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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 32.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Frühlingsboten.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Oswald von Ettersberg schien seit seiner Abreise fast verschollen zu sein. Die Gräfin sprach nie von ihrem Neffen und hatte die Erkundigungen Rüstow's kurz und kalt dahin beantwortet, daß Oswald sich in der Residenz ganz wohl befinde, daß er aber nur äußerst wenig mit seinen Verwandten correspondire. Sie wünschte offenbar, diesen Gegenstand zu vermeiden, und er war in Folge dessen auch nicht weiter berührt worden. Daß aber auch Edmund niemals den Namen seines Vetters nannte, von dem er doch sonst unzertrennlich gewesen war, daß auch ihm die Erwähnung desselben peinlich zu sein schien, das gehörte gleichfalls zu seinen jetzigen Unbegreiflichkeiten. Wahrscheinlich hatte es kurz vor der Abreise Oswald's noch eine neue Differenz gegeben, und der Bruch war ein vollständiger geworden.

Müde vom Sinnen und Träumen hatte sich Hedwig in den Sessel zurückgelehnt. Sie vernahm wohl, daß die Thür des Nebenzimmers geöffnet wurde, daß ein Schritt näher kam, aber in der Voraussetzung, daß Edmund zurückkehre, änderte sie ihre Stellung nicht, und erst als der Kommende eintrat, wandte sie matt und langsam den Kopf nach jener Richtung.

Da war es auf einmal, als ob ein elektrischer Schlag die Gestalt des jungen Mädchens durchzucke. Bebend, von glühender Röthe übergossen, sprang sie auf, das Auge auf die Thür gerichtet. War es Schrecken oder Freude, was mit so betäubender Gewalt auf sie einstürmte – sie wußte es nicht, gab sich auch keine Rechenschaft davon, aber der Name, der sich unbewußt ihren Lippen entrang, und der Ton, mit dem er ausgesprochen wurde, verrieth Alles:

„Oswald!“

Es war wirklich Oswald, der dort auf der Schwelle stand. Er mußte wohl auf die Möglichkeit eines Wiedersehens gefaßt sein, als er nach Ettersberg kam; dennoch war auch ihm dieses Zusammentreffen ein unerwartetes; das zeigte die Gluth, die auch seine Stirn färbte, als er die Braut seines Vetters erblickte. Im ersten Moment stand er noch zögernd, unentschlossen da, aber als er seinen Namen von ihren Lippen hörte, da war es vorbei mit dem Zögern. In der nächsten Minute war er an ihrer Seite.

„Hedwig! Habe ich Sie erschreckt?“

Die Frage schien nur zu sehr gerechtfertigt; denn Hedwig war noch völlig fassungslos.

„Herr von Ettersberg – Sie kommen so plötzlich – so unerwartet – –“

„Ich konnte meine Ankunft nicht erst anzeigen. Es handelt sich um eine dringende Angelegenheit, um derenwillen ich Edmund persönlich sprechen muß.“

Er sprach die Worte fast ohne zu wissen, was er sagte; denn sein Blick hing unverwandt an den Zügen des jungen Mädchens. Der eine Moment des Wiedersehens vernichtete Alles, was eine Trennung von zwei Monaten so mühsam geschaffen hatte.

Hedwig machte eine Bewegung, um sich zu entfernen.

„Ich – ich werde Edmund benachrichtigen.“

„Meine Ankunft wird ihm bereits gemeldet. Fliehen Sie doch nicht so vor mir, Hedwig! Gönnen Sie mir nicht eine Minute?“

Hedwig blieb stehen. Der schmerzliche Vorwurf bannte sie an ihren Platz, aber sie wagte es nicht, darauf zu antworten.

„Ich kam nicht freiwillig und nicht in meinem Interesse,“ fuhr Oswald fort. „Ich reise schon morgen wieder ab und konnte nicht ahnen, daß Sie gerade in diesen Tagen in Ettersberg sein würden, sonst – hätte ich uns Beiden dieses Wiedersehen erspart.“

Uns Beiden! Mitten durch die Bitterkeit seiner Worte brach es doch wie ein heller Strahl des Glückes. Jener unbewachte Ausruf hatte ihm ja endlich die Gewißheit dessen gegeben, was er bisher nur geahnt, und wenn er auch keine einzige Hoffnung daran knüpfen konnte und durfte, er hätte diese Gewißheit doch um keinen Preis hingegeben. Beim Abschiede hatte der junge Mann noch so energisch seine Selbstbeherrschung behauptet, dieses unerwartete Wiedersehen aber drohte das Siegel von seinen Lippen zu nehmen. Die lang verborgene Gluth wollte zur hellen Flamme aufschlagen – das las Hedwig in seinen Augen, und jetzt war sie es, die ihre volle Fassung zurückgewann und behauptete.

„So lassen Sie uns wenigstens das Wiedersehen abkürzen,“ sagte sie leise, aber mit festem Tone und wandte sich ab. Doch Oswald that ihr einen Schritt nach.

„Und so wollen Sie von mir gehen? Darf ich Ihnen denn nicht einmal ein einziges Wort sagen?“

„Ich fürchte, wir haben uns schon zu viel gesagt. Lassen Sie mich gehen, Herr von Ettersberg – ich bitte Sie darum.“

Oswald gehorchte. Er trat zurück, um sie vorüber zu lassen. Sie hatte ja Recht – und es war gut, daß sie wenigstens die Besinnung behielt, wo ihn die seinige zu verlassen drohte. Er blickte ihr schweigend, mit unendlich düsterem Ausdrucke nach, aber er machte keinen Versuch mehr, sie zurückzuhalten.

Kaum war Hedwig in den Zimmern der Gräfin verschwunden, als Edmund von der anderen Seite her eintrat. Die Ankunft seines Vetters war ihm jedenfalls gemeldet worden, aber sein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_513.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)