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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


auf einem Gerüst neben dem Portal, auf den Stufen desselben weißgekleidete Jungfrauen und Mädchen mit Kornblumensträußen, ringsum in den Häusern alle Fenster, alle Balcone von Schaulustigen eng besetzt, aus Erkern und Dächern lugt dichtgedrängt eine buntscheckige Menge – es ist ein schimmerndes strahlendes Bild von bestrickendem Zauber. Alle sind von dem einen Wunsche beseelt, ihren Kaiser zu sehen und immer wieder zu sehen.

Da erzittert die Luft von Böllerschüssen; da erdröhnt tausendstimmiges Hurrah, in das die außenstehende Menge brausend einfällt. Der Kaiser und die Kaiserin sind auf dem Festplatze erschienen, und in ihrem glänzenden Gefolge befinden sich unter Anderem der Kronprinz, die Kronprinzessin, die Prinzen Wilhelm und Heinrich, der Prinz Friedrich Karl, der König von Sachsen, der Großherzog von Baden nebst Gemahlin, die Prinzen Karl und Albrecht von Preußen, die Großherzöge von Sachsen-Weimar, von Oldenburg und von Mecklenburg-Schwerin, die Prinzen Luitpold von Baiern und Wilhelm von Württemberg, der Herzog von Sachsen-Meiningen, ferner Deputationen des Königs der Niederlande und des Königs der Belgier, die Vertreter der freien Städte und das gesammte Staatsministerium. Alle diese schreiten unter sich stets erneuernden Ovationen quer über den Domhof und nehmen in dem mit rothen Sammet ausgeschlagenen Kaiserpavillon Aufstellung.

Es war ein ergreifender Augenblick, als der greise Kaiser unter dem plötzlichen Schweigen der Menge vor sein Gefolge an die Rampe des Kaiserpavillons trat und hoch aufgerichtet den ersten Blick zu der vom Gerüste befreiten Spitze des Südthurms und zu dem Adler emporsandte, welcher mit ausgebreiteten Schwingen, gleichsam schützend, zwischen den Thurmspitzen über dem vollendeten Werke schwebte. Ueber des Kaisers Antlitz war ein milder Ernst gebreitet, wie er dem Augenblick entsprach und dem Sinne, in welchem er diesen Augenblick aufgefaßt wissen wollte. Es war als ob der greise Herrscher hinübergesehen hätte in die Zeit, welche einst den Zwiespalt der Stunde nicht mehr kennen wird. Kein katholischer Geistlicher im Ornat befand sich auf dem Domplatze; kein Weihrauch, kein Kirchengesang, kein Meßgewand, kein kirchliches Gepränge wie weiland zu Friedrich Wilhelm des Vierten Zeit. Der ganze äußere Pomp der katholischen Kirche fehlte; kein Segen ward gespendet, aber es war als ob Gott selber ein sichtbares Gnadenzeichen habe herniedersenden wollen, als der Kaiser wie in stillem Gebete vor dem Riesendome stand; denn plötzlich nun brach die langersehnte Sonne siegreich durch das Gewölke und goß die erwärmenden Strahlen ihres Lichtes verklärend über die Feier. Die Domglocken erhöhen ihre hellen Stimmen zum Kyrie Eleison, und aus dem vollen sonoren Baß der Kaiserglocke erscholl ein mahnendes pax hominibus bonae voluntatis.

Es folgte die Unterzeichnung der Urkunde über die Vollendung des Dombaus und der Chor intonirte inzwischen die von Emil Rittershaus gedichtete und von Hiller componirte Festcantate:

„Und von den Lippen zum Himmel auf schwingt es
Hell sich empor
Im festlichen Chor!

Alsdann hielt der Kaiser eine kurze feierliche Ansprache und wies unter Anderem darauf hin, daß schon Friedrich Wilhelm der Dritte seit dem Jahre 1825 durch kräftiges Einschreiten den damals allein bestehenden Chor vor dem Untergange gerettet habe, daß dann vor achtunddreißig Jahren Friedrich Wilhelm der Vierte, den zündenden Gedanken der Vollendung der beiden Domthürme in das deutsche Volk geworfen, und daß dieser Gedanke ein nationales Gemeingut geworden sei. Dankend allen Gebern und Förderern des Dombaues im In- und Auslande schloß der Kaiser mit den Worten: „Nun begrüßen wir Alle dieses herrliche Denkmal, Frieden verheißend auf allen Gebieten, Gott zur Ehre, uns zum Segen.“

Nach der Rede des Oberpräsidenten der Rheinprovinz von Bardeleben und einer sehr sympathischen Ansprache des Präsidenten des Central-Dombauvereins, Oswald Schmitz-Löhnis in Köln, gab der Dombaumeister Voigtel auf Befehl des Kaisers das Zeichen, den Schlußstein, in welchen inzwischen die Urkunde eingefügt worden war, niederzusenken. Der Schlußstein befand sich nämlich oberhalb der Spitze des Südthurms auf einem kleinen bekränzten Gerüste, von wo er durch Flaschenzüge in der Schwebe gehalten wurde. Alle blickten erwartungsvoll hinauf.

Langsam sank der Schlußstein. –

Wie weissagte doch die alte Volkslegende? – Nicht eher würde der Dom vollendet, als bis das deutsche Reich in Einheit und Kraft wiedererstanden und der Geist des Kaisers Rothbart im Kyffhäuser zur ewigen Ruhe eingangen sei.

Da donnerten die Batterien. Kreischend verließ eine Schaar Dohlen die Thurmnischen. Oben auf den Domspitzen, rechts und links zu Seiten des Reichsadlers, wurde die Kaiser- und Königsstandarte aufgehißt, unten aber stand entblößten Hauptes die ritterliche Gestalt des greisen Heldenkaisers, und langsam und feierlich drang es auf zur Höhe, das Gebet der tiefergriffenen Menge: „Nun danket Alle Gott!“

Am zweiten Festtage war der Zudrang der Bevölkerung noch stärker als am Tage vorher. Es galt, durch einen historischen Festzug drei große Perioden aus der Bauzeit des Domes den Majestäten vorzuführen. Der erste Theil versinnbildlichte die Grundsteinlegung im Jahre 1248: Kölner Patricier, Reisige der Stadt, das kostbarste und älteste Kleinod des Domes, der Schrein der heiligen drei Könige, getragen von acht Goldschmiedegesellen, der Schöpfer des Bauplans und erste Dombaumeister, Gerhard von Riele, umgeben von seinen Werkmeistern, zogen auf. Der zweite Theil brachte die Einweihung des vollendeten Chors im Jahre 1322, den Prunk der Erzbischöfe und Cardinäle, den Uebermuth der Kölner Ritterschaft, den Reichthum der städtischen Geschlechter, unter Anderem in dem höchst gelungenen von dem Maler S. St. Lerde entworfenen Kriegsschiffe der Hansa zur Anschauung. Desgleichen den sehr schönen Wagen mit dem vollendeten Domchor, entworfen von den Architekten A. Lange, Rüdell und H. Wiethase.

Unter den Zünften erregten zwei stattliche Brauer den Beifall und die Heiterkeit der Zuschauer. Der dritte Theil zeigte die Vereinigung der Stadt Köln mit dem brandenburgisch-preußischen Staate und die Förderung des Dombaues seit 1842 durch Friedrich Wilhelm den Vierten und Ludwig den Ersten von Baiern, die Einigung Deutschlands und die Vollendung des Domes.

In der Nacht vom 15. auf den 16. October war dem Kaiserpavillon gegenüber in der Mitte des Platzes die Kolossalbüste Friedrich Wilhelm des Vierten in Goldbronze errichtet worden. Es war ein rührender Anblick, als bei dem Zuge aus der brandenburgischen Zeit eine Schaar Pagen mit den Wappenfahnen aller Reichslande vor den Majestäten sich verneigte, und dann Jeder einen Kranz an der Büste des Königs-Protectors niederlegte, während der dahinter aufgestellte Knabenchor nach der getragenen Melodie des integer vitae ein Danklied anstimmte. Der Wagen mit dem Domkrahne von Baumeister Deutz und der mit der Germania von Professor Mohr bildeten den Schluß, gefolgt von deutschen Truppen aller Waffen, darunter Sachsen, Baiern, Württemberger, alle mit bekränzten Helmen und Blumensträußen im Gewehrlauf. Endlich Artillerie und ein Trompetercorps, das die energische Marschhymne, „die Wacht am Rhein“, in das jubelnde Publicum hineinschmetterte.

Man war allgemein der Ansicht, daß der historische Festzug in Köln zu dem Besten gehört hat, was in dieser Hinsicht in der letzten Zeit geleistet worden ist. Auf Wunsch des Kaisers defilirten die Mitwirkenden ein zweites Mal vorbei, wobei die Majestäten den Pavillon verließen, um sich die Bedeutung der einzelnen Gruppen erklären zu lassen. Als zum Schlusse der Oberbürgermeister der Stadt Köln ein Hoch ausbrachte, erzitterten die Lüfte von donnernden Hurrahs und begeisterten Zurufen.

Nachmittags um vier Uhr gab die Stadt ein Festessen auf dem Gürzenich, an welchem der Kronprinz in Vertretung des Kaisers Theil nahm. Bei Einbruch der Dunkelheit trieb es mich noch einmal durch die alsbald taghell illuminirten Straßen und Gassen des ehrwürdigen Köln hin zum Dome. Zu drei Vierteln glühte der Koloß in rothen bengalischen Flammen, während auf die Thurmspitzen märchenhaft ein weißes elektrisches Licht fiel, das die edeln Formen bis in’s kleinste Detail erkennen ließ und sie für einen Augenblick in pentelischen Marmor zu verwandeln schien. Großer Gerhard von Riele, der du vor sieben Jahrhunderten diesen Riesenbau ahnungsvoll in deinem Geiste geschaut hast – wie das Parthenon seinen Schöpfer, so verherrlicht deinen Namen unvergänglich dieser steinerne Hymnus.

In die sinnliche Hülle der Kunstbauten gießt die Zeit wie in kostbare Gefäße die Ideen, welche die Welt bewegt haben; die heitere Harmonie der griechischen Kunst ruht vollendet in sich selber, als Verklärung der sinnlichen Welt, aber das kühne, unaufhaltsame gigantische Emporstreben der christlichen Gothik versinnbildlicht die leidensvolle Flucht aus dieser Welt des Stückwerks und des Conflictes hinaus in die Harmonie und Ruhe des Uebersinnlichen. „Vor der Kühnheit der Meisterwerke stürzt der Geist voll Erstaunen und Bewunderung zur Erde; dann hebt er sich wieder mit stolzem Fluge über das Vollbringen hinweg, das nur eine Idee eines verwandten Geistes war. Wer ist der hohe Fremdling, daß er in so mannigfaltigen Formen sich offenbaren, daß er diese redenden Denkmäler seiner Art hinterlassen kann?“ (Forster.)

Ob die Zukunft hohe Dome baut, oder in andern Formen ihr metaphysisches Bedürfniß verwirklicht – immer wird da, wo der Genius des Künstlers die Brücke schlägt zwischen Diesseits und Jenseits, die ahnungsreiche Menschheit begeistert auf die Kniee sinken und wie hier in Köln aus tiefstem Herzen anstimmen den Weihgesang „Nun danket alle Gott!“

Möge das Wort des königlichen Bauherrn Wahrheit werden: „Alles Arge, Unrechte, Unwahre und darum Undeutsche bleibe fern von den Pforten des Domes; nie ziehe wieder der Geist hier ein, der einst den Bau dieses Gotteshauses, ja – den Bau des Vaterlandes hemmte!“

Das walte Gott!

Cuno Stammel.




Schalkerei bei Alt und Jung. Schalkerei ist’s, die aus den beiden Illustrationen Seite 717 und Seite 725 dieser Nummer unseres Blattes spricht. „Zehn bis fünfzehn Tropfen auf Zucker“ soll das alte Kind einnehmen, das als grämlicher Kranker mit ausgerauchter Tabakspfeife vor dem Frühstückstische wehleidig genug thut, um wenigstens das Mitgefühl des Pintschers zu seinen Füßen zu erregen, während die kluge Frau ihr Lächeln über das komische Bild vor ihr nicht unterdrücken kann. B. Kirsten hat gut gesehen, solche weichliche Mannsleute giebt es leider nur allzuviel, und wenn Alle in gleicher Weise in ihrer Schwachheit sich öffentlich dargestellt sähen, wär’s ihnen vielleicht zu einer moralischen Cur gesund. – Eine andere Schalkerei spielt in der Schneiderwerkstätte ihre Rolle. Dort hat sie sich in die lustigen Augen der drei hübschen Schneidermamsells gesetzt, die es dem beinkleiderbedürftigen Jüngling unter des Meisters Papiermaß sichtlich angethan haben. Was der schelmische Mund der Einen den beiden Anderen wohl zuflüstert? Eugen Blaas war gewiß dabei, aber er verräth es nicht. Etwas sehr Neckisches muß es gewesen sein; das leuchtet aus den Blicken der beiden eifrig Lauschenden, und der eifersüchtige Geselle auf seinem Schneiderthron ist eben darüber, die Stirn in Falten zu legen. Auch der standhafte Jüngling hätte es gern gehört, aber man sieht’s ihm an, daß er nicht mehr davon weiß, wie wir.




„Herman von Schmid ist todt“ – diese Trauerkunde ereilt uns soeben, nach Schluß der gegenwärtigen Nummer (19. October). Durch enge Freundschaft mit dem unvergeßlichen Ernst Keil verbunden, war Herman von Schmid seit nunmehr zwanzig Jahren ein treuer und allverehrter Novellist der „Gartenlaube“. Sein Andenken wird uns theuer bleiben, und wir werden der schmerzlichen Pflicht, dem Heimgegangenen das wohlverdiente Denkmal zu setzen, baldigst nachkommen.

D. Red.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_728.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)