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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Er wollte in der alten vertraulichen Weise den Arm um die Schulter seines Vetters legen, aber die Gräfin trat plötzlich zwischen Beide. Es war ein stummer, aber so energischer Protest gegen die Vertraulichkeit der jungen Männer, daß Edmund unwillkürlich zurücktrat. Oswald sah seine Tante an, und sie gab ihm den Blick zurück; keines von Beiden sprach ein Wort, aber der Ausdruck unversöhnlichen Hasses, der in ihren Augen sprühte, sagte genug.

„Nur Glück!“ wiederholte Oswald kalt. „Ich fürchte, Du dehnst die Machtvollkommenheit in Deinem Hause doch allzuweit aus. Das anzubefehlen, dürfte nicht einmal dem 'Chef der Familie' und dem 'Haupte des Hauses' möglich sein. – Gute Nacht, Edmund! Ich will Dich und die Tante nicht länger stören.“

Er verneigte sich vor der Gräfin, ohne ihr wie sonst die Hand zu küssen, und verließ den Saal. Edmund blickte ihm halb verwundert, halb unwillig nach.

„Oswald wird jeden Tag herber und unzugänglicher. Findest Du das nicht auch?“

„Warum hast Du ihn gezwungen, zu bleiben?“ sagte die Gräfin kurz und bitter. „Du siehst, wie er Dir Deine Liebe lohnt!“

Der junge Graf schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht. Mir gilt dieses seltsame Wesen nicht. Es lastet etwas auf Oswald, irgend etwas Schweres. Ich sehe es ganz deutlich, wenn er mir auch nie Rede stehen will. Dir gegenüber kehrt er freilich immer im Trotze die herbsten Seiten seines Charakters heraus; ich kenne ihn, wie er wirklich ist, und deshalb habe ich ihn lieb.“

„Und ich hasse ihn,“ brach die Gräfin aus. „Ich weiß, daß er etwas gegen uns im Schilde führt. Vorhin, als sich mir der Segenswunsch für das Glück Deiner Zukunft so heiß auf die Lippen drängte, da tauchte er plötzlich auf wie ein Schatten, da trat er dazwischen wie ein Unglücksbote. Weshalb hast Du ihn zurückgehalten, als er gehen wollte? Ich kann nicht aufathmen, so lange er in Ettersberg weilt.“

Edmund blickte seine Mutter ganz erschreckt an. Leidenschaftliche Ausbrüche waren bei ihr etwas so Ungewöhnliches, daß er sie in diesem Augenblicke gar nicht wieder erkannte. Ihm war ja ihre Abneigung gegen Oswald nicht fremd, aber diese furchtbare Gereiztheit vermochte er sich doch nicht zu erklären.

Der Eintritt Eberhard's und noch eines Dieners machte dem Gespräch ein Ende. Sie hatten drüben im Tanzsaal die Lichter gelöscht und wollten nun das Gleiche hier thun. Die Gräfin, gewohnt, sich in Gegenwart der Dienerschaft zu beherrschen, faßte sich auch jetzt schnell. Sie gab noch einige Befehle und nahm dann den Arm Edmund's, der sie nach ihrem Zimmer geleitete. Sie schien es bereits zu bereuen, daß sie sich ihrem Sohne gegenüber so weit hatte fortreißen lassen, und auch diesem war die Störung willkommen gewesen. In der Beurtheilung Oswald's verstanden er und die Mutter sich nun einmal nicht.

In den Festräumen wurde es gleich darauf still und dunkel; die Thüren wurden geschlossen, und die Dienerschaft zog sich zurück. Auch in den Zimmern der Gräfin und Edmund's erlosch das Licht bald, nur zwei Fenster waren noch hell im ganzen Schlosse, das Erkerzimmer im Seitenflügel, das Oswald von Ettersberg bewohnte, und ein anderes Gemach, das im Hauptgebäude neben der Wohnung der Gräfin lag.

Auch die junge Braut war noch nicht zur Ruhe gegangen. Sie saß in den Armstuhl zurückgelehnt, das Haupt in die Polster gedrückt, und achtete nicht darauf, daß sie die Spitze und Rosen ihres Seidenkleides zerdrückte. Vor ihr auf dem Tische lag das Brautgeschenk ihres Verlobten, ein kostbares Perlenhalsband, das sie heute zum ersten Mal getragen hatte, aber auch nicht ein einziger Blick fiel darauf, und doch hatte sie es vor wenigen Tagen mit solcher Freude empfangen.

Der heutige Abend war ja überhaupt so reich an Freuden gewesen. Hedwig war zum ersten Mal als Braut in die Gesellschaft getreten; zum ersten Mal hatte sie sich in dem neuen, glänzenden Rahmen bewegt, der ihr Leben fortan umschließen sollte. Es war immerhin ein beneidenswerthes Loos, als Herrin in das stolze Ettersberg einzuziehen, selbst für eine reiche Erbin und ein so verwöhntes Schooßkind des Glückes, wie Hedwig Rüstow war. Sie hatte noch nie so viel Triumphe gefeiert, so viel Huldigungen empfangen, wie sie heute der künftigen Gräfin Ettersberg zu Theil wurden.

Und doch zeigte sich kein Lächeln des Glückes oder der befriedigten Eitelkeit auf dem Gesichte des jungen Mädchens. Unbeweglich, die Hände im Schooße gefaltet, blickte sie mit träumendem Ausdrucke vor sich hin. Der Schleier, der auf ihrer Seele lag, wollte nicht weichen; der Traum hielt sie noch immer umsponnen. Er führte sie fort von all den glanzvollen Bildern des Festes, weit hinweg, bis zu einer einsamen Waldhöhe, wo ein trüber, dicht umschleierter Himmel niederblickte, wo die Schwalben durch die regenschwere Luft zogen und ihre Grüße niedersandten.

Sie hatten damals wirklich den Frühling gebracht. Mitten unter Reif und Kälte keimte das noch tief verborgene, aber mächtige Frühlingsleben, und ringsum regte es sich lautlos und unsichtbar, wie das Weben geheimnißvoller Kräfte. Ja wohl, es wird doch endlich Frühling, in der Natur wie im Menschenleben – aber bisweilen kommt er zu spät.




Das Fest in Ettersberg war im Hochsommer gefeiert worden; jetzt befand man sich bereits im September. Der junge Majoratsherr hatte nunmehr selbst die Verwaltung seiner Güter übernommen, aber es ließ sich nicht behaupten, daß irgend etwas dadurch anders oder besser geworden wäre – im Gegentheil: es blieb Alles beim Alten. Dem Administrator war zwar auf energisches Andrängen Rüstow's gekündigt worden, aber er blieb bis zum Beginn des nächsten Jahres noch in seiner Stellung, und weder ihm noch den übrigen Beamten wurde der so nothwendige Zügel auferlegt; denn Graf Edmund fand es sehr überflüssig und unbequem, sich um dergleichen zu kümmern. Er hörte zwar stets mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit den Vorschlägen und Pläne seines Schwiegervaters zu, gab ihm in allen Stücken Recht und versicherte regelmäßig, er werde gleich morgen die Sache in Angriff nehmen, aber dies „morgen“ kam niemals. Oswald's Vorhersagung bestätigte sich; der Oberamtsrath sah bald genug ein, daß er selbst ergreifen mußte, wenn irgend etwas geschehen sollte.

Edmund seinerseits wäre auch ganz einverstanden damit gewesen, dagegen stieß Rüstow auf unerwarteten Widerstand bei der Gräfin, die es höchst überflüssig fand, daß man ihren Sohn bevormunden wollte, und durchaus nicht geneigt war, dem Schwiegervater desselben eine Machtvollkommenheit einzuräumen, die sie bisher allein ausgeübt hatte.

Ueberdies waren die Aenderungen, die der Oberamtsrath vorschlug, durchaus nicht nach dem Geschmack der Dame. Einrichtungen und Anlagen, die für das bürgerliche Brunneck paßten, waren für das aristokratische Ettersberg nicht geeignet. Mochte ein Theil der Beamten auch noch so überflüssig, mochte die Art der Bewirthschaftung auch noch so kostspielig sein, das war seit langen Jahren so gewesen, das gehörte zu dem großen Stil, in dem man zu leben gewohnt war. Eine Einschränkung des Beamtenpersonals, eine peinliche Controlle über die Details der Verwaltung, die Rüstow forderte, erschienen der Gräfin als eine Art von Herabsetzung, und da sie nach wie vor die entscheidende Stimme in Ettersberg hatte, so drang ihre Opposition durch. Es hatte bereits sehr lebhafte Debatten zwischen ihr und dem Oberamtsrath gegeben, und wenn Edmund auch noch stets dazwischen getreten war und Frieden gestiftet hatte, so blieb doch eine gewisse Verstimmung zurück.

Die Bewunderung Rüstow's vor der imposanten Dame hatte merklich abgenommen, seit er erfahren hatte, wie imposant sie ihre Privilegien zu vertheidigen wußte, und die Gräfin ihrerseits fand, daß der Oberamtsrath doch Eigenthümlichkeiten habe, die man nicht so ohne Weiteres hinwegnehmen könne, kurz, die Harmonie des Verhältnisses war gestört, und es zogen bereits Wolken an dem bisher so klaren Himmel des Familienfriedens auf.

Oswald hatte sich von all diesen Erörterungen consequent fern gehalten. Er schien sich bereits als ein Fremder in dem Hause zu betrachten, das er nun bald verlassen sollte. Ueberdies nahmen ihn seine Studien für das bevorstehende juristische Examen vollständig in Anspruch und gaben ihm den Vorwand, sich von allen Besuchen und Einladungen zurückzuziehen, mit denen das Brautpaar und dessen Familie überschüttet wurde.

Jetzt war das Ende des September und damit der zur Abreise nach der Residenz bestimmte Termin herangekommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_415.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)