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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

und eine kleine rosige Hand, die eben im Begriff war, die Haselgesträuche am Fuße des Schloßberges zu plündern; sie zupfte und riß sehr energisch daran. Allmählich kamen auch ein paar lange braune Flechten zum Vorschein, die bei den Bewegungen ihrer Trägerin bald rechts, bald links fielen, und endlich zeigten sich auch die Umrisse eines zierlichen Kopfes. Weiter aber war vorläufig nichts zu sehen, und Paul, dessen Neugierde geweckt war, trat bis an den äußersten Rand des Abhanges und schob vorsichtig einen Baumzweig zur Seite, der ihm die Aussicht nahm: dabei gab aber das lockere Erdreich nach; plötzlich schwand der Boden unter seinen Füßen, und er fuhr mitten durch brechende Gesträuche und stäubende Erdmassen in die Tiefe nieder.

Ein lauter Angstschrei von unten her begleitete seine Niederfahrt. Die junge Sängerin war schleunigst seitwärts gesprungen und blickte mit allen Zeichen des Entsetzens auf den unfreiwilligen Bergfahrer, während ihr Taschentuch zu Boden fiel und die darin gesammelten Nüsse nach allen Richtungen aus einander rollten.

„Mein Gott, was ist das?“ rief sie laut.

„Ein Bewunderer Ihres Gesanges, mein Fräulein!“ rief Paul, der mitten in die Haselsträuche gerathen war und krampfhafte, aber vergebliche Anstrengungen machte, sich wieder daraus zu befreien. „Ich konnte dem Wunsche nicht widerstehen – das sind ja ganz schändliche Haseln! – Entschuldigen Sie, daß ich auf diesem etwas ungewöhnlichen Wege zu Ihren Füßen – O du verwünschter Abhang!“

Er hatte allerdings Grund, den Abhang zu verwünschen; denn dieser sandte noch nachträglich eine große Erdscholle herunter, die den jungen Mann auf’s Neue mit einem Regen von Erde und Steinen überschüttete. Der Anblick war so komisch, daß die junge Dame in ein lautes Gelächter ausbrach.

Diese demüthigende Situation konnte Paul nicht ertragen; er schlug wüthend rechts und links in die Haseln, bis sie ihn endlich losließen, sprang dann empor und schüttelte sich die Erde ab.

„Verzeihen Sie, mein Fräulein, daß ich meine Bewunderung in etwas ungestümer Weise kund gab!“ begann er, sich ihr nähernd, „aber Sie selbst tragen die Schuld daran. Ihre Töne lockten mich unwiderstehlich und da – verlor ich das Gleichgewicht.“

Sein Blick überflog während dessen rasch die Erscheinung des jungen Mädchens. Es lag für ihn etwas Bekanntes in diesen Zügen, aber er fand nicht Zeit, sich näher darauf zu besinnen; denn die jugendliche Sängerin blickte wehmüthig auf die verstreuten Haselnüsse nieder und schien zweifelhaft zu sein, ob sie dieselben wieder an sich nehmen dürfe.

„Es ist nicht das erste Mal, daß ich das Vergnügen habe,“ sagte Paul, indem er sich bückte und eifrig die einzelnen Nüsse zu sammeln begann. „Vor einigen Tagen in Felseneck –“

„Ja, Sie kamen gerade aus dem Schlosse, als wir vorübergingen –“ fiel die junge Dame ein, indem sie sich gleichfalls bückte und ihm beim Sammeln half.

„Ich bin als Gast dort,“ erklärte Paul, der es doch nun nöthig fand, sich vorzustellen, mit einer regelrechten Verbeugung. „Mein Name ist Paul von Werdenfels.“

„Und ich heiße Lily Vilmut,“ versetzte diese mit einem Knix, und darauf machten sie sich schleunigst Beide wieder an das Einsammeln und ruhten nicht, bis auch die letzte Nuß gefunden war.

„So, jetzt sind wir fertig!“ sagte Lily mit höchster Befriedigung, „Ich danke, Herr von Werdenfels.“

„O, ich bitte,“ entgegnete dieser. „Es war meine Schuld, daß Ihre Ernte verloren ging. Ich habe Sie wohl sehr erschreckt?“

„Ja, im ersten Augenblick war ich sehr erschrocken,“ gestand die junge Dame. „Ich glaubte nämlich, es sei Ihr Herr Onkel, der mit Donner und Blitz vom Berge heruntergefahren käme, weil ich seine Haselsträuche angerührt habe, aber sie wachsen doch ganz wild hier, und ich esse Haselnüsse gar zu gern.“

„Aber haben Sie denn eine so schreckliche Vorstellung von meinem Onkel?“ fragte Paul. „Ich bin überzeugt, er würde Ihnen mit Vergnügen sämmtliche Haselnüsse von Werdenfels zu Füßen legen, und überdies ist er ja in Felseneck.“

„Ich glaube, er kann überall sein!“ fuhr Lily heraus. „Sagen Sie, Herr von Werdenfels – geschieht Ihnen denn auch wirklich nichts da oben in Felseneck?“

„Was soll mir denn geschehen?“ fragte Paul verwundert.

(Fortsetzung folgt.)




Die Thüringer „Drei Gleichen“.

Von Ferdinand Lindner.

Wenn man, von Erfurt kommend, sich der Herrnhuter-Colonie Neudietendorf nähert, so erblickt man, scharf vom westlichen Horizont sich abhebend, drei hochragende Burgen – die thüringischen „Drei Gleichen“. Sie nehmen unter den durch die Traditionen der Geschichte und Sage ausgezeichneten Schlössern des Thüringer Berglandes einen hohen Rang ein, und mit Recht – denn ihre Geschichte ist nicht allein ein gut Stück thüringischer – sondern auch deutscher Geschichte überhaupt.

Auf dem Boden, auf welchem sich die „Drei Gleichen“ wie Wahrzeichen erheben, wurde der Kampf zwischen den das Reich erschütternden Gegensätzen des Mittelalters ausgefochten; hier hallte der Feldruf „Hie Welf, hie Waibling!“, hier zeigt uns die Geschichte die tragische Gestalt Heinrich des Vierten, wie er im Kampf mit den rebellischen Fürsten unter der Burg Gleichen eine schwere Niederlage erleidet; hier erscheint im Bund mit den Fürsten die massive Macht der Städter auf dem Plan, und ihre Karrenbüchsen brechen den Uebermuth kleiner Herren; hier vor Allem feiert der Feudalismus in endlosen Fehden blutige Orgien.

Der Name der „Drei Gleichen“, unter dem die Burgen in ganz Deutschland bekannt sind, hat keine historische Berechtigung; denn nur der beim Flecken Wandersleben gelegenen kommt der Name Burg Gleichen zu. Die beim Dorfe Holzhausen heißt die Wachsenburg, und die dritte trägt mit dem unten liegenden Flecken Mühlberg den gleichen Namen. Wie sehr aber der engere, im gemeinsamen Namen zum Ausdruck gebrachte Zusammenhang dieser drei Burgen vom Volke empfunden wurde, darauf deutet z. B. die Sage, laut welcher ein Blitzstrahl im Jahre 1230 alle drei Burgen zugleich entzündet haben soll.

Auf dem Haltepunk Haarhausen der in den Thüringer Wald führenden Arnstädter Linie verläßt man die Bahn. Dicht vor uns steigt in imposanter Masse der Berg der Wachsenburg empor, gekrönt von einem nicht unmalerischen Häusercomplex, dem man, im Unterschiede von den Schwesterburgen, den wohl erhaltenen Zustand an den geschlossenen Formen und soliden Ziegeldächern schon von fern ansieht.

Beim Eintritt in die Burg fühlen wir uns – ich möchte sagen historisch – angeweht. Der kleine, von schönen Linden und grauem Gemäuer umschattete Hof trägt ein alterthümliches Gepräge, und da er andererseits auch verräth, daß noch Leben in der Burg herrscht, so könnte man sich recht wohl in die Zeiten zurück versetzt fühlen, wo hier noch Harnische klirrten und Armbrüste gespannt wurden. Aber dieser Eindruck ist sicher auch der interessanteste in der Wachsenburg; denn im Uebrigen ist in Folge von späteren Bauten aus der alten Zeit nicht allzu viel übrig geblieben. Aus den Fenstern und von den Zinnen der Burg blickt man besonders nach Norden auf ein lachendes, mit zahlreichen Ortschaften geschmücktes, farbenreiches Landschaftsbild, als dessen ferner Hintergrund der Brocken erscheint; im Süden und Westen zieht der Kamm des Thüringer Waldes vom Schneekopf bis zur Wartburg hin. Ganz im Vordergrund befindet sich ein kahler Ausläufer des Berges, aus rothem Schieferthon bestehend, an den sich eine charakteristische Sage knüpft.

Der berüchtigte Apel Vitzthum, welchem Herzog Wilhelm von Weimar die Burg 1450 verpfändet hatte, beherbergte einst drei Raubgesellen, Zeißig, Fink und Storch mit Namen, mit denen er in Gemeinschaft Unfug trieb. Einmal fingen sie einen Mönch und sperrten ihn in eine Art Vogelbauer, in dem er sich bei den Zechgelagen allerlei Unbill gefallen lasten mußte, wobei er schließlich in der Verzweiflung den Apel in’s Gesicht schlug; dafür ließ ihm dieser sofort auf dem in Rede stehenden Berge den Kopf abschlagen. Vor seiner Hinrichtung aber prophezeite der Mönch, der Berg werde von seinem Blute roth und immer unfruchtbar

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_092.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)