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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

„Das magst Du wohl besser wissen, denn ich,“ erwiderte ich.

Er aber war blaß geworden wie der Tod.

„Fort ist sie,“ rief er, „Du hast –“ Dann brach er ab. „Heinz, Du bist ein roher, ein gefühlloser Gesell,“ schrie er, „Du bist nicht werth, daß sie Dir einen Blick gegönnt; Du hast sie niemalen geliebt.“

Da brach das Lachen wieder von meinen Lippen. „Du magst es freilich besser verstehen,“ entgegnete ich, „bin ich doch kein Höfling und kein Prinz und habe es nicht zu Paris erlernet, wie man seines Freundes Weib verführet.“

Aber er achtete meiner bitteren Worte kaum, schier verzweifelt geberdete er sich, und wie ein Rasender bot er Knechte und Jägerburschen auf, die Frau zu suchen, und jammernd und schreiend lief Jobstens Weib umher, immer dasselbe wiederholend: die Frau habe sich ein Leides angethan; sie sei schon lange so wirr und verstört gewesen und habe zuweilen so arg geschrieen und geweinet.

„Herr,“ jammerte das Weib und fiel vor mir nieder auf die Stufen der Freitreppe, wo ich noch immer stand, als sei ich zu Stein geworden, „Herr, ich überleb's nicht; sie ist in den See gegangen, in den See.“

Mir aber klangen die Worte in die Ohren, die Friederike am Hochzeitsabend gesprochen:

„Dann wäre ich fortgegangen, und Du hättest mich nicht wiedergefunden.“

Warum wollte sie damals fort? Weil sie wähnte, ich könne sie nicht lieben, und doch galt ihr diese Liebe ein Nichts; sie ward treulos bei der ersten Versuchung, so ihr entgegentrat.

Dann packte mich wieder eine wilde Verzweiflung; Gott, wenn es wahr wäre, wenn sie im See läge, bleich und todt!

Ich stürzte die Stufen hinunter; ich wollte sie suchen, aber – was ging sie mich an? Ein Anderer suchte sie ja schon mit aller Liebesangst – sie selbsten hatte mir das Recht dazu genommen.

Ich ging in mein Gemach und begann dorten auf und ab zu wandern; dann und wann streifte mein Blick das Schießzeug, und ich dachte, ob's nicht besser sei, dem elenden Leben ein Ende zu machen. „Um eines Weibes willen, die treulos?“ fragte ich dann, „ist dein Leben nicht mehr werth, denn solchen Preises?“

Ich stieß die Thür zu ihrem Zimmer auf; es stund und lag Alles, als sei sie nur eben hinausgegangen – auf dem Tischlein am Fenster Bücher, die ihr Prinz Christian gebracht, ein Spitzentüchlein, wie sie es so gern über dem Haar trug, und in einem Krystallgläschen ein Waldstrauß, rothe Ebereschen und bunt gefärbtes Eichenlaub; das kleine Spinnrad mit den Elfenbeinverzierungen war zur Seite geschoben; ich meinete, das blasse Händlein an dem feinen Faden zu sehen, den schmalen Fuß auf dem Trittbrett.

„Friederike, Friederike!“ rang es sich aus meiner Brust, „es kann ja nicht sein; es ist nur ein Träumen gewesen, ein entsetzlich Träumen; Du mußt wieder kommen; es muß werden wie früher, nein, besser, schöner noch; was hab' ich Dir gethan, daß Du mich so elend gemacht?“

Aber es blieb still um mich, todtenstill – und so lag ich vor ihrem Stuhle, Stunde um Stunde, und hielt das Tüchlein an meine brennende Wange gedrückt, bis die Dunkelheit herniedersank; nur das Ticken der Uhr mahnte, daß die Zeit nimmer stillstund.

Dann ein Gewirr von Stimmen, das Jammerrufen der Jobstin, und als ich hinausstürzete, da sah ich in dem unstäten Lichte einer Fackel – mein Weib! Prinz Christian trug sie in seinen Armen und legte sie eben auf ein Bänklein, und dorten lag sie seltsam starr und bleich, und von den langen blonden Haaren und den Gewändern rieselte es klar und hell, und eine lange nasse Spur zog sich durch die Haare.

Das Herz stand mir still; ich mußte mich an die Wand stützen, und still und lautlos war es rund umher geworden unter den Menschen, so die Halle fülleten. Dann wollte ich hinüber zu ihr, aber Prinz Christian vertrat mir den Weg und erhob abwehrend die Hand. „Was willst Du noch von ihr?“

Da wandte ich mich zurück; und schritt wieder in mein Gemach. – Johannes, und als das Frühroth hereinbrach, da war ich ein Anderer geworden – Sie sagten ja, ich habe ein Herz von Stein, sie wußten aber nicht, wie weich es gewesen.

Ich fragte nicht einmal, wohin man sie betten wollte – was ging es mich auch an? Man behandelte mich, als sei ich ein Fremdling in diesem Hause; die alten Tanten kamen aus dem Stifte, aber nach mir forscheten sie nicht; ich war ja ein herzloser Mensch, gefühlloser denn ein Stein; ich hatt' sie verkümmern lassen an meiner Seite – ich hatt' sie in den Tod gejagt.

Die Nacht vor dem Begräbniß aber schlich ich mich in den Saal, da man sie aufgebahret hatte; hell schien der Mond durch die Fenster und zeigte mir das Antlitz, so ich mehr geliebt als mein Leben, und das itzo im kalten grauenvollen Todesschlummer erstarret war; ich wollte die feinen weißen Händlein ergreifen, die gefaltet auf dem stillen Busen ruheten, aber es durchschauerte mich wiederum ein unfaßbar Grauen; die Hand war ja treulos gewesen, ein Truggebilde das holde Weib, Lug und Trug ihre Liebe, Lug und Trug die Freundschaft, Lug und Trug die ganze Welt.

Ein halberstickter Fluch kam über meine Lippen, und dröhnenden Schrittes verließ ich das Todtengemach; schallend flog der Hall der Thür durch das stille Haus. Dann pfiff ich meinen Hunden, warf das Gewehr über und schritt in die Nacht hinaus, ruhelos, ruhelos. Wie oft seitdem bin ich so gewandert in langen Nächten, bei süßem Mondenschein zur Sommerzeit, bei schauerlichem Sturm und Unwetter des Herbstes, immer das bleiche Frauenbild vor Augen!

Den Morgen aber, da man sie zur Ruhe brachte, tobte ein Sturm daher, daß die Knechte, so den Sarg trugen, kaum zu stehen vermochten und die halbentlaubten Bäume sich ächzend bogen unter der Windsbraut Gewalt; in den Lüften wirbelte der erste großflockige Schnee des kommenden Winters und streute seine leuchtenden Sternlein als weiße Blumen auf das dunkle Grün der Tannenkränze, mit welchen die Jobstin den Sarg geschmücket. Ich hatte die Stirn an die Scheiben meines Fensters gedrücket und schauete dem kleinen Zuge nach, wie er anitzt durch den Wettergraus dahin schwankte, aber mein Herz fühlete nichts und konnt' nicht mehr schreien und jammern; es war gestorben, Johannes, so kalt und todt, als jenes dort im Sarge. – Der Hund winselte neben mir; das unvernünftige Thier fühlete gar wohl, was es verloren, aus der Halle aber scholl das Schreien und Klagen der Frauen.

Da raffte ich mich empor, als der letzte Mann des Grabgeleites hinter den Bäumen verschwunden war, hieß mein Pferd satteln und ritt auf das Schloß, als ich aber Prinz Christian zu sprechen heischte, da ward mir der Bescheid, daß er in aller Frühe gereiset sei, es wußte aber Keiner wohin; nur ein Brieflein, so Seine Durchlaucht für mich zurückgelassen, sei eben zu mir gesendet. Da wandte ich mich um, und ein spöttisch Lachen kam mir auf die Lippen, „so ist's recht,“ sagete ich mir, „treulos und feig, und der ist erlauchten Blutes!“

Die Leute aber, denen ich begegnete, wichen mir aus und blickten mich schier entsetzt an, und ein jung Dirnlein hört' ich sagen:

„Da siehet man, was eines Mannes Treue gilt; vor einer Viertelstund ist die Frau eingesenket, und itzo reitet er dahin, als sei ihm nichts Böses geschehen – Mutter, ich nehm' keinen Mann.“

„Gott soll Dich behüten vor solch einem Unhold,“ war die Antwort der Alten.

Daheim aber öffnete ich den Brief. „Es ist das Beste“, hieß es darinnen, „es bleibet Alles zwischen uns für jetzt unausgesprochen; denn annoch würdest Du es nicht ertragen, die Wahrheit zu hören. Ich gehe, dieweilen ich mich nicht mit Dir schlagen will. Auch itzo noch Dein aufrichtiger Freund –“

Das zu glauben, wäre wohl mehr gewesen, als von mir zu verlangen stund.

Nach Jahren erst führete mich der Zufall an Friederikens Grab; an jenem Tage war es, an dem ich sie einst heim geholt. Ich streifte umher, verzweifelter denn jemalen, ich war ein verlassener, finsterer Mann, den die Menschen flohen; hatten doch die bösen Zungen wer weiß welche Märlein von mir herumgetragen, die mich als Ungeheuer, als einen Wütherich ausmaleten.

– Unter einer uralten Eiche hatte man sie gebettet; rings umher war Waldesrauschen, Waldesfrieden und feierliche Einsamkeit; schmucklos und einfach war der aus Steinen errichtete Hügel, gegenüber dem Grabe aber hatten sie einen Durchhau gemacht, und in dem grünen Rahmen der Zweige erschien fern das herzogliche Schloß, und die Fenster leuchteten und blitzten herüber, als grüßeten

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