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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Liederproben aus Ernst Ziel’s „Gedichten“.[1]


1. Am Abend.

Leise rauschend durch Ruinen zieht der Abendwind,
Flüstert alte, düstre Mären, die vergessen sind.

Von den Bäumen, herbstestraurig, sinkt nun Blatt auf Blatt,
Sucht in der Ruine Schweigen eine Grabesstatt.

Fallen wird auch sie, die trotzig manch’ Jahrhundert stand;
Ziehen werden, wo sie ragte, Nebel über’s Land.

„Märchenhaft ist dieses Leben,“ seufzt der Abendwind;
In der heißen Brust erglommen mir zwei Wünsche sind:

Meinem Leben eine Seele, die sich meiner eint,
Meinem Grabe eine Thräne, die die Liebe weint!


2. Lied vom Strande.

Im Seegras, fluthenbefeuchtet,
Der Bernstein schimmert und scheint,
Eine Thräne, die, schmerzdurchleuchtet,
Die ferne Vorzeit geweint.

Vor Zeiten auf einsamem Thule
Am wogenumbrandeten Strand –
Da wuchs auf dem Klippenstuhle
Eine Föhre im Küstensand.

Die Wellen rauschten ihr Lieder
Vom Süden so schön und so hehr –
Da neigte die Zweige sie nieder
Und weinte die Thräne in’s Meer.

Das Meer trug durch die Sunde
Geronnen die leuchtende hin –
Nun freut sich am köstlichen Funde
Nach tausend Jahren mein Sinn.

Verschollen im Fluthengeschwemme
Die Thräne der Vorzeit war –
Heut trägt sie als glitzernde Gemme
Mein Mädchen im schwarzbraunen Haar.




Die geschichtlichen Wandlungen der deutschen Frauenmoden.
Von Fr. Helbig.
I.
Die Mode als Spiegel der Zeit. – Das erste Kleid der Germanin. – Römische, dann byzantinische Einflüsse. – Das Princip der Erstarrung. – Das Idealgewand der Ritter- und Minnezeit. – Schnabelschuh und Gugelhaube. – Zuckerhutförmiger Aufbau. – Die Zottel- und Schleppentracht. – Kleiderordnungen. – Die Periode der Renaissance. – Rückkehr zur Natur. – Die Gretchen und Klärchen. – Gürtel und Mieder. – Die Periode der Barockrenaissance. – Spanischer Einfluß. – Schneppentaille. – Mühlsteinkrause. – Stuarthaube. – Reifrock mit Glocken- und Tonnensystem.

„Eine Geschichte der Frauenmode! Fruchtloses Beginnen. Die Mode ist ja bekanntlich launisch. Sie ist so unfaßbar, so unberechenbar, wie es eben Launen sind, und wäre es auch die Laune einer schönen Frau. Wie ist es möglich die Geschichte einer Laune zu schreiben?“ Sicher wird ein solches Räsonnement im Hinblick auf die Ueberschrift unseres Artikels laut werden! Nun läßt sich dem aber Folgendes entgegenstellen: Zwar in ihren Abzweigungen und Einzelbildungen launisch und regellos, hält die Mode doch in ihren Grundzügen zuerst ganze Jahrhunderte hindurch, später durch Drittel- und Vierteljahrhunderte und zuletzt mit dem beständig sich steigernden Tempo der Weltgeschichte noch Jahrzehnte hindurch vor dem Auge des Forschers Stand. Sie hängt dabei mit dem Wesen und Charakter der jeweiligen Geschichtsperiode auf’s Innigste zusammen. Sie bringt den Zeitcharakter gleichsam zu einer Art äußern Erscheinung, wie sie selbst auch wieder auf die Gefühls- und Handlungsweise ihrer Zeit bestimmend einwirkt. Eine Dame der Ritter- und Minnezeit im Corset würde mit dem historischen Charakter jener Zeit ebenso wenig in Einklang zu bringen sein, wie eine Dame der Neuzeit ohne jenen nun seit Langem eingebürgerten Regulator der weiblichen Aesthetik. Aehnlich knüpft sich an Perrücke, Zopf, Stelzschuh und Reifrock der feststehende Typus einer geistig starren Zeit. Unter diesen Gesichtswinkel gebracht, hängt die Entwickelungsgeschichte der Tracht zusammen mit der Geschichte der Menschen und Völker überhaupt. Da, wo die wogenden Plusschläge der Geschichte nicht hindrangen, in entlegenen Berg- und Walddistricten, in weitentfernten Dörfern, blieb daher auch die Tracht Jahrhunderte hindurch ein und dieselbe.

Wenn wir in Folgendem auch nur von der Frauentracht reden wollen, weil die Frau diesem Thema das größte stoffliche Interesse entgegenbringt, so können wir dabei doch nicht die Tracht der Männer unberücksichtigt lassen. Zwischen beiden, der Herren- und der Frauenmode, besteht eine gegenseitige Beeinflussung, und wie man überhaupt in der Geschichte männliche und frauenhafte Zeitperioden unterscheidet, so erscheint auch in der Geschichte der Mode einmal das weibliche und dann wieder das männliche Element als bestimmender Factor.

Die deutsche Frau in der ersten Zeit ihrer Geschichte trug ein langes leinenes Untergewand, das die Arme vollständig frei ließ. Trat sie aus der Umfriedigung des Hauses hinaus, so hing sie einen Mantel von Linnenstoff, im Winter von Fellen um, den eine einfache Fibel, oft nur ein Dorn über der rechten Schulter zusammenhielt. Vornehme Frauen säumten Kleid und Mantel mit einem Purpurstreifen. Bronzene Ohrringe und schmale Spangen waren der einzige Schmuck. Das Haar fiel in natürlichen Strähnen frei den Rücken hinab. Diesem einfachen natürlichen Gewande konnte die Mode, das Kind der Cultur, nichts anhaben. Da drängte sich mehr und mehr die römische Sitte in die deutschen Urwälder, und wie die Deutschen Jungfrauen den putzsüchtigen Römerinnen ihr langes goldblondes Haar als gesuchten Mode-Artikel lieferten, so vermachten ihnen diese dafür den modischen verfeinerten Schnitt ihrer Kleider. Bald gesellte sich zu dem einen Gewande ein zweites am Obergewand, in der Form einer römischen Tunika mit enganschließenden Aermeln. Das Oberkleid bestand aus besserem Stoffe, aus Wollen später aus Seide und Sammet. Jetzt trat nur auch als weiteres wichtiges Moment die Farbe hinzu und damit Wechsel und Mannigfaltigkeit, welche die Entstehung der Mode bedingen.

Als das römische Reich untergegangen war wurde dessen östlicher Abzweig, das byzantinische Reich, maßgebend für den künstlerischen Geschmack des Westens, sowohl in Betreff des Baustils wie auch in Betreff der Gewandung. Das Charakteristische dieser byzantinischen Tracht, welche im zehnten und elften Jahrhundert an den deutschen und fränkischen Höfen verbreitet war, lag in der Enge und dem durch dieselbe bedingten Mangel eines freien Faltenwurfs der Kleider. Besonders fiel der Rock, den ein breiter Gürtel eng an das Untergewand anschloß, schmal und glatt, einem Sacke ähnlich, herab. Es hat fast achthundert Jahre gedauert, ehe dieses Motiv, und zwar im Anfang unseres Jahrhunderts und in der neuesten Gegenwart, wieder zur Herrschaft gelangte. Auch in Bezug auf die Kleiderstoffe brachte der Orient eine Erweiterung in den gemusterten Stoffen, aus denen besonders das Oberkleid bestand, indeß das Untergewand meist noch einfarbig blieb. Die Muster bildeten sich aus Punkten und Linien zu künstlich verschlungenen Ornamenten, zu Nachbildungen von Thieren und Pflanzen heraus. Besonders bedeutsam wurde die Einführung der Seide in die Arena der abendländischen Moden. Ihre malerische Wirkung wurde zu jener Zeit noch gehoben durch schwere und breite Goldborden, die sich am Saume der Aermel und an den Rändern der Röcke und Mäntel hinzogen, oft noch reich mit Edelsteinen und allerhand metallenem Zierrath überdeckt. Ihre Schwere trug noch besonders dazu bei, die Gewänder straff zu ziehen und ihnen jedes Gelüst einer faltigen Entwickelung zu nehmen. Es war nur eine Consequenz dieser Bekleidungsform, daß die deutsche Frau jetzt das einst freigetragene Haar in lange

  1. Soeben in zweiter Auflage (Leipzig, Ernst Keil) erschienen und der Beachtung für den Weihnachtstisch empfohlen.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_803.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)