Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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Künstler der altbekannte Raum, und die Zeiten, wo er hier in stetem Ringen und Vorwärtsstreben, unter Entbehrungen aller Art, alle Kräfte der Seele nach einem Ziele gespannt, mit eiserner Beharrlichkeit gearbeitet hatte, wurden in ihm wieder lebhaft.
Er war etwas geworden seitdem; er hatte seinen eigenen Stil und mit ihm die Mittel gewonnen, seinem innersten Wesen Geltung zu verschaffen, wenn er auch bereits einzusehen begann, daß dem Einzelnen nur Einzelnes möglich ist. Aber die geheimnißvolle Kraft, welcher die wahren Kunstwerke halb ohne Zuthun des Künstlers entspringen, war mächtig in ihm; eine unbegrenzte Fülle von Schöpfungen stand vor seinem inneren Auge; er brauchte nur ein langes Leben, um sie an’s Tageslicht zu fördern.
Diese freudige Fülle des Daseins sprach deutlich aus seinen Gesichtszügen und dem kühnen durchdringenden Blick; sie gab ihm den Nimbus des Interessanten und gewann ihm rasch die Herzen. So war es ihm gelungen, in diesen Tagen der Fremdenüberfüllung ein Unterkommen in der Casa Bertucci zu finden. Es war gewesen, als sei ein Sohn zurückgekehrt; über Frau Erminia’s abgezehrtes Gesicht war ein freudiges Lächeln bei seinem Anblicke geflogen; der dicke Bartels hieß ihn mit einem Strom von Kraftausdrücken willkommen, und Ninette, „das Kind“, schwieg zwar, aber die großen, freudig glänzenden Augen des schönen Mädchens begrüßten warm genug den alten Freund, der seinerseits Mühe hatte, die Erinnerung an das knabenhaft kecke vierzehnjährige Ding von damals mit dieser holdselig erblühten Jungfrau in’s Reine zu bringen.
Seitdem hatten Ninette’s braune Augen den fröhlichen Glanz behalten; sie sang, wo sie stand und ging, und die blasse Mutter sah von ihrem Lehnstuhle unter dem Rosenlorbeer, wo sie die Tagesstunden über den milden Sonnenschein in ihre kranke Brust einsog, schmerzlich lächelnd auf ihren Liebling, den sie, wie sie sich wohl sagte, so bald schon allein auf der Erde lassen mußte.
Vor sechs Jahren, dachte sie bei sich, ja, da war es anders gewesen; da hatte Erich am liebsten seine freien Nachmittage mit ihr und dem Kinde drüben am Lido Muscheln suchend zugebracht – wie ein Sohn war er ihr gewesen; sie hatte oft daran gedacht, seit die Nina so schön und lieb heranwuchs – und jetzt? Jetzt fühlte sie, daß er ein Anderer geworden war, und sicher nicht umsonst sah er so nachdenkend aus und schritt nun da drüben schon eine halbe Stunde im Laubgange auf und ab, ohne sie und Nina auch nur ein einziges Mal anzureden.
Ein Spaziergang durch Tunis.
Wir stehen vor den Thoren von Tunis, jener von buntem Völkergewimmel erfüllten Stadt an dem sonnenbeglänzten stolzen Golf der nordafrikanischen Küste, zu der hinüber sich seit Monaten die Blicke Europas mit erhöhetem Interesse wenden; steht doch die europäische Diplomatie im Begriffe, die Fahne französischer Oberherrschaft in den Mauern der bisher einem willkürlich waltenden Bey untergebenen Stadt aufzupflanzen. (Vergl. „Gartenlaube“ Nr. 18: „Die Franzosen in Afrika“.) Der gegenwärtige Moment dürfte nicht ungeschickt gewählt sein, um die deutschen Leser mit dem Schauplatze der „tunesischen Frage“, mit Land und Leuten der Stadt des vielbesprochenen Muhamed Essadak im Vorübergehen bekannt zu machen.
Vom großen See El Bahira führt uns eine außerordentlich breite Straße, an beiden Seiten von wenigen niedrigen Häusern besetzt, in zehn Minuten bis Bab Hart, der Porta della Marina. Dort draußen herrscht wenig Leben, man bemerkt nur einige griechische und arabische Cafés, das griechische und französische Consulat, das erst im letzten Winter eröffnete Grand Hôtel, welches neben dem alten Hôtel Bertrand das einzige comfortable Gasthaus in Tunis ist, und zwei oder drei ausgedehnte Gebäude, ganz nach dem Muster unserer Miethscasernen errichtet. Am lebhaftesten geht es in den einstöckigen Hallen der Tunesischen Tabaksregie her, wie auch die daneben befindliche Holzbude, in welcher, ebenfalls unter Regie, Haschisch theuer verkauft wird, von Besuchern nicht leer zu werden pflegt. Vor dem Thore hält ein Dutzend Wagen, meist zu Reisen über Land benutzt, denn nur wenige Straßen der eng gebauten Stadt sind für Fuhrwerk zugänglich.
Im Begriffe, durch das Marinethor in die Stadt zu treten, werden wir von unzähligen ambulanten Verkäufern, von Stiefelputzern, Fremdenführern etc. auf das Zudringlichste belästigt. Die Dreistesten weisen wir mit einem unzweideutigen Erheben des Stockes ab. Mit Mühe brechen wir uns Bahn durch das Gewühl auf dem kleinen Marineplatz, welches vom Ausgang bis zum Untergang der Sonne ungeschwächt fortdauert; Vorsicht ist geboten, um nicht von den durch die Menge einherschreitenden Kameelen, Pferden und Eseln getreten zu werden.
Welch buntes Trachtenbild auf dem Marineplatze! Das Treiben einer orientalischen Großstadt, der zweiten Stadt des afrikanischen Continents, entfaltet sich vor unsern Blicken.[1] Hier der bedachtsame turbantragende Araber, dort der europäisch gekleidete Christ, meist die rothe Mütze mit blauer schwerer Seidenquaste auf dem Haupte. Der schwarze Mann vom Sudan und vom Congo, der gebräunte Maroccaner, der Algeriner und Tripolitaner, Beduinen aus dem Innern der Regentschaft, armselig gekleidete Hamals (Lastträger), tief verschleierte Mohammedanerinnen und muntere Jüdinnen in ihren engen Beinkleidern und spitzen gold- und silbergestickten Mützen eilen an einander in mannigfaltigstem Wirrwarr vorüber.
Der Verkehr auf den Hauptstraßen ist ein sehr lebhafter, am stärksten im Bazar, dem Mittelpunkte der Stadt, welchen wir jetzt durch die Straße Sidi Morgiani zu erreichen streben. In dieser Gasse, sauber gepflastert, doch nicht so reinlich wie das maurische Quartier, reiht sich Laden an Laden. Ein Doppelposten von Zaptiehs zeichnet die Wohnung des Zahnarztes Seiner Hoheit des Bey aus; alle Morgen empfängt Muhamed Essadak diesen Leibchirurgen, um sein edles Gebiß auf’s Genauere untersuchen zu lassen. Mit 25,000 Piaster jährlich ist diese Arbeit wohl genugsam bezahlt.
Nach etwa zehn Minuten Gehens vom Marineplatze aus betreten wir den Bazar. Er besteht aus theils mit Holzwerk, theils mit Mauersteinen überwölbten Hallen, unter welchen sich zu beiden Seiten die kleinen, nur wenige Meter tiefen und nur durch leichte Holzwände von einander geschiedenen Läden an einander reihen, die meistens im Besitze von Italienern sind. Wir betreten zunächst den Suk (Bazar) der Fruchtverkäufer „Datteri! Prima qualità!“ ruft es von links; ein jovialer, wohlgenährter Herr, inmitten seines Krams von Datteln, Rosinen, Apfelsinen und Bananen mit über einander geschlagenen Beinen kauernd, die Rechte an dem von der Decke herabhängenden verknoteten Strick, welcher das Aufrichten erleichtert, macht uns durch diesen Beweis seiner Sprachkenntniß auf die unleugbare Vorzüglichkeit seiner Waare auferksam; in Wahrheit sind die Orangen unübertrefflich und die Datteln von Tunis anerkannt die besten. Man folgt gern dieser Einladung, nimmt auf Bänkchen oder Teppichen vor dem Laden Platz, schaut Alles an und genehmigt auch ein Schälchen des auf arabische Manier zubereiteten starken Kaffees, ohne dadurch noch im Geringsten zum Kaufen verpflichtet zu sein. Im folgenden Suk, dem der wohlriechenden Essenzen, Oele und Kerzen, ist die ganze Luft geschwängert von herrlichen Düften. Schon an der Kleidung der Ladeninhaber erkennt man unschwer die bevorzugte Kaste reicher Handelsherren; ist doch auch ihr Standort ein bevorzugter; denn sie hausen dicht an der großen Moschee. Neben ihren Essenzen verkaufen diese Herren auch die vielgesuchte Hennah, grünliche, dem Thee ähnliche Blätter zum Färben der Nägel und Hand- und Fußflächen; man sieht sie überall in großen Körben aus Strohgeflecht aufgestapelt. Wir gelangen alsdann in den Bazar der Tuch- und Kleiderhändler, und hier ist das Menschengewühl am ärgsten. Des Morgens eilen hier die Kleinhändler und Verkäufer von alten Sachen, von Gewehren, Pistolen, Handjars, Uhren etc. rastlos unter fortwährendem möglichst lautem Anpreisen ihrer Verkaufsartikel auf und ab, während das kauflustige Publicum zumeist an beiden Seiten dichtgedrängt vor den Läden sich aufhält; unbehelligt dadurch, nur hin und wieder nach Kunden spähend, nähen und flicken die Schneider, oft zu zehn Personen in ihren engen Buden.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: eicht
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_408.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)