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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


wir, noch Kinder, am Abend die Schwelle überschritten und uns traulich und süß zur Ruhe ausstrecken konnten. Und ob aus dem Kinde ein Greis geworden, ihm ist es doch noch immer, als ob dort erst wieder die Ruhe ihm winke.

Das Leben, was macht es doch aus uns! Als junger Mann mit blonden Locken war er frisch und muthig vor dreißig Jahren fortgezogen, in einen neuen Welttheil. Welches Glück hatte er seitdem sein genannt, welches Leid gekostet, und ach! wie viel Schuld und Trübsal getragen!

Und nun stand er wieder hier, die hohe, sonst über Alle hervorragende Gestalt gebeugt – war es von Leid, von Schuld oder von der Erschöpfung des Wanderns? – die blonden Locken weiß wie der Schnee des Himalaya, nur in den großen, blauen Augen noch etwas von dem leuchtenden Lenze des Lebens. – „Liebe Heimath, da bist Du nun endlich,“ sprach er vor sich hin. Und seine Brust hob sich wie im Danke, als löse sich von ihr eine Last befreiend und erleichternd, und je länger er hinsah, um so mehr füllten sich seine Augen mit Thränen, und er weinte zum ersten Male wieder, wie das Kind es sonst gethan.

Das Wolkengold am Himmel droben war inzwischen erloschen; die Dämmerung breitete ihre Schleier über die Erde hin, und der Abendwind erhob sich und spielte mit dem weißen Haare des Mannes.

„Es muß jetzt neun Uhr sein. Sie werden nun in die Singstunde gehen und das Abendgebet halten, wie es ehedem geschah, wie es auch heute sicher noch ist und immerdar sein wird; denn was sollte sich hier ändern? O, ich will hineintreten und fragen, ob mein Kind noch lebt, auf daß sich doch vielleicht Eines freue, weil ich wiedergekommen bin.“

Darauf, nach einer Weile, drückte er den Hut wieder fest auf die Stirn, rückte die Tasche, die über seine Schultern hing, zurecht, und auf den Wanderstab sich stützend, ging er auf die Colonie zu.

Es hatte sich hier nicht viel verändert, seitdem er fort gewesen. Einige neue Häuser waren hinzugekommen, aber die alten waren noch da, auch das, welches ehemals sein eigen war, vom Vater her, und in welchem er den Leinwandhandel betrieben hatte, bis er mit seiner ersten Frau in die neue Welt gegangen war. Leute kamen aus dem Betsaal zurück; da und dort saßen noch Einige vor den Thüren, sich am milden Sommerabend zu erfreuen, und er sagte ihnen sein „Grüß dich Gott, lieber Bruder – liebe Schwester!“ und sie dankten ihm freundlich, aber fremd; denn Keines kannte ihn, sondern sie sahen ihm nur erstaunt nach, wie er so müde dahinwankte und nach dem Schwesternhause ging.

„Das ist nicht das Brüderhaus, lieber Bruder,“ sagte berichtigend ein junger Mann zu ihm.

„Ja, ich weiß es, ich finde mich noch hier zurecht,“ erwiderte er, als freue er sich, daß ihm noch Alles so vertraut war. Dann zog er die Glocke am Schwesternhaus und bat, daß er die Chorälteste sprechen könne.

Man führte ihn in das Sprechzimmer, und die Herbeigerufene kam. Er erkannte auf den ersten Blick Schwester Agathe wieder.

„Schwester, lebt Carmen Mauer noch und ist sie hier?“ fragte er bebend und starrte sie ängstlich gespannt an.

Der Mann mußte sehr schön gewesen sein; fast konnte man ihn noch heute so nennen, aber dem Gesicht hatten viele Leiden, körperliche wie geistige wohl, ihren Stempel aufgedrückt und es in einem wirren Durcheinander von Linien und Falten durchfurcht; die Strahlen manch heißen Himmelsstriches hatten die Haut in einen tiefen Ton von Braun gefärbt, sodaß die großen, lichten, lebensvollen blauen Augen wie ein paar verirrte Sterne daraus hervorleuchteten.

Agathe sah ihn staunend an, und je mehr sie hinblickte, um so mehr verwirrte sie sich.

„Carmen lebt hier im Schwesternhaus,“ sagte sie endlich „und Du bist doch nicht etwa –“

„Bruder Mauer, den Ihr Alle wohl längst todt geglaubt habt,“ ergänzte er ihre stockenden Worte.

„Gelobt sei Gott in Ewigkeit!“ rief Schwester Agathe und brach auf einem Sessel zusammen – das Unerwartete war zu überwältigend über sie gekommen. Aber sie raffte sich schnell wieder auf, drückte dem Heimgekehrten herzlich die Hände, schob ihm einen Sessel hin und sagte:

„Laß mich gleich gehen, Carmen zu holen, auf daß Du, lieber Bruder, Dein Kind an das Herz drückst!“

(Fortsetzung folgt.)




Der Dom zu Köln.
Zum Weihefest eines deutschen Nationalbaues.
Von Dr. L. Ennen.
(Fortsetzung.)


Im vierzehnten Jahrhundert stockte der Zufluß der Gelder zur Vollendung des Domes mitunter gänzlich, und es war Gefahr, daß das begonnene Werk unvollendet bleiben müsse. Die langjährigen traurigen Streitigkeiten, in denen Capitel, Erzbischof und Bürgerschaft mit blutigen Waffen einander bekämpften, dauerten eben auch in dieser Zeit fort und mußten einen nachtheiligen, lähmenden Einfluß auf die Bauthätigkeit ausüben.

Im Jahre 1447 war der südliche Thurm so hoch aufgeführt, daß er die Glocken, die bisher in dem hölzernen Thurme neben der Johanniskirche gehangen hatten, aufnehmen konnte. Man gab aber jede Hoffnung auf, die Kirche nach dem ursprünglichen Plane vollenden zu können, und schien zufrieden zu sein, wenn man erreichte, das Langschiff und die Seitenhallen der Kirche durch ein provisorisches Dach zu schließen, die vier ersten Felder des nördlichen Seitenschiffes einzuwölben und die für dieses Schiff bestimmten großen Glasgemälde einzusetzen, was in den Jahren 1508 und 1509 geschah.

Seit der Eindeckung und Verglasung der Seitenschiffe ruhten Hammer und Meißel. Die Bauhütte stand verwaist; der Krahnen blieb unbenutzt; für einen Domwerkmeister war keine Beschäftigung mehr an dem alten Baue, und der magister fabricae beschränkte seine Fürsorge auf die nöthigsten Reparaturen.

Der neue Geist, der sich auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft geltend zu machen und den mittelalterlichen Bestrebungen und Richtungen jede Berechtigung abzusprechen begann, konnte nur geeignet sein, die Indolenz für die Sache des Dombaues zu erhöhen. Dazu kam, daß die trüben Zeiten eines Hermann von Wied und Gebhard Truchseß wenig dazu angethan waren, die Begeisterung für die Fortführung des Dombaues neu anzufachen und die Beiträge wieder in reichen Fluß zu bringen. Allmählich verlor sich jeder Sinn und jedes Verständniß für die mittelalterliche Bauweise, und man würde es für eine Versündigung an dem Geiste der Zeit gehalten haben, wenn man es hätte unternehmen wollen, die Ruine des Domes in dem alten Stile herzustellen und zu vollenden. Das Vermächtniß von 400 Thalern, welches Peter de Berghes 1620 für den Dom bestimmte, im Falle derselbe, „so imperfect, im Verlaufe von zwanzig Jahren fertig gebaut werden sollte“, wird der Dombaucasse nicht zugeflossen sein. Man verstieg sich so weit in der vornehmen Verachtung des Mittelalters, daß man alles, was aus dieser „finstern Zeit“ herrührte, als Erzeugniß der Verdummung und Finsterniß charakterisirte. Im Vollgefühle der eigenen Unübertrefflichkeit und des erhabenen Standpunktes, den man selbst in Kunst und Wissenschaft einzunehmen wähnte, sah man mit Uebermuth oder mitleidigem Bedauern auf jene düsteren Jahrhunderte hinab, und was irgend Anspruch auf Bildung machen wollte, mußte mit Hand anlegen, die Schöpfung derselben aus dem Wege zu räumen.

Sandrart’s „Teutsche Academie“, die lange Zeit hindurch für die ästhetischen Studien als untrügliches Orakel galt, sprach das schärfste Verdammungsurtheil über die deutsche Baukunst aus, „welche keine richtige Ordnung, Proportion und Maß beobachte, voller Unordnung sei und als eine schnöde, barbarische Art zu bauen betrachtet werden müsse“.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_686.jpg&oldid=- (Version vom 21.10.2021)