Seite:Die Gartenlaube (1880) 369.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

„Durch diese hohle Gasse muß er kommen.“
Nach seinem Gemälde auf Holz gezeichnet von Schladitz.


„Erst jetzt, wo er unmittelbar vor dem Examen steht, kommt er damit zum Vorschein. Ich habe ihm aber mit der größten Entschiedenheit erklärt, daß von Advocaturpraxis keine Rede sein könne, und daß er in den Staatsdienst treten werde.“

„Und was hat er Dir darauf erwidert?“

„Nichts – wie gewöhnlich! Du kennst ja dies starre, finstere Schweigen, das er schon als Knabe jedem Vorwurf und jeder Strafe entgegensetzte, diesen Blick voll unerträglichem Trotze, den er stets in Bereitschaft hat, wenn sein Mund schweigt. Ich bin überzeugt, er hält nur um so hartnäckiger fest an seinem unsinnigen Plane.“

„Das sieht ihm ähnlich, aber in diesem Falle wird er sich doch fügen müssen. Wer so gänzlich mittellos ist, wie Oswald, der ist in jeder Lebensstellung noch für’s Erste von der Beihülfe seiner Verwandten abhängig. Der Ungehorsam würde ihm doch allzu theuer zu stehen kommen.“

Das Gespräch hatte während der letzten Minuten einen ganz andern Ton angenommen. Vorhin, als von Edmund die Rede war, hatten die Gräfin und ihr Bruder wohl ernst und sorgenvoll gesprochen, aber jedes Wort zeugte doch von der höchsten Rücksicht für den eigensinnigen Sohn und Neffen. Sie wollten ihn nur leiten, nur zurückführen, und die Liebe zu seiner Mutter war das einzige Zwangsmittel, das überhaupt in Betracht kam. Von dem Augenblicke an aber, wo Oswald’s Name genannt wurde, gewann das Gespräch eine andere Färbung. Da wurde im herbsten Tone berichtet und mit der schärfsten Strenge abgeurtheilt; da war sofort von Zwangsmaßregeln gegen den Ungehorsamen die Rede. Baron Heideck theilte augenscheinlich die Abneigung seiner Schwester gegen den jungen Verwandten im vollsten Maße.

Der Gerufene trat jetzt, ein und begrüßte die Tante und den Vormund, den er bei der Ankunft nur flüchtig gesehen hatte, in der gewohnten ruhigen Haltung, aber ein schärferer Beobachter konnte bemerken, daß er sich für die kommende Scene gewaffnet hatte. Er stand wieder da mit dem „starren finsteren Schweigen“, mit jenem Blicke „unerträglichen Trotzes“, und wartete, was man ihm eröffnen werde.

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_369.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)