Seite:Die Gartenlaube (1880) 610.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Jobsten erfuhr ich, daß sie vom Begräbniß ihres Bruders zurückgekehrt sei, der, ein toller Raufbold, auf der Mensur sein Leben gelassen habe. Nun falle das große Majorat nach dem Tode ihres sehr alten, schier kindischen Vaters an eine entfernte Seitenlinie zurück, und dann müsse sie Mansdorf verlassen. Der Kutscher, der dies erzählet, habe hinzugefüget, er möge wohl wissen, was dereinst noch aus ihr werde; denn nach einem armen Edelfräulein renneten sich die Freier just nicht die Hacken ab.

Ich aber hatt' fortan kein ruhig Stündlein mehr. Wohin ich sah, stund vor mir das schlanke Weib in dem dunklen Trauergewand; wohin ich ging, wandelte sie neben mir und blickte mich an aus den blauen Augen, und Nachts beugte sich ihr blasses Antlitz über mein Lager. Die Liebe war über mich gekommen mit schier zauberhafter Macht; ich war vierundzwanzig Jahr, Johannes, und hatte bisher noch niemalen in eines Weibes Auge geschauet.

Und es kam so; es kam das Unglaubliche, kaum zu hoffen Gewagte: Friederike von Babenberg ward meine Braut.

Ei, das ging Alles ordentlich zu; kein Teufelsspuk, kein Hexenwerk, aber mich dünkete es das lieblichste Wunder der Welt in dem Augenblick, als ich sie im Arme hielt an des kranken Vaters Bette. „Friederike, mein Leben lang will ich Dir's danken“ – weiter konnt' ich nichts sagen, alles Andere wär' arm und klein erschienen in so feierlicher Stunde. Und sie mußt' es ja auch, zum Donnerwetter! fühlen, daß ich mein Leben für sie gelassen hätte.

So meinete ich.

Und nun kam wieder Ruhe über mich; ich wußt' ja, sie war mein. Und so trieb es mich tagelang im Forst umher, immer mit dem einen wunderseligen Gedanken, daß ich nur ein Viertelstündlein des Weges brauchte, um in ihre räthselvollen Augen zu schauen. Und sie saß daheim am Bette ihres siechen Vaters, und wenn ich eintrat in das dunkel verhängete Gemach, dann leuchteten ihre Augen, und zwo feine, weiße Händlein streckten sich mir entgegen.

Vorbei! Alter Freud, vorbei! Ich habe niemalen Anlage gehabt für sentiments, wie es just die Mode wollte; es lag nicht in mir; das Leben in Gottes freier, gesunder Natur ließ auch Solches nicht aufkommen; schnurgrade wuchsen meine Gedanken aus dem Herzen wie die weißleuchtenden Stämme unserer heimatlichen Buchenwälder, und so klar, wie die köstliche Bergluft, sagte ich, was ich wollte, ohne Deuteln und Drehen. Freilich, die Luft hier herum weht manch' Einem scharf in's Gesicht, aber ich merkte es nicht, ich war sie gewöhnt; mir erfrischte sie Kopf und Herz.

Die alte Excellenz Babenberg ging dann mit Tode ab, und acht Tage später führte ich Friederiken als mein Weib heim. Wozu auch noch zögern? Der Tod des alten Mannes war eine Erlösung von namenlosen Qualen, und Friederiken verlangete es nach einem Heim – ihres Bleibens war nicht mehr länger im Hause ihrer Väter.

In der Schloßkapelle von Mansdorf gab uns der Prediger zusammen. Hm! Eine wunderliche Hochzeit! Gegen Abend sollte die Trau sein, und der Tag wollte schier ewig währen. Da nahm ich mein Gewehr und streifete durch den Wald, meinte, der Zeit so besser Herr zu werden, und versäumete über eine Wildkatz, so mich schon lange geäffet, die rechte Stunde. Nur so viel Zeit hatte ich noch, mich, wie ich ging und stund, auf meinen Rappen zu werfen. Ich trat bei meiner Braut ein, als sie schon eine Weile auf mich gewartet hatte.

Sie harrete inmitten des großen Prunkgemaches, wo vor wenigen Tage die Bahre ihres Vaters gestanden; noch hingen die schwarzen Florstreifen über die Vergoldung des Getäfels; noch meinete ich, den Geruch von Wachholdern zu spüren und von Todtenblumen. Hinter ihr erblickete ich die beiden unverheiratheten Schwestern des jüngst Verblichenen, so in dem freien adligen Damenstift Klosterode hauseten; steif, verbissen und schier feindselig anzuschauen in ihren düsteren Gewändern. Fürwahr, ein unheimlich Hochzeitsgeleit!

Aber nur einen kurzen Augenblick achtete ich auf Solche; dann blieb mein Blick wie gebannt an Friederiken hängen; sie sah bleich aus, bleicher denn je; ihre schlanke Gestalt verhüllete ein schwarz Gewand; dunkel wob sich die Myrtenkrone in das goldschimmernde Haar; ein schöner Weib, als sie, hat wohl nie vor eines Mannes Augen gestanden.

Ich vergaß, daß ich als ein Tölpel hereingetreten war; kein Wort kam aus meinem Munde, so mein verspätet Kommen erklärete, obgleich ihr Auge fragend und vorwurfsvoll zu mir empor schauete. Zögernd anfangs, dann mit zitternder Hast reichte sie mir die Hand, und in eiligem Schritt gingen wir zur Capellen. Hinter uns wisperten die Zungen der alten Stiftsdamen; ich meinete, es gelte meinen bestaubten Jagdkleidern; da wandte sie sich um mit strafenden Blicken, und sie verstummten vor ihren Augen.

Da wir aber heim wollten nach der Trau, zeigete es sich, daß ich auch vergessen hatte, für ein Fuhrwerk zu sorgen. Friederike aber weigerte sich, in einem Wagen zu fahren, der bis annoch ihrem Hause gehöret und nunmehro, wie Alles dort, ihrem Vetter eignete. „Lieber wollen wir doch gehen,“ sprach sie herb, und ein stolzer Zug legte sich um ihren Mund. „Bitten ist nimmer meine Sach' gewesen.“

Ein peinvoll Viertelstündlein für mich, zumalen die zween verwitterten Gesichter der Stiftsdamen hohnvoll mein junges Weib maßen, und ein jeder Zug deutlich sagte: „Ei sieh', Du stolzes, ungefüges Trotzköpflein, welch' einen lumpigen Hochzeiter hast Du Dir ausgewählt, und bist doch aus edelstem Geschlecht! Ei, wer nicht hören mag, soll fühlen; Du gehst mit ihm dahin als ein Taglöhnerweib; haben wir Dich nicht gewarnt, so viel wir konnten?“

Friederike aber stund in der Halle; kein Blick streifete die alten Schwestern ihres Vaters, groß und bang schaute sie zurück in das Haus, in dem sie geboren und gelebet bis itzo, und ihre weiße Hand bewegete sich wie abschiednehmend.

„Ich bin bereit,“ sagte sie dann; das erste Wort, das sie mir gönnete an diesem Abend. Da nun aber mein Rappe vorgeführet ward, fragte ich: „Getraust Du Dich aufzusitzen, Friederike? Ich fasse die Zügel sicher – es soll Dir kein Leid geschehen.“

Ohne ein Wort zu erwidern, schwang sie sich an meiner Hand in den Sattel; ich legete meinen Arm um sie, und so führte ich mein Weib aus ihrer Väter Hause.

Als wir in den Waldweg bogen, stund schon der Mond am Himmel, und ich lenkte das Roß aus dem dunklen Schatten der Bäume in das weiße Licht – um ihre Augen zu sehen. Warm war die Luft der Augustnacht und schwül, wie vor einem heraufziehenden Gewitter, mir aber brannte Kopf und Herz, und die Augen brannten mir vom Anschauen, und sie wandte doch das stolze Haupt nicht einmal zu mir herum. So zogen wir schweigend dahin, bis das stille Haus vor uns lag, silbern beglänzet vom Mondeslicht, aber einsam, ohne Gruß und Schmuck für seines Herrn junges Weib; nicht einmal für ein Kränzlein über der Thür war gesorget, vergessen hatt' ich alles Andere über sie selbsten.

Ich trat hinzu, um sie herabzuheben vom Pferde, aber sie sah meine Arme nicht, sondern leitete das Thier bis zu dem steinernen Bänklein unter der Linde; dort schwang sie sich hinab und aus dem tiefen Schatten tönte ihre Stimme zu mir herüber, seltsam, kalt und deutlich:

„Ein Wort noch, ehe denn es zu spät ist! Mitleid begehre ich nicht; lieber sterbe ich –“

„Friederike!“ rief ich erschreckt, „was sagest Du da?“ Ich meinte, nicht recht gehört zu haben.

„Wenn mich nur Mitleid hieher geführet itzo – dann – es ist noch Zeit; noch habe ich jene Schwelle nicht überschritten.“

Da schrie es wild auf in meinem Herzen, und zornig wallte mir das Blut zu Kopfe.

„Was, zum Henker, thust Du für absonderliche Fragen!“ herrschte ich sie an, wie ein Kind am lautesten schreit, so ihm bange wird. „Meinest Du, ich werfe meine Freiheit aus Mitleid zum Fenster hinaus?“

Aber kaum hatte ich es gesaget, so lag ich zu ihren Füßen, und weinend barg ich meinen Kopf in ihren Kleidern.

Da beugte sie sich zu mir hernieder und zog mich an ihre Brust. „Ich bin ein arm verwaist Mädchen, und Du –“ sie stockte, „ich will es glauben, Heinrich, daß Du mich lieb hast; es ist so schön zu glauben.“ flüsterte sie nun mit süßem, bebendem Klang; „vergieb mein thöricht Fragen! Sieh, wenn ich es nicht glauben könnte, so wäre ich fort noch in dieser Nacht, und Du hättest mich niemalen wiedergesehen und nimmer gefunden.“

„Und ich hätte Dich doch gefunden, Friederike,“ erwiderte ich und zog sie ungestüm auf das Bänklein nieder. „und wärest Du zu jenem Stern dort oben geflohen – ich hätte Dich heruntergeholet.“

Sie schüttelte den Kopf und ließ erst jetzt die Zügel des Pferdes los, die sie noch immer gehalten.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_610.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)