Seite:Die Gartenlaube (1880) 544.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


ist für die rasch wechselnden Anforderungen jedes neuen Tages. Sie Alle müssen vergessen lernen, wenn sie die fatale Vergeßlichkeit los werden wollen. Aber nicht nur aus jenen engherzigen, kleinlichen Naturen recrutirt sich das Heer der „Vergeßlichen“. Auch ein edler interessanter Theil unserer Mädchen- und Frauenwelt liefert sein ansehnliches Contingent dazu. Es sind – die Träumerinnen unter uns.

Wie süß und herzerquickend ist ein waches Traumstündchen, wo man Bild um Bild an der Seele vorüberschweben läßt und all seinen Gedanken freie Audienz giebt, wo auch das tiefste, verborgenste Fach der Erinnerung sich aufthut und seine heiligsten Schätze an’s Licht bringt! Wer kennt nicht den Zauber solcher Stunden, wer möchte nicht jedem fühlenden und denkenden Wesen den Genuß derselben gönnen?

Ja, träumt nur, ihr jungen Mädchen und Frauen, träumt nur, ihr gewiegten Matronen, die ihr eine Stunde stiller Einkehr in euch selbst vielleicht noch nöthiger habt! Aber wenn der einsame Spaziergang, der Sonntagsmorgen im stillen Kämmerlein, der Mondabend im duftigen Garten vorüber ist, dann habt auch die Kraft, mit allen euren Gedanken wieder in die Gegenwart zurückzukehren und mit Herz und Verstand bei dem zu sein, was sie von euch fordert!

Die alten lieben Erinnerungen, die goldigen Zukunftsträume dürfen nicht Theil haben an der Zubereitung des Mahles; sie dürfen nicht mit an das Bügelbrett und an die Nähmaschine treten. – Hinab, hinab mit ihnen in’s stille Heiligthum eurer Seelen, oder – verlaßt euch darauf! – die abscheuliche Vergeßlichkeit wird durch das versäumte Vergessen gerächt.




Blätter und Blüthen.


Chinesen in Steyer. Wer hat nicht schon von der Werndl’schen Waffenfabrik in der so freundllch gelegenen oberösterreichischen Stadt Steyer gehört? Als ein schlichter Waffenschmied, der sich selbst heraufgebildet, hat Werndl dort im Laufe der Jahre eine Industriewerkstätte geschaffen, die heut in ihrem speciellen Arbeitszweige eben so eigen- wie großartig dasteht. Im Anfange der siebenziger Jahre machte der strebsame Fabrikant seine zusammengelegten Werte zum Besitzthum einer gegenwärtig noch blühenden Actiengesellschaft. Wie Krupp in Essen die vollkommenste Kanone in alle Welttheile führte, so ist der Name Werndl wohl für immer mit der Hinterladerbüchse, dem Universalgeschoß der Einzelbewaffnung, verknüpft. Es wird im Bereiche der Civilisation jetzt wohl kaum ein Heer geben, das nicht wenigstens versuchsweise einen Theil seines Schußwaffenbedarfs aus dieser Fabrik entlehnt hätte.

Ganz außerordentlich bezeichnend für die Verhältnisse der Gegenwart ist es, daß in den letzten Jahren argen und weitgreifenden Darniederliegens von Handel und Gewerbe einzig und allein die Fabrikation von Producten für Kriegsmaterial einen in hohem Grade schwungvollen Betrieb entfalten und einen erheblichen Gewinn abwerfen konnte. Nach allen Seiten hin, auf allen Märkten und allen Gebieten friedlicher Arbeit schwere Verluste, Mangel an Absatz, beispiellose Stockung des Bedarfs und der Nachfrage. Die Fabriken Werndl’s aber sahen sich von dieser allgemeinen Krisis nicht berührt; ihre Thätigkeit steigerte sich vielmehr über alles Erwarten, und bei dem Sinken aller andern Wertheffecten behaupteten die sogenannten Werndl-Actien auf der Wiener Börse ein Aufgeld von sechszig und mehr Procent. Aus allen Himmelsgegenden gelangen ununterbrochen kolossale Hinterladeraufträge nach Steyer. Die Regierungen Deutschlands, Oesterreichs, Frankreichs und neuerdings auch Schwedens bezogen von dorther die Schußwaffen für ihre Armee, und um diesem Verlangen zu genügen, fand ein Heer von sieben- bis achttausend geschulten Arbeitern ununterbrochene Arbeit in den betreffenden Fabriken. Das deutsche Reich führte nach Beendigung des französischen Krieges eine vollständige Neu-Armirung in Betreff der Schußwaffen ein und bezog seinen Bedarf an Mauser-Gewehren ausschließlich von Werndl in Steyer.

Erst in der letzten Zeit erfolgte ein Nachlassen der Aufträge und eine Reduction der Arbeitskräfte. Da kommt plötzlich eine überraschende Nachricht aus – China! Die dortige Regierung sei mit der österreichischen Waffenfabrikgesellschaft in Unterhandlungen getreten, denen der Abschluß auf Lieferung von zwei Millionen Hinterladergewehren neuesten Systems, zum Durchschnittspreise von zwanzig Gulden pro Stück, sofort folgen würde. Eine Militär-Commission, bestehend aus einem Feldmarschall, einem General, einem Oberst, einem Major, Hauptleuten und subalternen Officieren, wird in dem oberösterreichischen Städtchen Einzug halten, um Verträge abzuschließen, die gefertigten Schußwaffen zu prüfen, zu übernehmen und in die ferne Heimath zu senden.

Und weil ein Geschäft einen Auftrag in dem Umfange von zwei Millionen Stück Feuerwaffen in kurzem Termine nicht erledigen kann, werden jene chinesischen Militärs sich vor der Hand in Steyer häuslich einzurichten haben. Welch ein interessantes Culturbild moderner Verkehrsbewegung! An den Ufern der Enns eine Colonie chinesischer Gentlemen, in den Händen der bezopften morgenländischen Gestalten eines der raffinirtesten Producte moderner Civilisation und Technik – der Hinterlader! Der Vorgang giebt aber zugleich einen bedeutsamen politischen Wink. Man sieht, es ist den Chinesen Ernst mit ihren Vorbereitungen zum Widerstande gegen Rußland. Wie sie bereits die Forts ihrer wichtigsten Seehäfen mit Krupp’schen Geschützen armirten, soll die Kunst Werndl’s in Steyer nun auch ihre Landarmee zeitgemäß ausrüsten wider einen etwaigen Angriff des russischen Kolosses.

Z.




Phosphorescirende Anstriche im Dienste des täglichen Lebens. Aus dem verbesserten Kanton’schen Phosphor, dessen Bereitungsmethode in unserm Artikel „Geborgtes Sonnenlicht“ (Nr. 1 des laufenden Jahrgangs) angegeben wurde, hat ein englischer Ingenieur, Mr. Balmain, Oelanstrichfarben hergestellt, welche eine lange Winternacht hindurch intensiv leuchten, wenn sie vorher nur wenige Stunden einem mäßigen Tageslichte ausgesetzt gewesen sind.

Da diese Anstrich-Masse eine ziemliche Wetterfestigkeit zu besitzen scheint, so läßt sie sich nicht nur für Illuminationszwecke (leuchtende Grotten, Statuen, Namenszüge etc.), sondern auch für äußerst praktische Zwecke anwenden, wie leuchtende Straßen-Namen, Wegweiser, Aufschriften, Thurm-Uhren, Namen unter Klingelzügen, Erleuchtung feuergefährlicher Orte (Pulverthürme) etc. Eine originelle Benutzung ist die Erleuchtung von Eisenbahn-Tunnels, für welche es genügt, wenn die äußere und innere Decke der Waggons mit dieser Farbe angestrichen wird.

Eine interessante Illustration zu dem alten Satz, daß es nichts Neues unter der Sonne giebt, hat F. V. Dickins in einer chinesisch-japanesischen Encyklopädie gefunden, in welcher der Artikel Ye (Malereien) unter Anderem Folgendes erzählt: „Ein gewisser Sü Ngoh besaß einen gemalten Ochsen, der jeden Tag den Bildrahmen verließ, um grasen zu gehen, und des Nachts dorthin zurückkehrte, um darin zu schlafen. Das Gemälde kam in den Besitz des Kaisers Tai Tsung aus der Sung-Dynastie (976 bis 998 unserer Zeitrechnung), der es seinen Hofleuten zeigte und eine Erklärung von ihnen verlangte, die aber Niemand zu geben vermochte. Endlich sagte ein Buddhisten-Priester, die Japanesen fänden eine leuchtende Substanz in dem Körper einer Art Auster“ – Kanton’s Phosphor wurde sonst durch Glühen von Austerschalen mit Schwefel dargestellt – „die sie sammelten und unter Farbe mischten, um so Gemälde herzustellen, die bei Tage unsichtbar und bei Nacht leuchtend seien.“ – „Es ist kein Zweifel,“ setzt der Autor der Encyklopädie hinzu, „daß man, wenn gesagt wird, der Ochs verlasse am Tage den Bildrahmen, um grasen zu gehen, einfach gemeint hat, daß das Bild des Ochsen bei Tage nicht sichtbar sei.“ Will man ein solches Bild oder die leuchtende Schrift auch bei Tage sichtbar haben, so braucht man die weiße Farbe nur auf einem schwarzen Grunde zu verwenden, z. B. bei Wegweisern.




Nachträge zum Artikel über die internationale Fischerei-Ausstellung. Bei der großen Bedeutung, welche der Transport respective die Aufbewahrung lebender Fische für Nationalökonomie und Naturwissenschaft hat, halten wir es für unsere Pflicht, auf einen Apparat hinzuweisen, der sich bei Gelegenheit der internationalen Fischerei-Ausstellung in Berlin, wie nachträglich zu constatiren ist, glänzend bewährt hat. Es ist der „Luftwasserstrahlapparat“ von Karl Feise in Hannover. Das Princip desselben beruht in der steten Versorgung des Behälters mit Luft, die vermittelst eines Wasserstrahles in der Längsrichtung des Gefäßbodens eintritt. Die Brauchbarkeit des Apparates bezeugte am besten die Specialausstellung von Lindenberg (Berlin), in dessen Aquarien der überaus empfindliche Hering und andere bisher schwer versendbare Fische tagelang beobachtet werden konnten.

Gustav Schubert.




Nachrichten über Vermißte. Auf die Nachfrage in Nr. 26 über Georg Ries (8) wird uns von dem großherzoglich sächsischen Inspectorat der Landesheilanstalt in Jena sowie von dem Abtheilungsarzte, Herrn Dr. Villers daselbst, geschrieben, daß Ries, der am 7. Juni aus der dortigen Irrenanstalt beurlaubt worden war, in Leipzig aufgegriffen und am 22. Juni wieder in die Jenaische Anstalt zurückgebracht worden ist, wo er sich noch befindet. Von der Mutter, der dies sofort gemeldet wurde, ist uns keine Mittheilung darüber gemacht worden.

Dem Charles August Haller zu Kurrachee in Ostindien zur Nachricht, daß als sein einziger Verwandter noch ein Bruder seines Vaters lebt: Peter Haller, großherzoglich hessischer Oberconsistorialkanzlist in Darmstadt, Roßdorferstraße 49.

S. Eitrand zu Indre Kwaröe in Nordland (Norwegen) zur Nachricht, daß, laut einer Auskunft, die wir der Gefälligkeit der Stadtpolizeiverwaltung in Memel verdanken, der elternverlassene Jul. Heinr. Knutson dort vergeblich nach Verwandten mütterlicherseits suchen würde.

Gefunden: Nr. 9, Friedrich Weber, der als Werkführer der Centralwerkstätte der türkischen Eisenbahnen in Jedi Konlé angestellt ist.



Kleiner Briefkasten.

H. K. in E. Sie finden die Werke in jedem Conversationslexicon verzeichnet. Sehen Sie die Artikel über die betreffenden Länder nach!

Frau Wittwe R. in Amsterdam. Ihre Gabe von 10 Fl. holl. ist an Herrn Arnold Wellmer abgegangen.

A. O. in M. Unmöglich! Wir müssen uns auf Fälle von ganz besonderer Natur beschränken. Solche Ansuchen gelangen allwöchentlich dutzendweise an uns.

R. in K. Wir geben kein Gutachten über Heilmittel ab.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_544.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)