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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

selten ganz ohne Humor und Lachen ab, und das war wohl das Beste daran. Die Spuren bewahrt ergötzlich der „Eulenspiegel“, welchen Ludwig Pfau im Sturmjahre redigirte. Kurz führte übrigens in der politischen und literarischen Discussion selten die Keule als Waffe, sondern zumeist den zierlich damascirten, aber scharfschneidigen Stoßdegen der Ironie. In seiner Streitschrift gegen einen leidenschaftlichen Bekrittler seines „Tristan“, welche unter dem Titel „Der Kampf mit dem Drachen“ 1845 erschien, kann ich zwar nicht mit Heyse ein Meisterstück „polemischen Humors“ erblicken, wohl aber in der auf die Auerbach’sche Dorfhistorik gemünzten „Dorfgeschichte“ (Ges. Werke, IX, 259 fg.) eine der besten und zugleich gutmüthigsten literarischen Satiren, die jemals in Deutschland geschrieben wurden. Das ist attisches Salz oder auch allerbestes schwäbisches. Zu der lyrischen Stimmungsfülle und dem Stilglanze, welche im „Vaterlandslied“ walteten, hat sich der Dichter später nur einmal noch erhoben, in dem prächtigen Gedichte „Der Fremdling“, einer hochpoetisch-symbolisirenden Transfiguration des eigenen Schicksals.

Fasst man die dichterische Thätigkeit unseres Freundes und die Ergebnisse derselben zusammen, so könnte man ihn, die Vorstellung von einer schwäbischen Dichterschule als eine berechtigte vorausgesetzt, als den letzten Mohikaner dieser Schule bezeichnen. Er war so recht ein schwäbischer Binnenmensch, ein Schwabe im Superlativ, ein Reutlinger. Er ist nie in einer großen Stadt gewesen, München ausgenommen; er hat nie das Meer gesehen, auch die Hochalpen nicht, kaum flüchtig ein Stück Voralpen. Sein Heimathland war ihm A und O, war und blieb ihm die Welt. Darum ist in keines anderen schwäbischen Dichters Werken so entschieden viel vom besten Bein, Fleisch und Blut des Schwabenthums wie in den Werken von Hermann Kurz. Dieser Thatsache gegenüber könnte es wundernehmen, daß Kurz in seinem Heimatlande keineswegs populär geworden ist, wenn man nicht beachtete, daß es von jeher ein schwäbisches Specificum gewesen, einheimische Talente zu missachten und hintanzusetzen, unter Umständen auch zu verleumden, zu verfolgen oder zu vertreiben. Vollends solche, welche sich unter die Schablone des altherkömmlichen wirtembergischen „Schreiberregiments“ nicht zu fügen verstanden oder nicht fügen wollten.

Die Werke des schwäbischen Dichters par excellence, namentlich seine zwei großen Romane, wurden und werden in Norddeutschland und sonst außerhalb Schwabens entschieden mehr gelesen und gewürdigt als daheim. Freilich auch in der Fremde noch lange nicht nach Verdienst. Den Hauptgrund ihrer geringen Verbreitung sehe ich darin, daß Kurz es nie verstand, die Frauen für sich zu gewinnen, – die Frauen, von welchen doch die Beliebtheit eines Poeten vorzugsweise abhängt. Und warum gewann er sie nicht? Weil seinen Schriften durchweg das Glattgestrichene, Geschminkte, Kokette und häufig das Packende, Spannende, Sensationelle abgeht, weil er weit mehr ein Dichter der sinnenden Betrachtung als ein Dichter der elementaren oder der raffinirten Leidenschaft ist, weil es endlich in seinen Erzählungen vor lauter Motiviren nicht häufig genug zu dramatisch bewegtem Leben und Handeln kommt. Und wenn es dann doch dazu kommt, so ist der Leser und gar noch die Leserin gewöhnlich schon so ermüdet und abgespannt, daß sie das Interesse an der ganzen Geschichte verloren haben.

Kurz besaß fraglos viele der besten Eigenschaften eines besten Erzählers, aber diese Vorzüge wurden nicht selten paralysirt durch den großen Fehler, daß unser Freund jenen Besuchern glich, welche die Thür nicht mehr finden können. Er verstand es nicht, bei guter Zeit zu Ende zu kommen und abzuschließen. Das gab dann selbst kleineren Sachen, z. B. der, psychologisch angesehen, so meisterhaften Novelle „Der Weihnachtsfund“, etwas so Gedehntes, daß die Geduld der meisten Leser daran erlahmte. Dieses Nichtendigenkönnen ist daran schuld, daß in der Kurz'schen Novellistik mehr als einmal der Ausgang nicht hält, was der Anfang verspricht. Man fühlt mit einer gewissen peinlichen Theilnahme, wie dem Verfasser im Verlaufe seiner Erzählung mehr und mehr die Stimmung abhanden kommt und Dialektik ersetzen soll, was die Phantasie verweigert. Mitunter fällt darum das Ende dem Anfang gegenüber wahrhaft erschreckend ab. So in der Novelle „Die beiden Tubus“. Die erste Hälfte hat ein Meister des Humors gedichtet, aber die zweite verläuft in Trivialität. Was Gleichmaß und Geschlossenheit der Form angeht, so hat Kurz nichts Besseres geliefert, als seine zumeist auf Familientradition beruhenden Erzählungen, welche in der Gesammtausgabe unter der Ueberschrift „Hauschronik“ zusammengestellt sind. Sie standen ursprünglich in dem Kurz'schen Novellenbuch „Genzianen“. Mir persönlich sind, wie ich gestehe, diese Geschichten das Liebste von allem, was der Freund geschaffen. Hier, meine ich, sei es ihm so gut wie sonst nirgends geglückt –

„Um die gemeine Deutlichkeit der Dinge
Den goldnen Duft der Poesie zu weben.“

Die eigentliche Domäne von Kurz war die Geschichte Wirtembergs im 18. Jahrhundert. Auf diesem Gebiete kannte er jeden Weg und Steg, jeden Berg und Bach, jeden Baum und Busch, jeden Wald und Weiler. Auf dem Hintergrunde der Regierungszeit des Herzogs Karl hat er seine beiden großen Romangemälde „Schillers Heimatjahre“ und „Der Sonnenwirth“ ausgeführt. Jenes ist das frischer empfangene und künstlerischer gezeitigte und herausgearbeitete, dieses das tiefer angelegte und seelenkundiger entwickelte. In jenem herrschen idealistisch-romantische Motive, in diesem realistisch-psychologische. Als eine „schwäbische Volksgeschichte“ durfte der Dichter seinen Sonnenwirth mit Fug bezeichnen. Ich wüßte kein Buch zu nennen, in welchem das altwirtembergische Volksdasein zur angegebenen Zeit so umfassend, so anschaulich und so lebenswahr geschildert wäre wie hier. Den Höhepunkt erreicht die Erzählung und damit zugleich den Höhepunkt des tragischen Könnens unseres Dichters im 37. Kapitel, da, wo der Sonnenwirthle, nachdem er den Fischerhanne erschossen, seinem durch das Todesthal ahnungslos daherkommenden Vater von der Bergwaldwand herab zuruft: „Sonnenwirth von Ebersbach, wo hast du deinen Sohn?“ Schade, daß auch bei diesem Werke die schauende und gestaltende Kraft des Verfassers nicht bis zum Ende vorhielt. Der letzte Theil ist nur eine fleißige, aber trockene Relation nach Kriminalakten. „Schillers Heimatjahre“ leiden an einer gewissen Zwiespaltigkeit. Der Roman hat keinen rechten Mittelpunkt. Der Held desselben im Romansinne soll Heinrich Roller sein, aber er wird durch die Erscheinung Schillers fortwährend verdunkelt und in den Hintergrund gedrängt. Die beste Figur im ganzen Buche macht der Herzog Karl. Er ist überhaupt die am meisten plastische und typische Gestalt, welche Kurz geschaffen hat. Dieser Erzmischmasch von aufgeklärtem Despoten, Jagdwüthrich und Wüstling, von Tyrann und Schulmeister leibt und lebt vor unsern Augen, obzwar unser Dichter die Farbe, mit der er das Porträt malte, etwas abgedämpft hat. Es ist ihm gelungen, den Herzog so zu sagen dichterisch zu rehabilitiren, indem er einen Stral altwirtembergischer Pietät auf denselben fallen ließ.

Heyse hat sich mittels Veranstaltung und Veröffentlichung der vorliegenden Gesammtausgabe gewiß den Dank aller Wissenden und Empfänglichen verdient. Aber verwunderlich ist, daß in dieser Gesammtausgabe gerade das Werk von Kurz fehlt, welches, wenn vom Dichter im engeren Sinne die Rede, fraglos für sein bedeutendstes gelten muß. Ich meine selbstverständlich den von dem Freunde gedichteten Beschluß des von Gottfried von Straßburg unvollendet gelassenen Tristan. Noch im Mittelalter hatte, wie jeder weiß, das wundersame Werk Gottfrieds zwei Poeten den Heinrich von Freiberg und den Ulrich von Türheim, zur Vollendung angeliefert, und die Beiden hatten sich auch nach einander ihrer Aufgabe entledigt, soweit eben ihre Mittel reichten.

In unserem Jahrhundert sodann hatten Follen und Immermann den reizenden Stoff zu selbstständiger Behandlung wieder aufgenommen und hatte es der erstgenannte nur zur Schaffung etlicher Bruchstücke gebracht. Auch Immermann’s herrlicher Wurf war nicht zum Ziele gelangt, weil den düsseldorfer Meister der Tod vorzeitig hinwegnahm, wie er den straßburger vordem vorzeitig hinweggenommen hatte. Kurz war glücklicher. Ja, als einen rechten Glücksfall rechne ich es ihm an, daß ihm gegönnt gewesen, das „Hohelied von Tristan und Isolde“ zu beschließen. Denn wie hat er es beschlossen! So, daß der alte Gottfried, falls er aus seinem unbekannten Grabe sich erheben und seines Nachfolgers Leistung betrachten könnte, wohl sagen würde: „Das ist mein lieber Sohn; an dem hab' ich Wohlgefallen.“ Ich will damit nur auf die Congenialität des alten Beginners und des neuen Vollenders hingewiesen haben, indem ich ja nicht meinen kann, Kurz hätte in knechtischer Schmiegsamkeit ganz im Sinn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_360.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)