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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


konnte denn die Entmittelalterlichung Oestreichs ernstlich beginnen. Der Staatsrath, die oberste Centralbehörde der Monarchie, erhielt i. J. 1774 eine auf Josefs Vorschlägen beruhende neue Organisation, welche denselben befähigte, die reformatorischen Ideen des Kaisers hinsichtlich der Verwaltung, des Justizwesens und der Staatsfinanzen wenigstens theilweise der Verwirklichung entgegenzuführen. Man begann denn doch den Odem des Jahrhunderts der Aufklärung auch in Oestreich zu spüren. Schon i. J. 1767 war das „Verbrechen der Ketzerei“ aus dem Strafkodex gestrichen worden. Am Schlusse von 1775 wurde die „peinliche Frage“, die „Tortur“, die Folterung abgeschafft und Maria Theresia's Mitregent ließ in seinem hochfliegenden Optimismus sogar schon das Problem einer theilweisen oder ganzen Beseitigung der Todesstrafe in Berathung nehmen. Auch in das tiefe kirchliche Dunkel fielen einige Lichtstrahlen hinein. Im Jahre 1768 wurde die Besteuerung des ungeheuer großen geistlichen Besitzes durchgesetzt; im folgenden Jahre erfuhr das überwuchernde Bruderschaftswesen eine Beschränkung, ebenso die allzu häufige Veranstaltung von Processionen. Wieder ein Jahr später ergingen Verfügungen, welche die Leistung geistlicher Ordensgelübde vor erreichtem 24. Lebensjahre verboten, das Strafrecht der Ordensoberen beschnitten, die scheusäligen Klosterkerker beseitigten, die Erwerbungen der „todten Hand“ einschränkten und die geistliche Erbschleicherei erschwerten. Vom Jahre 1773 an arbeitete Josef an der Durchsetzung des großen Grundsatzes religiöser Duldsamkeit, allein von der Räthlichkeit und Nützlichkeit der Toleranz vermochte er seine Mutter und Mitregentin nicht zu überzeugen. Dagegen gewann er derselben, obzwar nur nach langem und schwerem Ringen, die Einwilligung zur Aufhebung der von ihr so hochverehrten „Gesellschaft Jesu“ ab, also die Zustimmung zu jener großen von den katholischen Höfen getroffenen Maßregel, welche kulturgeschichtlich den Höhepunkt bezeichnet, bis zu welchem innerhalb des Bereiches der katholischen Kirche die Aufklärung und die Thatkraft des „erleuchteten Despotismus“ hinan zu gelangen vermochten. Der Jesuitenorden war seit dem Koncil von Trient der eigentliche Träger der mittelalterlichen Idee gewesen, der Staat müßte der Kirche untergeordnet sein. Die Entwickelung der modernen Kultur hatte aber diese Idee zu einer unerträglichen Ungeheuerlichkeit gemacht. Sie mußte abgeworfen werden, wenn die europäische Gesellschaft nicht stillstehen und versumpfen wollte. Dieser Einsicht verschloß man sich zuletzt selbst im Vatikan nicht mehr und am 11. Juli von 1773 erließ Papst Klemens der Vierzehnte (Ganganelli) die berühmte Bulle „Dominus ac redemptor noster“, kraft welcher die Gesellschaft Jesu im Umfange der ganzen Christenheit aufgehoben wurde. Der Jesuitismus war damit und dadurch freilich nicht beseitigt; aber es kennzeichnet die entsetzliche Erschöpfung, Ermattung und Verdumpfung, in welche die Völker durch die ungeheueren Anstrengungen und Leiden der Revolutions- und Napoleonszeit geworfen wurden, daß einundvierzig Jahre nach jenem Julitag von 1773 ein anderer Papst, Pius der Siebente, kraft seiner am 7. August von 1814 erlassenen Bulle „Sollicitudo omnium“ den Jesuitenorden wieder herstellen, ja sogar diese Herstellung für einen nahezu einstimmigen Wunsch der Christenheit ausgeben konnte und durfte … Weiter sind zwei Reformen zu betonen, welche noch während der Mitregentschaft Josefs angebahnt worden sind: die Verbesserung des gesammten Schul- und Unterrichtswesens auf allen Stufen und die Erleichterung der Bauerschaft von dem qualvollen Druck des Feudalsystems. Von gänzlicher Erlösung von diesem furchtbaren „System wohlerworbener Rechte“ konnte noch keine Rede sein, aber schon die „Erleichterung“ mußte als eine unermessliche Wohlthat angesehen werden zu einer Zeit, wo ein Mitglied des östreichischen Staatsrathes bei Gelegenheit der Robotregelung im östreichischen Schlesien auszurufen sich gedrungen fühlte: „Mit Staunen, ja mit wahrem Grausen und peinlicher Rührung ersieht man das äußerste Elend, in welchem der arme Unterthan durch die Bedrückung vonseiten seiner Grundherren schmachtet.“ Josef, welcher gar wohl wußte, daß eine kräftige Bauersame die einzige zuverlässige Grundlage eines gedeihlichen Staatswesens sei, darf der Bauernfreund genannt werden, und er mühte sich redlich ab, auch der Bauernbefreier zu sein. Daher die Wuth des Hasses, von welcher weltliche und geistliche Feudalherren gegen den Kaiser glühten.

Maria Theresia starb am 29. November 1780. Ihre letzten Lebensjahre waren noch beunruhigt worden durch den freilich nicht sehr ernsthaft geführten sogenannten baierischen Erbfolgekrieg, welchen Josefs ungestümes Verlangen nach dem Besitze von Baiern und Friedrichs argwöhnische Wachsamkeit herbeigeführt hatten. Die Kaiserin ermannte sich noch einmal zur souveränen Handhabung ihrer Macht und Gewalt und schloß über den Kopf ihres grollenden Sohnes hinweg im Mai von 1779 zu Teschen den nach diesem Orte benamseten Frieden mit ihrem alten Feinde, dem Preußenkönig. Diese seltene Frau hat bis zu ihrem Todestag alle ihre Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt und ist mit heldischer Fassung gestorben. Als sie die letzte Einschlummerung herannahen fühlte, sagte sie zu ihren Frauen: „Laßt mich nicht schlafen; denn ich will den Tod kommen sehen und ihm so fest, als ich vermag, in die Augen blicken.“ Als die Botschaft von ihrem Hinscheiden nach Potsdam gelangte, sagte Friedrich: „Die Kaiserin ist nicht mehr, eine neue Ordnung der Dinge beginnt.“ Dann ließ der König in seinem Kabinett eine Büste Josefs aufstellen und bemerkte: „Das ist ein junger Mann[1]), auf welchen man ein Augenmerk haben muß. Hat Kopf, könnte viel ausrichten. Schade nur, daß er immer den zweiten Schritt thut, bevor er den ersten gethan hat.“ Ein meisterliches Urtheil und, leider, auch ein prophetisches Wort!

Josef war jetzt Selbstherrscher und eilte, der Welt zu zeigen, daß und wie er es wäre. Von der wiener Hofburg ging alsbald ein Reformsturm aus, welcher vieles, geradezu vieles Beste von dem, was die Franzosen etliche Jahre später mittels einer blutigen Revolution erringen mußten, den Völkerschaften Oestreichs als kaiserliches Geschenk darbot. Warum wurde dieses herrliche Geschenk nur mit Mißmuth hingenommen, nur mit Undank erwidert? Weil man die Völker zur Vernunft und Freiheit gerade so wenig zwingen kann, wie die Menschen zur Liebe. Sodann, weil doch eigentlich niemand in Oestreich auf ein solches Reformwerk recht vorbereitet war und demnach dem kaiserlichen Reformer, der im Grunde mehr ein Revolutionär zu nennen war, ein Mittel und Werkzeug nach dem andern versagte und ihm schließlich auch die eigene Kraft viel zu vorzeitig ausging. Endlich, weil er in Tagen schaffen wollte, wozu es Jahre, in Jahren, wozu es Jahrzehnte gebraucht hätte, in einem Jahrzehnt, wozu ein Jahrhundert erforderlich gewesen wäre.

Das Programm, womit der Kaiser seine Allein- und Selbstregierung eröffnete: „Ein Reich, das ich regiere, muß nach meinen Grundsätzen beherrscht, Vorurtheil, Fanatismus, Parteilichkeit, Sklaverei des Geistes unterdrückt und jeder meiner Unterthanen in den Genuß seiner angeborenen Freiheit gesetzt werden“ – dieses Programm hat er treulich eingehalten und an die Verwirklichung desselben hat er ruhelos mit Herz und Hirn und Hand gearbeitet, ja dafür nicht nur sein persönliches Glück und Behagen, sondern auch sein Leben selbst hinzugeben kein Bedenken getragen. Aber den Despoten, und wenn auch den „erleuchteten“ Despoten konnte weder Josefs Programm – „mein Reich muß nach meinen Grundsätzen beherrscht werden“ – noch dessen Ausführung verleugnen. Einer der edelsten Dichter unseres Jahrhunderts, Anastasius Grün, hat am Fuße von des Kaisers Erzbild gesungen:

„Ein Despot bist du gewesen! Doch ein solcher wie der Tag,
Dessen Sonne Nacht und Nebel neben sich nicht dulden mag.
Ein Despot bist du gewesen! Doch fürwahr ein solcher bloß
Wie der Lenz, der Schnee und Kälte treibt zur Flucht
          erbarmungslos –“

und gewiß ist das ebenso wahr als schon gesagt. Allein mit schönklingenden Versen treibt man nicht die weltgeschichtliche Thatsache zur Flucht, daß der dem erleuchteten Despotismus anhaftende, sogar in seinem besten Wollen und Vollbringen anhaftende Fluch auch an Josef sich erfülle. Dieser Fluch aber war das Allesbesserwissenwollen, die dünkelhafte Mißachtung des historisch Gewordenen und Gegebenen, das zudringliche Hineinregieren in alles und jedes, das abstrakte Generalisieren und Schablonisiren, die gewaltsame Gleichmacherei. Gewiß, es bedurfte, um Oestreich aus seiner so langen geistigen, materiellen und socialen Versumpfung herauszureißen und auf die Vorschrittsbahn zu stellen, einer eisernen Hand, ja, sagen wir es nur geradeheraus, einer eisernen Despotenhand. Aber diese Eisenhand hätte mit einem Sammethandschuh bekleidet sein sollen. Das war Josefs Hand nicht. Es hieße überhaupt Schönfärberei treiben, so man

  1. Der „junge Mann“ war übrigens 39 Jahre alt. Der alte Fritz bemaß eben Josefs Alter nach seinem eigenen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_822.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)