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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Inzwischen regte sich auch in Karl dem Neunten ein Interesse an den Absichten und Vorschlägen des Admirals. Bis tief in die Nacht saß zuweilen der junge König im einsamen Zwiegespräch mit Coligny zusammen, der fortan bestimmt schien, die Geschicke von Frankreich zu lenken. Daher machten auch erneute Warnungen mißtrauischer Freunde auf Coligny keinen Eindruck; er gab sich vielmehr dem unerschütterlichen Glauben hin: Gott habe das Herz seines angestammten Fürsten gelenkt, um Frankreich einst an die Spitze der europäischen Mächte zu stellen, denen das maritime Uebergewicht des Continents zufallen sollte. In diesem Sinne hatte er nämlich bereits früher aus eigenem Antriebe den Versuch gemacht, protestantische Colonien in Amerika zu gründen. Was konnte nicht erreicht werden, wenn er im Namen des Königs handeln und seinen Plänen aus Staatsmitteln Förderung und Nachdruck verleihen würde! An der Wahrheit und Aufrichtigkeit der königlichen Gesinnungen zu zweifeln, wäre ihm als Felonie und Treubruch erschienen. Auch wurde er hierin von Teligny, [1] seinem Schwiegersohn, bestärkt. Es war also ein gegenseitiges Einvernehmen, welches nichts zu wünschen übrig ließ.

Gleichwohl führte diese äußerlich innige Verbindung nicht zu einer bleibenden Versöhnung, sondern steigerte die innerliche Erbitterung und die Dämonen des Hasses und der Rache nur noch mehr. Bei einer letztbeschlossenen entscheidenden Conseils-Unterredung, wobei es sich um die endgültige Beantwortung der Frage handelte, ob Krieg gegen oder Frieden mit Spanien, machte Coligny Vorschläge, ohne mit seiner inneren Ueberzeugung irgendwie zurückzuhalten. Die Königin-Mutter aber fand darin den Versuch des Admirals, zu seinen Gunsten ihren Einfluß über den längst mündig gewordenen König zu schmälern, schöpfte Verdacht gegen dessen weitergehende Pläne und beschloß im Stillen den Hugenotten und ihrem Heerführer unaufhaltsamen Untergang. Der Anschlag, sich seiner zunächst durch Meuchelmord zu entledigen, gelang nicht. Coligny wurde nur am Arme und an der Hand verwundet. Nunmehr wußte Katharina mit ihrer Partei dem Könige den Verdacht beizubringen, daß eine Verschwörung der Hugenotten im Werke sei, welche nur durch Benutzung der momentan günstigen Verhältnisse und schleunige Beseitigung der verbrecherischen Genossen unterdrückt werden könnte. Nach langem Zögern erlag der König den Einflüssen der Ueberredung und gab schließlich die Einwilligung zu dem entsetzlichen Mordplane, welcher in der Bartholomäusnacht vom 23. zum 24. August 1572 in Paris zur Ausführung kam.

Der Admiral Coligny, der noch die letzten Rathschläge einzelner wachsamer Freunde zur Flucht um so standhafter zurückgewiesen hatte, als ihm Tags zuvor, wohl nur zum trügerischen Schein, eine königliche Leibwache bewilligt worden war, fiel als erstes Opfer. Guise, Aumale und der Bastard von Angoulème hatten es übernommen, ihn und seine nächsten Angehörigen umzubringen. Als um Mitternacht die Frühmettenglocke in dem königlichen Palaste das Zeichen gegeben, eilte der Herzog von Guise an der Spitze seiner Schaar nach der Wohnung des an seinen zweifachen Wunden noch leidenden Admirals und befahl, denselben in seinem Zimmer niederzustechen, was einige Hauptleute auch vollbrachten. Bei der ersten Wahrnehmung des Ueberfalles war Coligny vorbereitet zum Tode, entließ seine Diener und erinnerte den nahenden Mörder an sein Alter; er fiel würdevoll in dem Bewußtsein, sein Leben einem hohen Ziel geweiht zu haben, und indem er es vorgezogen, dem Verrath zu erliegen, als selbst auch nur einen illoyalen Gedanken zu hegen. Der noch Lebende wurde zum Fenster hinaus in den Hofraum geworfen, wo Guise und Angoulème den in diesem Augenblicke seinen Geist Aufgebenden besichtigten. Hier schlug ihm ein Italiener das Haupt ab und brachte es der Königin-Mutter, welche es später einbalsamirt nach Rom schickte. Der verstümmelte Leichnam wurde durch die Straßen geschleift und an einen Galgen gehängt, bis ihn Montmorency abholen und in der Familiengruft zu Chatillon bergen ließ. Hierauf wurden La Rochefoucauld mit seinem Sohn, Teligny, Briquemont mit ihren Söhnen und Allen, die sie umgaben, getödtet und ihre Leiber auf die Straße hinabgeschleudert, wo das Volk sie entblößte.

Während diese Mordthaten geschehen waren, hatte auch die Pariser Mette, wie man die Massacre, in Erinnerung an die sicilianische Vesper, nannte, allenthalben begonnen. Beim Läuten der Sturmglocke stürzte sich das Volk (durch das gemeinsame Erkennungszeichen der Katholiken, eine weiße Binde um den Arm und ein Kreuz am Hute, fast wie organisirt) überall auf die Häuser der Hugenotten, um sie unter dem Ruf: Der König wolle und befehle es, sie zu tödten, ihren Nachlaß zu plündern und andere Gräuel zu verüben. Der Heiligkeit der gebotenen Gastfreundschaft trauend, waren sie gekommen; jetzt wurden sie in ihren Betten aufgesucht und ohne Unterschied niedergemacht, Vornehme und Geringe, Herren und Diener. Es war eine Verbindung öffentlicher Verdammung und privater Rache, die nunmehr in den Straßen von Paris wüthete. Fanatismus, persönliche Feindschaft, Raubsucht, alle Leidenschaften und dämonische Gewalten tobten unaufhaltsam. Sogar im Louvre floß Blut. Der König selbst soll aus einem Fenster seines Schlosses auf die fliehenden Hugenotten geschossen haben. Sein neu vermählter Schwager, Heinrich von Navarra, entging dem Tode nur durch den erheuchelten Uebertritt zum Katholicismus. Mehrere Tage dauerten die Mordthaten; sie wurden von den meisten Statthaltern in den Provinzen fortgesetzt und innerhalb einiger Wochen in ganz Frankreich annähernd 20,000 bis 30,000 Hugenotten umgebracht.

Nicht nur die Hugenotten, selbst gebildete, vornehme Katholiken standen diesem Entsetzen gegenüber wie betäubt. Der venetianische Gesandte fand alle verständigen Männer ohne Unterschied des Bekenntnisses wie vom Schreck gelähmt und beschämt. Der deutsche Kaiser, Maximilian der Zweite, schrieb aber: „Wollte Gott, mein Tochtermann hätte mich um Rath gefragt! Wollte ihm treulich als Vater gerathen haben, daß er dieses gewißlich nimmermehr gethan hätte.“

Als sich die Nachricht von der Bluthochzeit in den Nachbarländern verbreitete, soll Philipp der Zweite zum ersten Male mit freudig grimmigem Blick gelacht haben. Der Papst Gregor der Dreizehnte feierte die Siegesbotschaft mit Processionen, veranstaltete zu Ehren dieser Ketzervertilgung Festlichkeiten und ließ, um die glänzende Einweihung seines Pontificats zu verherrlichen, ein Gemälde „Die Niedermachung der Hugenotten“ fertigen und zu ihrem Andenken Münzen schlagen mit der Inschrift: „Pontifex Colignii necem probat“ („Der Papst billigt den Tod Coligny’s“). Am 8. September feierte auch der Cardinal von Lothringen in Gegenwart des Papstes einen Dankgottesdienst; dem Ueberbringer der Nachricht und des Hauptes von Coligny hatte er 1000 Stück Ducaten auszahlen lassen.[2]

Der blutigen Nacht wurde in späteren Zeiten auch eine Gedenktafel gewidmet; sie ward im Jahre 1793 an einem Fenster des Louvre angebracht und trug die Inschrift: „Von hier aus schoß Karl der Neunte auf das Volk.“ Erst der Corse Bonaparte ließ sie wieder entfernen, nachdem er unter seine Tyrannenmacht das freie Volk gebeugt hatte.

Aber die Männer, welche die Tafel an die Wände des prunkvollen Palastes in Paris schlugen, haben wohl dem wahren Sinne der Geschichte entsprechend gehandelt; denn die Folgen jener empörenden Bartholomäusnacht lassen sich in drei Hauptgesichtspunkten zusammenfassen.

Auf die blutige Unterdrückung des Protestantismus in Frankreich folgten:

  1. Teligny war mit Coligny’s Tochter aus seiner ersten Ehe, Louise, verheirathet. Dieselbe vermählte sich bekanntlich, nachdem sie durch Teligny’s Tod in der Bartholomäusnacht Wittwe geworden, mit dem Prinzen von Oranien, der später auf Anstiften Philipp’s II. ermordet wurde. Durch ihre Enkeltochter Henriette, die Gemahlin des großen Kurfürsten, ist sie Stammmutter des jetzigen preußischen Königshauses geworden. (Vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1874, S. 654.)
  2. Für diesen thatsächlich letzten Vorgang in dem bluttriefenden Drama hat sich der Urheber unserer Illustration bei der Wahl seines Stoffes entschieden, und die allgemeine Anerkennung dürfte ihm um so mehr zu Theil werden, als sein Werk zu denjenigen gehört, welche sich wieder dem Kunstideal zuwenden und nähern, wie es einstmals und zumeist von den Kirchenfürsten gehegt und gepflegt worden, um durch die Farbenpracht der Schönheit auf große Versammlungen zu wirken. – Gegenüber den zunehmenden Abweichungen von der wahrhaften geheimnißvollen Bestimmung der Malerei: der Zeit einen Spiegel vorzuhalten, und namentlich der in unseren Tagen verbreiteten besonderen Vorliebe für Massendarstellungen welthistorischer Ereignisse, ist es dem Herrn Nathanael Sichel wohl gelungen, die gewaltigsten Schrecknisse einer culturumspannenden Epoche in einfacher, rührend schlichter Form und Weise zusammengedrängt und dennoch machtvoll ergreifend und zu ernstem Nachdenken überaus anregend darzustellen. Die in dem engen Rahmen durch den Zusammenhang der Verhältnisse gebotene Minderzahl der beiden Personen wird mittelbar um eine dritte noch vermehrt; denn aus dem dunklen Hintergrunde blickt von der Höhe eines Wandgemäldes das Brustbild des meuchlings gemordeten Franz Guise geisterhaft herab auf die Trophäe, das Haupt des überwundenen Gegners.
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