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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


überschüttet wurde, empfand eine derartige Gleichgültigkeit fast als Beleidigung, und sie war noch nicht mit ihrem Aerger darüber fertig geworden, als sie aus dem Walde trat und Brunneck dicht vor ihr lag.

Oswald war allein zurückgeblieben, aber er schien den heranziehenden Regen völlig vergessen zu haben; denn er lehnte unbeweglich, mit verschränkten Armen an dem Stamme eines Baumes und machte keine Anstalt zum Gehen.

Die Wolken senkten sich immer tiefer; der ganze Wald verschleierte sich im Nebel, und die Schwalben schossen jetzt dichter über den Boden hin, der noch hier und da die weißen Spuren des Nachtfrostes trug. Aber mitten unter Reif und Nebel keimte still und mächtig all das Leben, das noch in tausend Knospen schlummerte; es wartete auf den ersten warmen Hauch, auf den ersten Sonnenglanz, der es erwecken sollte. Es lag etwas wie Frühlingsathem in dieser herben Luft, und wie Frühlingswehen ging es durch den öden Wald. Es war, als rege sich ringsum ein geheimnißvolles Weben und Walten, lautlos und unsichtbar, aber es wurde doch gefühlt und verstanden, auch von dem einsamen Manne, der wie träumend in die umschleierte Ferne blickte.

Vorhin, als er auch einsam durch den Wald ging, da war das Alles so leer und todt gewesen, da vernahm er auch nicht einen einzigen Laut der Sprache, die jetzt so deutlich zu ihm redete. Er wußte nicht oder wollte nicht wissen, was ihm auf einmal das Verständniß erschlossen hatte, aber der herbe, feindselige Zug verschwand aus seinem Antlitz und mit ihm versank auch die Erinnerung an eine öde, freudlose Jugend ohne Liebe und Sonnenschein, versanken der Haß und die Bitterkeit, mit denen eine stolze energische Natur Abhängigkeit und Zurücksetzung ertrug. Jenes weiche, halb unbewußte Träumen, das Anderen so oft naht, hatte auch den starren kalten Oswald umsponnen, vielleicht zum ersten Male, aber es hielt ihn nur um so unwiderstehlicher fest. Ueber ihm schwebten die Schwalben noch immer rastlos auf und nieder in der regenschweren Luft; immer noch schwirrte ihr leise grüßender Laut herab, und dieser Gruß und das Frühlingsweben ringsum und die Stimme in der eigenen Brust wiederholten immer nur das Eine, das vorhin so triumphirend und siegesgewiß von anderen Lippen geklungen: Es wird doch endlich Frühling.




Im Laufe der nächsten Tage kam nun wirklich der „Kriegsplan“ zur Ausführung, den Edmund und Hedwig entworfen hatten. Die unumwundene Erklärung des jungen Paares den Eltern gegenüber hatte genau den erwarteten Effect, hochgradige Empörung in Brunneck, wie in Ettersberg, Vorwürfe, Bitten und Drohungen, schließlich ein bestimmtes und unwiderrufliches Nein von beiden Seiten. Der junge Graf und nunmehrige Majoratsherr hatte die entschiedene Erklärung seiner Mutter entgegen zu nehmen, daß sie ihre Einwilligung zu dieser Verbindung ein für alle Mal versage, und Fräulein Hedwig Rüstow hatte einen gelinden Wuthanfall ihres Vaters auszuhalten, der förmlich außer sich gerieth bei der Nachricht, daß ein Ettersberg, ein Mitglied der verhaßten Familie und sein Gegner in dem Processe um Dornau, ihm als Schwiegersohn präsentirt werden sollte. Der in der schärfsten Weise kundgegebene elterliche Unwille machte aber leider nur einen sehr geringen Eindruck auf die jungen Herrschaften, denen natürlich jeder fernere Verkehr verboten wurde, und die sich noch in derselben Stunde hinsetzten, um an einander zu schreiben; denn sie hatten, in weiser Voraussicht des Kommenden, bereits einen sicheren Weg für ihre Briefe verabredet.

In dem Balkonzimmer des Herrenhauses von Brunneck ging der Oberamtsrath mit großen Schritten auf und nieder. Hedwig hatte für gut befunden, nach den ersten heftigen Debatten sich zurückzuziehen und ihren wüthenden Papa sich selber zu überlassen. Dieser schüttete jetzt, da die Tochter ihm nicht erreichbar war, das ganze Maß des Zornes über seine Cousine aus, der er die heftigsten Vorwürfe machte, sie habe durch ihre unverzeihliche Nachgiebigkeit und Begünstigung dieser Bekanntschaft die ganze Sache verschuldet.

Fräulein Lina Rüstow saß auf ihrem gewöhnlichen Platz am Fenster und hörte zu, ohne sich im Geringsten bei der Handarbeit stören zu lassen, mit der sie beschäftigt war. Sie wartete geduldig, bis eine Pause eintrat und ihr aufgebrachter Cousin genöthigt war, Athem zu schöpfen; dann fragte sie in voller Seelenruhe:

„Vor allen Dingen, Erich, sagen Sie mir, was haben Sie eigentlich gegen diese Heirath einzuwenden?“

Der Gefragte blieb plötzlich stehen – das war ihm denn doch zu stark. Seit einer halbe Stunde bemühte er sich, seinem Aerger, seiner Wuth, seiner Empörung jeden nur möglichen Ausdruck zu geben, und jetzt fragte man ihn in aller Gemüthsruhe, was er denn eigentlich gegen diese Heirath einzuwenden habe. Die Frage brachte ihn so gänzlich aus der Fassung, daß er im Augenblicke gar keine Antwort darauf fand.

„Ich begreife Ihren Unwillen wirklich nicht,“ fuhr das Fräulein in dem gleichen Tone fort. „Es handelt sich hier um eine aufrichtige Herzensneigung von beiden Seiten; Graf Ettersberg ist eine höchst liebenswürdige Persönlichkeit. Der unselige Proceß, der Ihnen schon den ganzen Winter die Laune verdirbt, wird dadurch in der allereinfachsten Weise beendigt, und äußerlich betrachtet, ist diese Partie für Hedwig eine glänzende. Warum also sträuben Sie sich so dagegen?“

„Warum? warum?“ rief Rüstow, noch mehr gereizt durch diese Ruhe. „Weil ich es nicht leiden will, daß meine Tochter einen Ettersberg heirathet. Weil ich es ein für alle Mal verbiete.“

Fräulein Lina zuckte die Achseln.

„Ich glaube nicht, daß sich Hedwig diesen Gründen fügen wird. Sie wird sich einfach auf das Beispiel ihrer Eltern berufen, die ja auch ohne Zustimmung des Vaters –“

„Das war etwas Anderes,“ fiel Rüstow ungestüm ein, „etwas ganz Anderes!“

„Es war genau dasselbe, nur daß die Verhältnisse damals weit ungünstiger lagen als jetzt, wo wirklich nur Vorurtheil und Starrsinn dem Glücke des jungen Paares im Wege stehen.“

„Das sind ja sehr liebenswürdige Complimente, mit denen Sie mich überhäufen,“ rief der Oberamtsrath von Neuem in Wuth gerathend. „Vorurtheil! Starrsinn! Haben Sie nicht noch mehr dergleichen Schmeicheleien für mich in Bereitschaft? Geniren Sie sich nicht! Ich warte darauf.“

„Mit Ihnen ist heut wieder einmal nicht zu reden,“ bemerkte das Fräulein, gleichmüthig die Arbeit wieder aufnehmend, die während der letzten Minuten geruht hatte. „Wir wollen das später besprechen, wenn Sie ruhiger geworden sind.“

„Lina, Sie bringen mich um mit dieser entsetzlichen Gelassenheit,“ fuhr Rüstow auf. „Legen Sie wenigstens die verwünschte Näherei bei Seite! Ich halte es nicht aus, wenn Sie mit dieser unverwüstlichen Ruhe den Faden auf und nieder ziehen, während ich – ich –“

„Das ganze Haus umreißen möchte. Geben Sie sich keine Mühe – es bleibt doch stehen.“

„Jawohl, es bleibt schon, und wenn auch Alles gegen mich rebellirt, und wenn auch Sie in heller Opposition gegen mich stehen. Ich habe Gott sei Dank noch einen Bundesgenossen, die Gräfin Mutter in Ettersberg. Die wird noch mehr Starrsinn zeigen, als ich – darauf können Sie sich verlassen. Wir können uns zwar nicht leiden; wir thun uns in dem Processe alle nur möglichen Chicanen an, in diesem Punkte aber sind wir einmal ausnahmsweise einer Meinung. Sie wird ihrem Sohne schon den Kopf zurechtsetzen, und das freut mich; damit bin ich einverstanden; ich werde es gerade so mit meiner Tochter machen.“

„Ich glaube auch nicht, daß die Gräfin so schnell ihre Einwilligung ertheilen wird,“ sagte Lina in kühlem Tone. „Das zu erreichen ist eben Edmund's Sache.“

„Edmund!“ wiederholte Rüstow, der heut von einer Aufregung in die andere gerieth. „Das klingt ja schon recht vertraulich, recht verwandtschaftlich. Sie betrachten ihn wohl schon ganz und gar als Ihren Neffen? Aber daraus wird nichts. Ich sage Nein und nochmals Nein, und dabei bleibt es.“

Mit diesen Worten stürmte er aus dem Zimmer, und warf die Thür hinter sich zu, daß die Fenster klirrten. Fräulein Lina mußte sich wirklich „die Nerven“ abgewöhnt haben, denn sie fuhr nicht einmal zusammen bei dem Lärm, sondern sah dem heftigen Manne nur kopfschüttelnd nach und sagte halblaut:

„Ich möchte wissen, wie lange es dauert, bis er nachgiebt.“

In Ettersberg ging es nun allerdings etwas weniger stürmisch zu, aber die Aussichten für das junge Paar waren darum nicht hoffnungsreicher. Die Gräfin hielt die Sache für wichtig genug,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_367.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)