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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


wenn der Spruch der Gerichte das unumstößlich festgestellt hat, dann mag Dornau meinetwegen zum Teufel oder zum Majoratsbesitz Ihrer Familie gehen!“

„Da bricht die Grobheit durch!“ dachte Graf Edmund, der längst darauf gewartet hatte und den die ganze Sache höchlich amüsirte. Er war mit dem festen Vorsatze gekommen, dem als eine Art von Original bekannten Herrn von Brunneck überhaupt nichts übel zu nehmen. So nahm er denn auch diesen Ausfall von der humoristischen Seite und erwiderte mit der größten Artigkeit:

„Es ist eine sehr schmeichelhafte Zusammenstellung, die Sie da auszusprechen belieben, Herr Oberamtsrath. Daß Dornau zum Teufel geht, dürfte wenig wahrscheinlich sein; ob es an Ettersberg oder an Brunneck fällt, müssen wir abwarten – doch das ist ja Sache der Gerichte. Ich gestehe Ihnen offen, ich bin sehr neugierig, was die Weisheit der Herren Rechtsgelehrten da eigentlich zu Tage fördern wird.“

„Nun, das muß ich sagen, eine solche Auffassung der Sache ist mir noch nicht vorgekommen,“ erklärte Rüstow, ganz starr vor Erstaunen.

„Aber, weshalb denn nicht? Sie verfechten, wie Sie selbst sagen, nur ein Princip; ich vertrete gleichfalls nur die Pietät für den Willen meines Verwandten. Wir sind ganz beneidenswerth objectiv in der Angelegenheit. Also lassen wir in Gottes Namen die Herren Advocaten den Proceß weiter führen! Uns hindert das ja durchaus nicht, freundnachbarlich mit einander zu verkehren.“

Rüstow war eben im Begriff, energisch gegen diesen freundnachbarlichen Verkehr zu protestiren, als die Thür geöffnet wurde und seine Tochter auf der Schwelle erschien. Die junge Dame sah heute in dem dunkeln, enganliegenden Reitkleide mit dem von dem schnellen Ritt leicht gerötheten Antlitz noch viel reizender aus, als neulich in der winterlichen Umhüllung. Das fand auch Graf Edmund, der eiligst aufgesprungen war, viel eiliger, als die bloße Höflichkeit erforderte. Hedwig mochte wohl schon von dem Diener erfahren haben, wer sich bei ihrem Vater befand; denn sie verrieth keine Ueberraschung, als sie die Verneigung des Grafen mit einem halb fremden Gruße erwiderte, aber das muthwillige Aufblitzen ihrer Augen zeigte ihm, daß sie die Begegnung so wenig vergessen hatte, wie er selber. Der Oberamtsrath mußte sich wohl oder übel zu einer Vorstellung herablassen, und die Art, wie er den in seinem Hause so verpönten Namen Ettersberg nannte, verrieth, daß der Träger desselben trotz alledem schon einiges Terrain gewonnen hatte.

„Mein Fräulein,“ wandte sich Edmund zu dem jungen Mädchen, „ich habe erst kürzlich erfahren, wen mir das Schicksal in dem Proceß um Dornau zur Gegnerin gegeben hat. Sie werden daher begreifen, daß ich mich nun beeile, mich Ihnen in aller Form als Feind und Widersacher vorzustellen.“

„Sie kommen also nach Brunneck, um das feindliche Terrain zu recognosciren?“ fragte Hedwig, sofort auf den übermüthigen Ton eingehend.

„Allerdings! Das ist meine Pflicht unter den obwaltenden Umständen. Ihr Herr Vater hat mir bereits diesen Einbruch in das feindliche Lager verziehen. Vielleicht dürfte ich das auch von Ihnen hoffen, obgleich Sie mir neulich so bestimmt Ihren Namen verweigerten.“

„Was ist das?“ fuhr Rüstow dazwischen. „Du kennst den Grafen?“

„Jawohl, Papa,“ sagte Hedwig unbefangen. „Du weißt es ja, daß ich bei der Rückkehr aus der Stadt beinahe mit dem Wagen und dem Anton im Schnee stecken geblieben wäre, und ich habe Dir ja auch von den beiden Herren erzählt, mit deren Hülfe wir endlich hindurch kamen.“

Dem Oberamtsrath schien jetzt ein Licht aufzugehen über die Quelle, aus der die freundnachbarliche Zuneigung seines jungen Gastes stammte. Bisher hatte er sich vergebens den Kopf darüber zerbrochen, aber sehr erfreulich mußte ihm die Entdeckung wohl nicht sein, denn seine Stimme klang ziemlich scharf, als er erwiderte:

„Das war also Graf Ettersberg! Warum hast Du mir denn den Namen verschwiegen?“

Hedwig lachte. „Weil ich Dein Vorurtheil gegen denselben kannte, Papa. Ich glaube, wenn irgend eine Lawine uns getroffen hätte, Du hättest mir nicht einmal verziehen, mit einem 'Ettersberg' zusammen verschüttet zu sein.“

„Lawinen giebt es nicht auf unserer Landstraße,“ grollte Rüstow, dem diese Heiterkeit durchaus nicht gefiel.

„Doch, Herr Oberamtsrath, es war etwas dergleichen in der Thalsenkung niedergegangen,“ mischte sich Edmund ein. „Ich versichere Ihnen, die Sache war äußerst schwierig und gefährlich. Ich schätzte mich glücklich, dem Fräulein meinen Beistand anbieten zu können.“

„Nun, Herr Graf, Sie standen ja größtenteils auf dem Wagentritt,“ spottete Hedwig. „Ihr schweigsamer Begleitet war es, der uns aus der Noth half. Er“ – die Frage kam etwas zögernd heraus – „er ist natürlich nicht mit Ihnen gekommen?“

„Oswald weiß es nicht, daß ich gerade heute nach Brunneck geritten bin,“ gestand Edmund. „Er wird mir jedenfalls Vorwürfe machen, daß ich ihn des Glückes beraubt habe –“

„O, ich bitte, geben Sie sich doch keine Mühe, mir das einzureden!“ unterbrach ihn die junge Dame, indem sie, genau so wie damals am Wagen, das Köpfchen zurückwarf und eine höchst ungnädige Miene annahm. „Ich habe die Artigkeit Ihres Herrn Vetters hinreichend kennen gelernt und trage meinerseits gar kein Verlangen nach einer Erneuerung unserer Bekanntschaft.“

Edmund beachtete nicht die Gereiztheit dieser Worte. Er fand es sehr natürlich, daß man den finstern, ungeselligen Oswald nicht vermißte, wo er, Graf Ettersberg, seine ganze Liebenswürdigkeit entfaltete, und er that dies jetzt in so ausgedehnter Weise, daß sogar Rüstow diesem Zauber unterlag. Zwar sträubte er sich mit allen Kräften dagegen, er strebte, seinen Aerger festzuhalten und durch verschiedene grimmige Bemerkungen das Gespräch wieder in's Feindselige hinüberzuspielen, aber eins gelang ihm so wenig wie das andere; das Wesen und die Persönlichkeit des jungen Grafen nahmen ihn mit jeder Minute mehr gefangen. Dieser setzte augenscheinlich Alles daran, das gegen ihn bestehende Vorurtheil zu brechen. Er war sprühend, hinreißend in der Unterhaltung und unendlich liebenswürdig selbst in seinem Muthwillen. Der feindliche Gutsherr wurde überstürzt, gebändigt, noch ehe er es selbst recht wußte; er vergaß zuletzt vollständig, mit wem er es eigentlich zu thun hatte, und als Edmund endlich aufstand, um zu gehen, da geschah das Unerhörte, daß Rüstow ihn hinausbegleitete und ihm sogar zum Abschied die Hand schüttelte.

Erst als er wieder in das Zimmer trat, kam ihm die Besinnung und damit auch der Aerger zurück, und als er vollends sah, daß Hedwig am Balcon stand und dort den Abschiedsgruß des davonsprengenden jungen Grafen empfing, da brach das Ungewitter los.

„Nun, das übersteigt denn doch alle Begriffe. Solch eine Ueberrumpelung ist mir noch nicht vorgekommen. Da kommt dieser Graf Ettersberg ohne Weiteres angeritten, spielt den Liebenswürdigen, behandelt die ganze Proceßangelegenheit als eine Bagatelle, spricht von Vergleichen, von freundschaftlichem Verkehr, von allem Möglichen – er behext Einen ja förmlich mit dieser Manier, sodaß man gar nicht zu Athem kommt. Aber zum zweiten Male lasse ich mir das nicht gefallen. Wenn er wirklich wieder kommt, so werde ich ihm höflichst melden lassen, daß ich nicht zu Hause bin.“

„Das thust Du nicht, Papa,“ sagte Hedwig, die jetzt neben ihm stand und schmeichelnd den Arm um seinen Hals legte. „Dazu hat er Dir selbst viel zu sehr gefallen.“

„So? Und Dir wohl auch?“ fragte der Vater mit einem sehr kritischen Blicke. „Denkst Du etwa, ich weiß es nicht, was den jungen Herrn nach Brunneck führt? Denkst Du, ich habe den Handkuß nicht gesehen, mit dem er sich von Dir verabschiedete? Aber dergleichen verbitte ich mir ein für alle Mal. Ich will nun einmal mit keinem Ettersberg zu thun haben; ich kenne die Gesellschaft hinreichend. Hochmuth, Selbstsucht, unvernünftiger Starrsinn – das sind die Kennzeichen dieses Geschlechtes; da ist Einer wie der Andere.“

„Das ist nicht wahr, Papa,“ sagte Hedwig mit Entschiedenheit. „Meine Mutter war auch eine Ettersberg, und Du bist mit ihr sehr glücklich gewesen!“

Die Bemerkung war so schlagend, daß Rüstow ganz aus der Fassung gerieth.

„Das – das war eine Ausnahme,“ versetzte er endlich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_336.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)