt so bleich und trug den Ausdruck eines so bitteren Schmerzes, daß Lily all ihre Vorsätze vergaß. Sie war in diesem Augenblicke noch ganz Kind und wußte nicht einmal, daß sie eine Tactlosigkeit beging, als sie plötzlich hervortrat und mit angstvoller Miene fragte:

„Herr von Werdenfels, was ist Ihnen denn?“

Paul schrak zusammen bei der unerwarteten Anrede und fuhr rasch mit der Hand über die Augen.

„Verzeihen Sie, mein Fräulein!“ sagte er gepreßt. „Ich sah Sie nicht, aber – mein Wagen wartet – empfehlen Sie mich der gnädigen Frau!“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dufte
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_170.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2023)