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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

einmal, als der Vater sie zu trösten versuchen wollte, hob sie die heißen, verzweiflungsvollen Augen zu ihm auf und sagte:

„Laß, Vater! Du siehst, Gott ist gerecht!“

Er blickte sie erschrocken fragend an:

„Wie meinst Du das, Käthe?“

Sie aber war wieder in ihren stummem unnahbaren Schmerz versunken, Keinem einen Einblick in ihre Seele gewährend, aber auch bei Keinem eine Linderung ihres Leides suchend.

Endlich mußte sie aber doch die kleine Leiche von sich geben, um sie in ihr letztes Ruhebett zu legen und sie hinaus in den Schooß der Erde tragen zu lassen. Sie riß sich in Verzweiflung los, aber mit demselben furchtbar stummen, thränenlosen Schmerz wie bisher.

„Vielleicht wird nun um der Erschlaffung ihrer Kräfte ein erlösender Ausbruch ihres Schmerzes eintreten,“ sagte Reinhard in großer Besorgniß zu dem Vater, als sie von dem schweren Gange heimgekehrt waren. „Sie will Keines Zuspruch, auch den meinigen nicht; es ist, als ob der Schmerz sie uns fern gerückt hätte. Und doch, eine so mittheilsame Natur, wie Käthe ist, kann auch den Schmerz auf die Länge nicht allein tragen, oder sie geht daran zu Grunde.“

Da trat sie zu ihnen in’s Zimmer – reisefertig.

„Max, ich muß mit dem Vater nach Schönhaide reisen,“ sagte sie zu ihrem Manne mit tonlos müder Stimme.

Erschöpfung lag auf ihren bleichen Zügen und doch eine eigenthümliche unruhige Erregung; es glühte in diesen großen, thränenlosen Augen wie verhaltenes Sehnen ünd Verlangen.

„Jetzt, liebe Käthe? Gönne Dir Ruhe!“

„Nein, Max – ich fühle, was mir Noth thut.“

Sie ging mit dem Vater in die Heimath.

Hier war noch Alles wie sonst. In Breitenstein stand wieder der Jagdwagen, mit welchem der alte Christian seinen Herrn erwartete, und während der Diener den kleinen Sitz hinter ihnen einnahm, saß sie wieder neben dem Vater, der die Pferde lenkte, gerade so wie damals, als sie von ihrem ersten Ausflug in’s Elternhaus heimkehrte. Aber daran dachte sie nicht – sie dachte und fühlte nur das eine brennende Verlangen nach dem Herzen, das sie so lange geflohen, gekränkt, das um sie gelitten, wie sie jetzt um ihren Knaben litt, das ihr aber doch verzeihen werde wie kein anderes Herz und das auch wie kein anderes das Leid verstehen müsse, welches sie erfüllte.

In der Nacht ihres Jammers hatte sich ihr die Ueberzeugung aufgedrängt, daß die ewige Gerechtigkeit ihr das Mutterglück genommen, weil sie sich am Mutterglück versündigt.

„Mutter!“

Das Wort hatte einen so heiligen Klang. Sie hatte es begraben gehabt bei der todten Mutter unter der Erde; jetzt hatte es ihr Knabe sterbend wieder in ihr wach gerufen – mit dem nur einmal gehörten süßen Wort „Mama!“ war es erstanden in seiner alles beschwörenden Hoheit und Fülle der Liebe und trieb sie in unwiderstehlicher Sehnsucht zu der Mutter hin. Sie fragte nicht mehr: ist es die, welcher ich das Leben verdanke, oder die, welche mich in das Leben geleitet? – sie war ihr die Mutter, die, welche sie immer geliebt und verstanden, so lange sie zu denken vermochte – sie mußte zur Mutter.

Als sie die letzte Anhöhe kurz vor Schönhaide herabfuhren, löste sich plötzlich die Schraube an dem einen Rade und zwang sie zu einem Aufenthalt in ihrer Fahrt.

„Laß mich die kurze Strecke gehen, Vater!“ Sie ging.

Der Frühlingsabend dämmerte bereits, und ein feiner nebliger Schleier, als ob es bald zu regnen beginnen wolle, lag uber den Wiesen und über dem Gutshofe. Des Tages reges Treiben und Arbeiten war beendet und tiefe Ruhe schon eingetreten, als ihr Fuß die alte Stätte wieder betrat. Ihr Herz klopfte nicht in Erregung, nein, es wurde seltsam still darin, als ob sie in die Kirche trete, aber sie beschleunigte ihre Schritte immer mehr; denn sie hatte das Gefühl, als könnten die Füße sie nicht mehr lange tragen, und sie müsse eilen, das Ziel der Ruhe noch zu erreichen.

Wie ein dunkler Schatten glitt die schwarze Gestalt über den Hof; der Wachhund bellte ungestüm und freudig auf, als erkenne er sie wieder, und zerrte an der Kette; die feiernden Mägde, welche noch vor den Thüren saßen, starrten sie erschrocken und verwundert an, sie aber sah nach Keinem.

Und da stand sie in dem altbekannten Zimmer, wo sie als Kind gespielt – da stand sie an der Thür, und dort am Fenster lehnte Constanze, traurig in die Dämmerung hinaussehend.

„Sie trauert auch um ihr Kind,“ dachte Käthe, und es schnitt ihr in die Seele. Es war ihr, als fühlte sie wieder, wie ihr Knabe von ihrem Herzen losgerissen würde.

„Mutter!“ drang es da schluchzend von ihren Lippen. „Hier bin ich, Dein Kind. O meine Mutter, laß mich an Deinem Herzen mein Leid ausweinen!“

Und in Constanzens Arme sinkend, fühlte Käthe ihre Wangen von unaufhaltsamen Thränen überströmt, als ob sie, heimwehkrank, endlich in die rechte Heimath sich wieder gefunden und nun aus jeder Falte ihrer Seele sich löse, was an tiefem Weh darin zurückgedrängt worden war. Als dann Beider Thränen in einander flossen, löschten sie alles aus, was die beiden Frauen geschieden; sie fühlten nun, wie unzertrennlich die Bande seien, welche Mutter und Kind umschlingen.




Blätter und Blüthen.

„Johann Ludwig Runeberg.“ Von Eugen Peschier (Stuttgart, Metzler). Die Dichter des Nordens haben in Deutschland nur eine verschwindend kleine Gemeinde; denn außer dem schwedischen Frithjofsänger Esaias Tegnér und dem dänischen Märchendichter Andersen hat kaum ein Sänger der skandinavischen Lande bei uns festen Fuß gefaßt. Und doch ist die Literaturgeschichte des Nordens reich an tiefen und großen Dichtertalenten. Um so freudiger muß jeder Versuch begrüßt werden, die Poeten der rauhen Zone Europas der deutschen Leserwelt vorzustellen und zu ihrem allgemeineren Verständnisse beizutragen. Unter den schwedisch-finnischen Dichtern ist derjenige, mit dem sich das oben bezeichnete Gedenkblatt beschäftigt, weitaus einer der bedeutendsten. Runeberg, der Sänger des „Königs Fjalar“, der „Erzählungen des Fähnrichs Stahl“, der „Könige von Salamis“ und vieler anderer bedeutender Dichtungen, wird nicht nur in seiner Heimath, Finnland, sondern auch in Schweden als gemeinsamer Nationaldichter vor Anderen gefeiert, und die Liebe, welche der vor einigen Jahren in Borgo, einer kleinen Stadt Finnlands, verschiedene Greis in beiden nordischen Ländern genießt, erklärt sich leicht; denn in einer Form, die in der nordischen Literatur, was Kraft und Schönheit betrifft, beispiellos ist, hat er das gemeinschaftliche Ringen und Kämpfen beider Volker, ihren Ruhm und ihr nationales Unglück in ergreifender Weise besungen und daneben tief hineingegriffen in die Seele seines Heimathsvolkes, da er dasselbe in seiner eigenthümlichen Denk- und Gefühlsweise, in seinen eigenartigen Sitten und Gewohnheiten mit greifbarer Anschaulichkeit geschildert – er hat es in einer wahrhaft tiefen und großen Weise gethan, indem er das Nationale stets mit dem Menschlichen zu erfüllen, das Specielle zum Allgemeinen zu erweitern wußte. So ist er nicht nur ein Dichter seiner nordischen Heimath, sondern auch ein Anwalt und Verkünder großer menschheitlicher Ideen geworden, ein Poet, an dessen Werken die gesammte gebildete Welt sich erfreuen sollte.

Eugen Peschier hat sich daher mit seiner ebenso gründlichen wie geistvollen Monographie, welche den edlen Runeberg uns Deutschen näher zu bringen sucht, den Dank Aller verdient, die heute noch ein offenes Herz für die Schönheit echter Poesie haben. Besonders beachtenswerth ist die anmuthig und elegant geschriebene Charakteristik auch noch deshalb, weil sie nicht nur Runeberg’s Schaffen und Wirken, sondern zugleich die politischen und literarischen Zustände Finnlands in entsprechender Weise schildert. (Vergl. auch die „Gartenlaube“ 1878 S. 435)


Kleiner Briefkasten.

E. K. in St. Petersburg. Von unserer mit Recht so gefeierten Erzählerin E. Werner werden wir voraussichtlich am Schluß des laufenden, spätestens aber im Beginn des nächsten Jahres einen längeren fesselnden Roman zum Abdruck bringen.

R. S. in E. Wenn Sie am 3. August geboren sind, so waren Sie ohne Zweifel der jüngste Soldat des deutschen Heeres in dem Kriege von 1870 und 1871. Wer aber war wohl der älteste?

L. L. in Reval. Unter der neuesten „Literatur für unsere Kinder" dürfen wir Ihnen unter Anderem zwei Erzeugnisse des Stroefer’schen Verlages in München warm empfehlen, in denen Vers und Bild sich auf das anmuthigste die Hand reichen: „Für Mutter und Kind, alte Reime mit neuen Bildern“ von Paul Thumann, und „Kinderhort in Bild und Wort“, componirt von J. Kleinmichel, mit Reimen von Helene Binder. Das eine wie das andere dieser Werke verbindet mit dem echt künstlerischen Geiste, der aus den Illustrationen spricht, viel Anmuth und gesunden Sinn in den begleitenden poetischen Texten.

Abonnent G. H. aus Coblenz. Napoleon der Erste und Bismarck!

E. C. E....l in Wien, L. Z. in Meerane, A. S. Ausland und W. S. in R. Ungeeignet! Verfügen Sie gütigst über das Manuscript!

W. M. in Schwerin. Wenden Sie sich gefälligst an die „Industrieblätter“ in Berlin (Verlag von Friedländer und Sohn)!


Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_120.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2023)