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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 2.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Der Dampfer hatte jetzt die Küsten hinter sich gelassen und steuerte in die offene See hinaus. Es lag in der That etwas Märchenhaftes in dieser nächtlichen Meeresfahrt. Ringsum nichts als die schweigende mondbeglänzte Weite, die, leise wogend und schimmernd, sich endlos auszudehnen schien, darüber der Himmel mit seinen mattfunkelnden Sternbildern und beides überfluthet von dem bleichen klaren Lichte, das alle Formen und Farben in weichen Nebelduft auflöste und auch die ganze Wirklichkeit zu lösen schien in weiches, süßes Träumen. Nur dort drüben, in weiter Ferne, ruhte es noch wie ein großer flammender Stern auf den dunklen Wogen, aber auch dieser begann jetzt zu versinken; in wenigen Minuten mußte er erloschen sein.

„Da entschwindet uns Venedig!“ sagte Paul hinüberdeutend. „Wer weiß, wann ich es wiedersehe!“

„Lieben Sie den Ort so sehr?“ fragte Frau von Hertenstein.

„Unbeschreiblich! Ich sah Venedig zum ersten Male, wie überhaupt ganz Italien, und für mich sinkt dort vor uns ein Jahr voll Glück und Sonnenschein mit der herrlichen Dogenstadt hinab.“

„Ich war schon einmal dort – vor Jahren.“ sagte die junge Frau langsam. „Und auch damals tauchte es in die mondbestrahlten Wogen nieder, wie in diesem Augenblick.“

So ruhig die Worte auch gesprochen wurden, sie hatten einen eigenthümlich schweren Klang, und in dem Blick, der unverwandt auf jenem schwindenden Lichtkreise haftete, lag es wie ein düsterer Schatten. Vielleicht war auch Frau von Hertenstein damals ein Jahr voll Glück und Sonnenschein versunken!

Paul verstand jenen Ton nicht; er war überhaupt kein tieferer Beobachter, und seine heitere Natur hielt elegische Stimmungen nie lange fest; auch jetzt wußte er sie rasch abzuschütteln.

„Nun, wenigstens entschwindet es unseren Blicken als ein Stern,“ sagte er scherzend. „Ich will das als ein glückverkündendes Zeichen nehmen und hoffen, daß der Jugendtraum, den ich dort geträumt, dereinst zu Wahrheit wird. Seinen Sternen muß man vertrauen!“

Die Worte waren vielleicht nicht ohne eine gewisse Beziehung, aber nur im Tone leichten Scherzes gesprochen, dennoch schienen sie die junge Frau eigenthümlich zu berühren. Sie schauerte leise zusammen, wie von einem kühlen Nachthauch angeweht, und zog den Schleier dichter über die Schultern. Wieder traf jener räthselhafte Blick den Reisegefährten, jenes seltsame Forschen in seinen Zügen, obgleich diese heiteren offenen Züge nicht gemacht waren, irgend etwas zu verschleiern, und dann wandten die dunklen Augen sich hinüber zu jenem Lichtschein, der noch einen Moment lang aufzuflammen schien und dann verschwand, als sei er in der Fluth selbst erloschen.

„Sterne versinken!“ sagte die junge Frau leise, aber mit einem unendlich herben Ausdruck. „Und Jugendträume auch. Das Leben ist überhaupt nicht zum Träumen geschaffen; man muß ihm klar und voll in das Auge sehen und Niemand vertrauen als sich selbst. Gute Nacht, Herr von Werdenfels!“

Sie wandte sich um und schritt nach der Kajütentreppe, in der sie gleich darauf verschwand. Paul blickte ihr befremdet und bestürzt nach. Was sollte das heißen? Galten diese Worte ihm? Sein harmloser Scherz hatte diese herbe Zurückweisung sicher nicht herausgefordert oder verdient. So mächtig die Anziehungskraft auch war, welche die schöne Frau auf ihn ausübte, in diesem Augenblick fühlte er sich doch bis in das Innerste hinein erkältet; es legte sich wie ein Reiffrost auf seine jugendlich warme Empfindung.

„Eine räthselhafte Frau!“ sagte er halblaut. „Will sie vielleicht erkälten und abstoßen, um mich von ihrer Spur abzuschrecken? Es war entschieden Absicht, daß sie jedem Gespräch über ihre Heimath und ihr Reiseziel auswich, und dennoch, dieser seltsame Blick, der unzweifelhaft ein tieferes Interesse kundgiebt! Freilich, ich habe dabei ein Gefühl, als sei ich es gar nicht, den sie ansieht, als suche dieser Blick etwas ganz Anderes, das weit hinter mir liegt. Gleichviel - mag sie sich noch so sehr in Räthsel und Geheimniß hüllen, ich werde es erfahren, wohin sie sich wendet!“

Er erhob sich mit einer raschen Bewegung und verließ gleichfalls das Verdeck. Der Nachtwind, der sich jetzt erhob, strich mit leisem Wehen darüber hin; die See wogte stärker, und leise rauschten und flüsterten die Wellen am Kiel des Schiffes, das sie hinübertrug zu der deutschen Küste.




„Das ist ja ein halsbrechender Weg! Immer aufwärts und immer am Abgrunde entlang, und dabei geht es fortwährend durch Nebel und Wolken! Ich habe mir die Sache doch nicht so schlimm gedacht, Herr Paul; ich will Gott danken, wenn wir erst glücklich droben sind!“

Mit diesen Worten machte der alte Arnold all der Noth und Angst Luft, die er bei der ungewohnten Bergfahrt ausstand. Er saß seinem jungen Herrn gegenüber – hatte er doch ein- für allemal das Privilegium mit im Wagen sitzen zu dürfen – und blickte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_021.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2023)