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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Moltke-Felsens“, wie die patriotische Bevölkerung dieser Gegend nach den Siegen des letzten Krieges die altersgrauen Felsenkuppen getauft hat, welche früher „Dorbis“- oder „Dorwes-Felsen“ hießen. Letzterer Name, welcher vermuthlich auf Thor (Thunar) hinweist, hängt nach der Volkssage mit dem eines jungen Schmiedes aus Bockenhausen zusammen, dem ein Ritter die Geliebte raubte und der nach vergeblichen Versuchen, ihre Befreiung zu erwirken, im Wahnsinn gegen Ritter und Mönche predigend umher irrte, bis man ihn vom Sturz zerschmettert in der selbst bei Tag finstern Waldschlucht des „dunklen Delt“ fand. – Bald gelangen wir zu einem Felsenvorsprung, der einen überraschenden Blick in die Ebene bietet. Und nun steigert sich die Schönheit des Weges bei jeder neuen, die vorigen überragenden Porphyrfelsenterrasse, bis wir die großartigsten Punkte erreichen.

Wie die Bastionen einer Festung ragen die rothen und bläulichen Felsenmauern vor uns auf, während schmale Lücken wie die Crenelirung alter Burgen den Blick in die Tiefe gestatten. Dann geht es schmale Stufen hinab; eng geschlossen, bilden die Felsen eine mit Moos und den üppigsten Farrenkräutern geschmückte Kammer, die sich nach dem Abhange zu öffnet und in zwei nach oben aus einander gehenden Felsenpyramiden ein Thor bildet, das uns im engen Rahmen ein herrliches Bild der weiten, offenen Pfalz zeigt. Eine Bank bietet hier ein unvergleichliches Ruheplätzchen. – Und weiter geht es aufwärts, von einem schönen Punkte zum andern bis zur Spitze der ganzen Felsengruppe, die an Festtagen die Freudenfeuer in’s Land leuchten läßt. Abwärts ziehen sich kleine Pfade zwischen Felsblöcken zu den „Gedächtnißtafeln“ hinab. Viele der rothen Porphyrwände sind hier mit eisernen Schildern geschmückt, welche die Namen der siegreichen Schlachten des letzten Krieges mit Frankreich tragen. Tiefer unten fallen uns an schmalen Felsenvorsprüngen vor den in den Stein gehauenen Bänken rohe Felsentische auf, welche in ihrer primitiven Form den Schein uralter Herkunft erwecken.

Der Blick vom Moltke-Felsen umfaßt ein weites Bergpanorama, umgrenzt vom Odenwald, dem Hunsrück, der Haardt, den Vogesen und dem Schwarzwald, und läßt bei klarem Wetter die Dome von Worms und Speier erkennen. Besonders schön ist hier das Schauspiel eines Sonnenaufgangs, wenn das Tagesgestirn über dem Odenwald aufsteigt und sich im fernen Rheine spiegelt.

Sinnend kehren wir vom Moltke-Felsen heim, ruhen uns auf dem von jungen Bäumen beschatteten Vorplatze der Villa aus und treten dann den Weg zum Hirtenfelsen an. – Hertha-Fels, Hirza-Fels – nannte die Vorzeit die langgestreckte, zackige Felsenwand; spätere Generationen tauften die Höhe, die damals üppigen Graswuchs trug, Hirtenfels, weil sie ein Sammelplatz der Hirten des ganzen Berglandes war, die hier beim lodernden Feuer ihre Feste feierten oder am Tage einander von Bergkuppe zu Bergkuppe mit weithin tönendem Horn grüßten und sich so zur gemeinsamen Rast hierher beschieden.

Der Weg zum Hirtenfelsen führt über die „Wacht am Rhein“, wie man nach Anno 1870 die scharf vorspringende Felsenklippe taufte, die früher den Namen „Wachtelfels“ trug. Arme Bauern fanden dort nach dem Dreißigjährigen Kriege einen reichen Schatz von Goldgefäßen und schön geprägtem Gelde. Nun schreiten wir durch jungen Tannenwald steiler bergan, bald Felsenstufen, bald Zickzackwege. An jedem Wendepunkte laden reizende Ruheplätzchen zum Genuß einer Landschaft ein, deren großartige Ausdehnung und Mannigfaltigkeit Worte kaum anzudeuten vermögen; leider fehlt ihr das Wasser. Nicht nur grüßen uns, wie vom Moltke-Felsen aus, die Höhen des Odenwaldes mit dem Melibokus und den Burgen am Abhange, die blauen Spitzen der Vogesen und des Schwarzwaldes; auch der Taunus und die Berge des Rheingaues blicken aus Norden herüber, und ein Waldberg neben dem andern erhebt sich unter uns; malerische Waldthäler und tiefe Schluchten, berühmte Weinthäler wie das Zellerthal fesseln unsern Blick, ehe er über die offene Pfalz hinschweift. Da schaut Bolanden mit den Ruinen der Burg der Truchsesse von Bolanden aus Weinlaub hervor; weiterhin liegt Göllheim zwischen dem Kriegs- und Hornberg, wo Adolf von Nassau im Kampf gegen Albrecht von Oesterreich fiel. Halb hinter dem Hügel verborgen zeigen sich die Ruinen des Klosters Rosenthal, in dem die Leiche des geächteten vierten Heinrich eine Zeit lang stand, ehe sie nach aufgehobenem Banne in die Kaisergruft nach Speier gebracht werden durfte. Eben läßt ein Sonnenblitz den Speierer Dom erkennen, und gleichzeitig tritt auch der von Worms aus dem Duft der Ferne.

Höher steigend, passiren wir an senkrechter Felsenwand, die eine schöne Erztafel schmückt, den Friedensplatz, bis wir das höchste Plateau erreichen und nun durch dichteren Wald zum Durchgange des alten Ringwalles gelangen. Der unvorbereitete Fremde würde ihn ahnungslos überschreiten, weil mächtige Bäume empor wuchsen auf der starken, ihn bedeckenden Humusschicht. Da stehen wir einigermaßen enttäuscht auf der Hochfläche vor vier aussichtslosen, in Tannendickicht verschwindenden Wegen. Der mittlere führt uns jedoch plötzlich auf eine freie, sammetgrüne Waldwiese, auf der mit geschlossenen Thüren und Fenstern „das Waldhaus“ steht, von Bänken umgeben, doch ohne Wirth und Wirthin, die den Trunk uns bieten könnten. Dicht gegenüber rauscht in finsterer Tannennacht ein Brünnlein des Sanct Jakob, von Alters her berühmt, und nach der andern Seite hin lehnen sich an die Stämme der Fichten die moosbedeckten Trümmer des Klosters und des Hofes. Jede fernere Aussicht fehlt; die Tannen stehen so dicht, daß ihr finsterer Schatten alles Leben unten sterben läßt; ihre eigenen Zweige verdorren; nur die Pilze gedeihen noch, die giftigsten am besten.

Nach einer anderen Richtung uns wendend, halten wir ebenso unerwartet vor dem Ludwigs-Thurm, wo wir wieder Reste des Ringwalles entdecken. Wer den Thurm besteigt, hat hier nach drei Richtungen hin abermals die bereits beschriebene Fernsicht, zugleich den freien Blick nach Süden und Westen auf die prächtige Kette der Vogesen mit den drei Zacken des Trifels.

Wir steigen vom Thurme herab und wandern durch dichte Waldwege dem „Königsstuhl“ zu, der letzten etwa zwanzig Fuß hohen Felsengruppe, die den hier völlig sichtbaren Ringwall überragt und über die Tannen hinweg nach der Ruine und dem Dörflein Ruppertsecken auf dem nächsten Berge schaut.

Auf steilem Waldpfade geht es jetzt hinab nach der Mordkammer, das enge dunkle Mordkammerthal entlang, das, sich an den Hünenberg anlehnend, bei Tage gerade kein Grauen einflößt. Ein klarer Bach durchströmt es, und dieser mündet auf die feuchten Mordkammerwiesen, von wo er auf die Ebene zueilt.

Die Ueberlieferung berichtet zweimal von einem entsetzlichen Blutbade, von Verrath und Wortbrüchigkeit, die hier zu furchtbaren Katastrophen führten; das erste Mal in der frühen Zeit der Germanenkriege – das zweite Mal aus der Zeit des Bauernkrieges, wo ein Fürst der Lothringer hier umzingelte Bauern niedermetzeln ließ, nachdem sie auf sein Ehrenversprechen des freien Abzuges die Waffen abgeliefert. Sicher verbürgte Anhaltspunkte für den Ursprung des Namens fehlen indeß. Am Ausgange des durch junge Tannenpflanzung scheinbar geschlossenen Thales liegt der Mordkammerhof, ein armes einsames Bauernhaus, in dem sich der Wanderer gewöhnlich durch frische Milch, Brod und Eier zum weiteren Marsche stärkt.

Von hier aus kann man, um den Berg wandernd, nach Dannenfels zurück gelangen, wir aber geleiten den Leser auf einem durch herrlichen Hochwald führenden Wege nach dem Falkenstein und dem Thale gleichen Namens.

Auf steilem Felsenkegel erhebt sich die noch imposante Ruine, während tief unten sich das Dörfchen Falkenstein um den Fuß des Felsens schmiegt und an ihm emporsteigt. Ein überraschend schönes, völlig neues Bergpanorama breitet sich hinter den schwärzlichen Felsblöcken und der düsteren Ruhe aus. Steil geht es nun hinab in's hübsche Dorf, das im Gegensatze zu der übrigen Gegend ein rein katholisches Gepräge trägt, dann in das vom pfälzischen Verschönerungsverein wiederum mit den schönsten und sorgfältigsten Anlagen versehene Falkensteinerthal.

Zwischen senkrechten Felsenwänden zieht sich dieses Waldthal an den Ufern eines kleinen Baches entlang; mächtige Bäume wölben sich oben von den Abhängen darüber hin, ein grünes Dämmerlicht verbreitend. Durch die üppigste Waldflora, an gewaltigen Felsblöcken vorbei, die, malerisch über einander gethürmt, ganz von sammetnem Moosteppich umkleidet sind, läuft der Pfad am Ufer des Flüßchens neben dem breiteren Fahrwege her und steigt immer steiler an der Felswand auf, sodaß ein eisernes Geländer den Wanderer vor Schwindel bewahren muß; dann verschwindet er in Felsenhöhlen, wo Tische und Bänke von Stein zur Rast einladen, läuft an jähem Abhang durch das Innere des Felsens in gehauenem Gange, und wo er wieder an’s Tageslicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_582.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)