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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

worden in die Einöde, in Noth und Mangel hinein, damit der Verwöhnten die Pflege und Bedienung nicht fehle? Die alte Frau auf dem Vorwerk sagt selbst, daß Sie zu der harten Feldarbeit nicht erzogen sind, und nun sind Sie gezwungen, sich diesen schweren Dienstleistungen zu unterziehen, weil Ihre vergötterte Dame sonst schwerlich – Etwas zu essen haben würde.“

Sie schüttelte lebhaft den Kopf und biß sich mit den kleinen weißen Zähnen auf die Unterlippe. Es war, als kämpfe sie mit Gewalt eine Entgegnung nieder, während ihre Augen einen Moment in unbezwinglichem Humor aufleuchteten.

„Bemühen Sie sich nicht weiter!“ wehrte er spöttisch jede Entgegnung ab. „Die Ehrenrettung gelingt Ihnen doch nicht – ich weiß das wirklich besser. - Haben diese Damen einmal vom berauschenden Becher des Reichthums gekostet, dann sind sie verloren und verdorben für das häusliche Leben. Sie träumen und denken dann nichts Anderes mehr, als sich die Position inmitten des himmlischen Wohllebens für immer zu befestigen, und dazu soll und muß ihnen nun solch ein armer, unglücklicher reicher Mann helfen, gleichviel ob er grauhaarig und altersmürrisch, oder jung und simpel ist, ob er überhaupt will oder nicht. Vielleicht wußten die im Hause des Herrn von Guseck das recht gut und waren auf ihrer Hut, wie ich ja auch lieber zeitlebens einsam bleiben, als eine ehemalige Gouvernante zur Herrin meines Hauses machen würden – lieber das erste, beste Bauernkind vom Walde, wenn es nur die Ehrlichkeit auf dem Gesicht und die Wahrheit im Herzen hat!“

Er sah, wie ihr alles Blut aus den Wangen wich, aber sie erwiderte nichts mehr. Sie ergriff den Krug, um ihn von dem Brett zu heben und sich zu entfernen.

„Nun, gehen Sie wirklich wieder dort hinein?“ – Er zeigte nach dem Forstwärterhaus. – „Hat denn das wüste Lärmen gar nichts Zurückschreckendes für Sie?“

Sie sah seitwärts, unter halbgesenkten Wimpern hervor, nach ihm hin.

„Ich habe starke Nerven, fast wie ein robustes Bauernkind vom Walde, das ja vor dem Sonntagslärm in der Schenke auch nicht zurückschrickt,“ entgegnete sie mit großer Schärfe. „In diesem Falle wird übrigens gar nicht gefragt, ob ich mich entsetze oder nicht; ich habe mich einfach dem ‚Muß‘ zu fügen –“

„Damit wollen Sie sagen, daß Sie bereits durch Pflichten an das Haus gebunden sind,“ fiel er tonlos ein. „Aber welcher Art diese Pflichten sind, darüber mögen sich die Leute ebenso den Kopf zerbrechen, wie über Fräulein Gonvernante, die wie ein Götterbild hinter geheimnißvollen Schleierwolken steckt.“. – Sein Ton wurde spitz und satirisch. – „Mein Gott, ja, es mag schon lustig sein, die Welt an der Nase herumzuführen, sehr amüsant sogar, und ich verdenke Ihnen diesen Zeitvertreib keinen Augenblick. Die ansässigen Leute im Hirschwinkel freilich sind nicht so harmlos, wie ihr neuer Herr; sie lösen die Räthsel auf ihre Weise und finden kein entschuldigendes Wort für Amtmanns Magd, die zu allen Tageszeiten in das Wäldhüterhaus geht – der Mann haust allein –“

Er verstummte. Es war ihm selbst peinlich, zu sehen, wie ihre Hand kraftlos vom Krughenkel niedersank, wie ihr das heiße Roth aufstieg bis unter das Haar an Stirn und Nacken. Den Blick schamvoll weggewendet, stand sie einen Moment unbeweglich, und zum ersten Mal sah er die Umrisse ihres Profils, die sich daran schließende feine Linie des Halses so regungslos vor sich, wie ein auf dem dunklen Hintergrund des Buchengrüns fixirtes Bild.

Ueber die obere Halspartie lief ein Sammetbändchen, wie ein dünner, mit dem Tuschpinsel ausgeführter, trennender Strich. Unwillkürlich kamen dem jungen Mann die Worte Faust’s: „Wie sonderbar muß diesen schönen Hals – ein einzig rothes Schnürchen schmücken“ – zu Sinne, und der herrliche Thalgrund wandelte und verengte sich ihm zur düsteren Schlucht; das Waldhüterhaus mit seinen verhangenen Fenstern und dem wilden Treiben dahinter, von welchem das Mädchen in sichtlicher Angst wünschte, daß es draußen nicht gehört werden möge, sah plötzlich aus, als dürfe sich das Verbrechen hineinschleichen und darin herbergen. …

Und hierher ging sie heimlich, Zeit und Muße dazu förmlich stehlend, wie magnetisch in einen unheimlichen Strudel hineingerissen. Ein wilder Schmerz durchfuhr ihn bei der Befürchtung, daß sie bereits hinabgestürzt sein könne. Aber stand sie nicht da wie eine aus dem Nachtwandeln Aufgeschreckte, entsetzt, die flammenden Zeugen einer namenlosen Bestürzung auf dem Gesicht? Vielleicht verscheuchte sie dieser eine bittere Moment für immer aus dem Grafenholz. Er hoffte es, in unbeschreiblicher Spannung keinen Blick von ihr wendend, aber gerade jetzt sah sie wieder auf; eine finstere Entschlossenheit sprach aus ihren Zügen.

„Ich frage nichts nach den Lästerzungen,“ sagte sie kurz und warf den Kopf auf.

„Auch nicht, wenn Ihnen respectable Leute ihre Thür verschließen?“ rief er heftig. „Frau Griebel protestirt energisch gegen Ihre Uebersiedelung in das Gutshaus, um ihrer unschuldigen Tochter willen,“ fügte er in grausamer Deutlichkeit hinzu.

Das schien sie in das Herz zu treffen.

(Fortsetzung folgt.)




Die „frommen“ Landsknechte.
Ein kriegerisches Culturbild aus der Reformationszeit.
dargestellt von Karl Ueberhorst.

Es ist eines der merkwürdigsten Zeitalter deutscher Geschichte, in welches ich den Leser an der Hand obiger Kriegsgesellen einzuführen gedenke. Zu seinem vollen Verständnisse dürfte eine kurze Darstellung der größeren Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts zweckdienlich erscheinen; denn gerade diese Jahre leiten auf fast allen Gebieten die Neugestaltung der Verhältnisse ein, und wie jede große Umwälzung sich nur allmählich vollziehen kann, so sehen wir auch schon lange vor dem Jahre 1500 bei allen Culturvölkern die besten Geister jenen großen Kampf beginnen, der bis auf den heutigen Tag noch nicht ausgefochten, dessen Ende nicht abzusehen ist. Gerade diese Vorkämpfer der gewaltigen Bewegung sind es gewesen, welche der Menschheit unendlichen Segen gebracht haben. Ich muß hier des Verständnisses halber oft Gesagtes kurz wiederholen: Wiklef und Huß bereiten auf religiösem Felde den Boden für die Reformation vor; Columbus eröffnet durch die Entdeckung der neuen Welt dem Handel neue, ungeahnte Bahnen; Guttenberg’s Erfindung, die gewaltigste und segensreichste aller Zeiten, bemächtigt sich des geistigen Lebens der Völker und zeugt in erster Linie als unerschrockenen Vorkämpfer der wissenschaftlichen und religiösen Reformation den Humanismus. Ob eine der durchgreifendsten Erfindungen früherer Jahre – das Schießpulver, in seiner Verwendung zu Kriegszwecken der Menschheit ebenfalls Segen gebracht, wollen wir dahingestellt sein lassen, jedenfalls aber hat es im fünfzehnten Jahrhundert, wenn auch langsamer, als heutzutage, doch ebenso reformirend in das Kriegswesen aller Nationen eingegriffen.

Und dennoch ist es wieder nicht, wie vielfach angenommen wird, die verbesserte Anwendung dieser zerstörenden Erfindung allein gewesen, welche auf die kriegerischen Verhältnisse auch unserer Nation eingewirkt hat; einen Hauptgrund derselben müssen wir vielmehr in der damals sich geltend machenden Zerrissenheit des Reichsverbandes, in dem lahm gewordenen Triebwerke seiner Verfassung suchen.

Mit den Römerzügen der alten Heldenkaiser, wo der niedere Adel – vor dem Emporblühen des Bürgerthums unzweifelhaft der Kern der Nation – ohne andern Lohn, als um Aussicht auf Beute, dem Reichsoberhaupte zu Roß über die Alpen folgte, war es längst vorbei. Das Lehnssystem, bis dahin Wehr und Schild sowohl des deutschen Königs, wie des Volkes, war gelockert, sein Organismus gelähmt, und für freie Lehnsfolge wählte der niedere Adel, so weit er sich nicht in Wegelagerei verzehrte, den Reiterdienst um Sold, ohne allzu großen Ruhm dabei zu erwerben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_108.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2022)