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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


zu sein. Er trat als Mortimer auf und gefiel nicht. Am Morgen nach diesem Debüt begegnete ich auf der damals noch bestehenden Bastei einem jungen Schauspielerpaare – ich glaube, es war ein Brautpaar – und Beide drückten mir ihr inniges Bedauern aus, daß es wieder nichts wäre mit dem neuen jungen Liebhaber, und daß ich ihn nicht behalten könnte. Ich schwieg. Die Person des jungen Mannes war mir angenehm; ich hoffte hartnäckig. Der tragischen Rolle sollte eine Lustspielrolle folgen: 'Der geheime Agent'. Eine Fichtner'sche Rolle! Natürlich genügte er auch da nicht, aber ich meinte nach diesem zweiten Abende, meiner Hoffnung noch sicherer vertrauen zu dürfen, wenn es mir nur gelänge, einen fremden Redeaccent zu vertreiben, der ihm eigen war. Ich war es gewohnt, mit solcher Hoffnung allein zu bleiben, ja mich verspottet zu sehen mit derselben, was diesmal auch von meiner Behörde reichlich geschah. Der Spott steigerte sich sogar zum Tadel, als ich ihm Rollen gab wie den Schiller in den 'Karlsschülern', und das sonst beliebte Stück vor schwachem Hause abspielte. 'Das kommt von solchen Besetzungen,' hieß es. Das ist der ewig fehlerhafte Cirkeltanz beim Theater; es soll Nachwuchs erzogen werden, aber Rollen will man den jungen Leuten nicht anvertrauen; sie sollen schwimmen lernen ohne Wasser. Nun, ich blieb eigensinnig anderer Meinung, und jener junge Mann, fleißig und geistig strebsam, lernte schwimmen wie Einer, und wenn ich ihn jetzt nenne, so sagt jetzt Jedermann: 'Ja, das glauben wir.' – Es war Adolph Sonnenthal.“

Auch bei diesem Künstler überragen also anfangs die Dornenstücke die Blumen- und Fruchtstücke; doch es ist ermuthigend für junge strebende Talente, zu erfahren, daß auch anfänglich halbe Erfolge und Mißerfolge keineswegs für später eine glänzende theatralische Laufbahn ausschließen; freilich bedarf es dazu eines Bühnenleiters von unerschütterlichen Ueberzeugungen, von jenem Eigensinn Laube's, der für ihn, wo er im Unrecht war, stets verhängnißvoll gewesen ist, wo er aber Recht hatte, auch Gedeihliches durchzusetzen vermochte.

Im Jahre 1863 sprach ich Sonnenthal wieder in Wien: er war inzwischen ein Liebling des Publicums geworden. Ich konnte ihm danken für den schönen, sich nachhaltig vermehrenden Erfolg meines Lustspiels „Pitt und Fox“, den er in erster Linie durch die vorzügliche Darstellung des Fox erringen half. Laube brachte das Stück, wie er selbst mittheilt, erst zur Aufführung, als Sonnenthal soweit entwickelt war, daß er ihm den Fox geben konnte, weil er in seinem gehaltvollen Wesen eine erhöhende Unterlage fand für die ausgelassen Figur des berühmten Ministers.

Seitdem hat sich Sonnenthal's Stellung an der Burg von Jahr zu Jahr noch mehr befestigt; er ist zugleich ein tüchtiger, fleißiger Regisseur und hat sich auch durch bühnengerechte Bearbeitung des George Sand'schen Dramas: „Der Marquis von Villemer auf dramaturgischem Gebiete bewährt.

Die Entwickelung des begabten Darstellers wurde nicht nur durch seinen Fleiß gefördert, er kam auch allmählich immer mehr in das richtige Fahrwasser. Der männliche Grundzug seines Wesens, der sich von Jahr zu Jahr schärfer ausprägte, war ihm bei der Darstellung der lyrischen Bühnenjünglinge immer etwas im Wege. Er hatte wohl Feuer und Wohlklang des Organs; aber es fehlte ihm doch die sanfte Innigkeit der Schwärmerei, das eigentlich Schmelzende der Sehnsucht und Hingebung der Liebe; auch störte bisweilen das Umschlagen der Stimme in den höheren Registern der Schiller'schen und Shakespeare'schen Tenore. Im Conversationsstücke dagegen sollte der junge Darsteller bald heimischer werden und sich allmählich die Domaine erobern, in welcher ihm am deutschen Theater unbestritten der erste Rang zuertheilt werden mußte. Als Salonschauspieler erntete er die reichsten Lorberen, und doch war er nicht vorzugsweise das, was man als Frackschauspieler zu bezeichnen pflegt.

Die äußere Eleganz war nicht das Sieghafte bei ihm in diesen Rollen, wenn er sie auch nicht vermissen ließ: es war immer der innere markige Halt, die geistige Bedeutung, der seelenvolle Ausdruck, was den Ausschlag gab bei den Wirkungen seiner Kunst. War doch auch seine Gestalt mehr stattlich als schlank, und in seinen für bewegliches Mienenspiel nicht besonders geeigneten Zügen war es vorzugsweise der sprechende Blick des Auges, der die Situation beherrschte. Mehr als die jugendlichen Liebhaber in Jamben, sagten ihm daher die Liebhaber der Bauernfeld'schen Muse zu, die reiferen Junggesellen mit ihrem oft sarkastischen Humor, die widerstrebend in Amor's Bande eingefangen werden. Sein Baron Ringelstern in „Bürgerlich und Romantisch“, sein Baron Zinnburg und ähnliche Lebemänner, kundige Thebaner in Herzenssachen, Männer von Laune und Geist: das waren die Helden, die von Sonnenthal in unnachahmlicher Weise auf die Bühne gebracht wurden. Ein fein jovialer Humorist, wie Bolz in Freytag's „Journalisten“, alle Rollen mit geistiger Unterlage, wie Fox bei freiem Spiel der Laune, wurden die Zierden seines Repertoires.

Sehr zu Statten kam dem Darsteller dann auch die an sich übertriebene und tadelnswerthe Pflege der französische Komödie seitens des Deutschfranzosen Heinrich Laube; doch in diesen französischen Stücken gab es manche interessante Salonrolle, Liebhaber von männlichem Gepräge und geistig überlegener Haltung; wir erwähnen hier nur den Grafen Prasch in dem Lustspiel „Der Attaché“, den ebenso energischen, wie schlauen Diplomaten, den Sonnenthal ganz vortrefflich durchführte.

Neben diesen Lustspieldarstellungen gingen diejenigen der Tragödie einher. In Goethe's „Clavigo“ spielte er die Titelrolle stets wirksam, so wenig dieser schwankende Charakter seinem Naturell zusagte. Immer sind Sonnenthal's Masken vortrefflich; so war es auch diejenige des „Clavigo“. Wir geben sie hier wieder nach einem Oelgemälde, welches im Vorzimmer der kaiserlichen Loge in der Burg hängt. Bei schwierigen Charakteren, wie Hamlet und Narciß, die zur Bizarrerie verlocken, war der Darsteller stets darauf bedacht, sie aus einem Guß und mit maßvoller Haltung hinzustellen; er gehörte nicht zu den Künstlern, welche mehr die gelehrten Noten der Commentare spielen, als den Text der Dichtung selbst. Alle unruhige Geistreichigkeit mit ihren hin- und hergreifenden Marotten liegt ihm fern.

Gerade in der harmonischen maßhaltenden Gestaltung liegt der große Vorzug seiner Darstellungsweise. Darum gelangen ihm auch in der Tragödie besonders diejenigen Gestalten, über denen eine milde dichterische Beleuchtung schwebt, die von dem Poeten selbst schon mit einer harmonischen Stimmung beseelt sind, wie der König in dem interessanten Grillparzer'schen Fragment: „Esther“.

In den letzten Jahren hat sich Sonnenthal mehr dem Helden- und Charakterfach gewidmet. Eine seiner Glanzleistungen war der „Nero“ in Wilbrandt's Trauerspiel, das bei einzelnen grandiosen Zügen doch auch eine gewisse Verzerrtheit in den Uebertreibungen der grellen Handlung nicht verleugnen konnte und sich deshalb nicht auf der Bühne erhalten hat. Immerhin war der Titelheld eine interessante pathologische Studie, die von dem Darsteller mit Tiefe erfaßt wurde; von den genialen Blitzen der Wilbrandt'schen Dichtung ging keiner verloren, keiner zündete bei seiner Darstellung mit kaltem Schlag. Für die Durchführung des Antonius in Shakespeare's „Antonius und Kleopatra“ zollte Dingelstedt in der Widmung, die er seiner ebenso kühnen wie bühnengewandten Bearbeitung dieser römischen Historie voraussendete, Sonnenthal sowie Charlotte Wolter, der königlichen Kleopatra, warmen Dank.

Eine Meisterleistung, die wir selbst an der Burg mit ansahen, ist der alte Risler Sonnenthal's in dem widerwärtigen französischen Stück: „Risler senior und Fromont junior“. Wenn Daudet auf dem Wiener Burgtheater sich behauptet hat, so hat er dies wesentlich dem Schauspieler Sonnenthal zu verdanken. Selten haben wir auf der Bühne etwas Wirksameres gesehen, als den Contrast zwischen diesem biedermännisch schlichten, ruhig einfachen Risler der ersten Acte und diesem hinreißenden Wirbelwind der Leidenschaft, in den ihn die furchtbare Entdeckung der Untreue seiner Frau versetzt. Das Spiel Sonnenthal's erregte jedesmal in dieser großen Scene einen wahren Sturm des Enthusiasmus.

So gehört Sonnenthal zu den Darstellern, die bei keiner Etappe ihrer Entwickelung stille stehen, zufrieden mit dem errungenen Ruhm, sondern die immer strebend sich bemühen und dem aufmerksamen Beurtheiler stets neue Seiten ihres Talentes darbieten. Auch ist er kein staubaufwirbelnder Virtuose, sondern ein echter Künstler, dem nur das Schaffen und die Schöpfung selbst am Herzen liegen, eine liebenswürdige Künstlernatur, empfänglich für alles Schöne und, wo er nur vermag, gern bereit, das Talent junger Darsteller und Dichter zu fördern.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_434.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)