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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


bevorstehenden Besuch anzuzeigen und seine häuslichen Angelegenheiten für eine längere Abwesenheit zu ordnen. Dann sollte er wieder in Andrejewo erscheinen, um gemeinsam mit Nikolai und seinen Töchtern die Reise nach Petersburg anzutreten.

Auf seiner Heimfahrt machte sich Sergey klar, daß die Bedenkzeit, die er mit dem Aufenthalt in der Hauptstadt den Mädchen einräumte, eigentlich eine war, die er sich selbst gönnte. Matrjona's ungemessene Freude, die lärmenden Vergnügungen der großen Welt in Aussicht zu haben, entsprach nicht seinem Geschmack, und dennoch lag darin etwas Räthselhaftes, das ihn anzog; Milinka's Abneigung gegen die rauschenden Genüsse stimmte zu seiner eigenen Denkungsweise, und dennoch fand er darin etwas ihm Widerstrebendes, das er sich augenblicklich nicht zu erklären vermochte. Von den Begebenheiten in der großen Stadt war ein Klarwerden über jenes Räthselhafte und dieses Widerstrebende zu hoffen.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Lose Vögel. Zwei Frühlingsbilder („Kukuk“, S. 329 und „Der erste Schreck“, S. 321) führen uns in das frische, junge Leben der kräftig in Blätter und Blüthen treibenden, Mensch und Thiere erquickenden Natur. Wir können beide Bilder wohl unter der gegebenen Ueberschrift zusammenfassen; denn wenn auch die Jungen in dem Neste, das mit ebenso viel Klugheit wie Geschmack einer steinernen Gartenzierde in Gestalt eines Genius mit dem unerklärlichen Stab in den Händen auf die Schultern gebaut ist, soeben ihren „ersten Schreck“ erleben, so sind sie, wenn der Feind vorübergeschnurrt, doch sofort wieder die losen freßbegierigen Jungen, die losen Vögel ihrer zärtlichen Mutter.

Unser andrer loser Vogel aber, der hinter seiner harrenden Mutter im Walde herbeischleicht und sie mit dem Rufe „Kukuk“ erschrecken will, sagt es uns mit seinem lachenden Gesicht, was er ist, und wie ihm das Erschrecken der Mutter gelungen, ist so auch in ihrem Antlitz deutlich zu lesen. Es sind zwei harmlose Bildchen, die wir unseren Lesern in dieser Zeit bieten, wo die Natur sich als liebende Mutter zeigt, die alle von des Winters Last und Noth gedrückten Menschenkinder wieder froh machen möchte, und wenn ihr das bei Vielen nicht gelingt, so sind leider die Menschen selber daran schuld und die bösen „Umstände“, mit denen sie sich das Leben erschweren und verbittern.




Kriegskämpfer und -Invaliden in Bedrängnis. Welch großes, unbeschreibliches und unermeßliches Unglück der Krieg ist, wie verheerend er in das Leben der Einzelnen und der Familien eingreift, das stellt sich uns lebhaft vor Augen, wenn wir sehen, daß heute, im zehnten Jahre nach unserm „letzten Kampf um den Rhein“, Einzelne und ganze Familien, die jener Krieg aus ihren Bahnen, aus gesicherten Stellungen gerissen, noch nicht wieder empor gekommen sind, zum Theil sogar, trotz aller Bitten und Mühen um Erwerbstätigkeit, in harter Bedrängniß leben.

Man braucht in dieser Klage nicht gleich eine Anklage gegen die bestehenden staatlichen und privaten Invaliden-Unterstützungsanstalten zu erblicken; denn die Unmöglichkeit, in der sich selbst die mit Mitteln reichlichst ausgerüsteten Anstalten dieser Art befinden, Allen, die es verdient haben, auch würdig zu helfen, liegt auf der Hand; dagegen soll man uns an den maßgebenden Stellen keinen Vorwurf daraus machen, daß wir beklagenswerthe Thatsachen nicht verschweigen und für Diejenigen, welche unter diesen Thatsachen leiden, ein Wort der Bitte aussprechen.

Ebenso wenig darf die Mahnung an eine noch unerloschene Pflicht gegen unsere Tapferen unterbleiben, die Mahnung an jene Pflicht der Dankbarkeit, die während der Gefahren und Triumphe des Krieges so oft und laut in allen Volkskreisen anerkannt, so bei mancher öffentlichen Feier jener Tage begeisterungsvoll beschworen worden ist. – Wir bieten in den nachstehenden Anliegen einer Anzahl unserer invalidgewordenen Kämpfer die Gelegenheit, jener Pflicht immer noch zu genügen. Namen nennen wir nicht, geben aber auf jede mit Bezeichnung der betreffenden Ziffern eingehende Anfrage die gewünschte Auskunft und theilen gleichzeitig die nöthige Adresse mit.

1) Arm und krank durch den Krieg. Ein Buchdrucker, jetzt einunddreißig Jahre alt, eilte vor zehn Jahren freiwillig zu den Fahnen, die nach Frankreich zogen, und kehrte aus dem Kriege mit schweren rheumatischen Leiden behaftet zurück. In jugendlicher Zuversicht, daß das Uebel sich legen werde, versäumte er die für Ansprüche an den Invalidenfonds festgesetzte Frist. Da er in seinem Berufe nicht mehr arbeiten konnte, suchte er in Bureaudiensten und als Corrector sich zu ernähren und verwandte seine letzten Ersparnisse auf eine Cur in Teplitz, die sein Leiden nicht hob; es kam noch ein Herzleiden hinzu, das ihn ganz erwerbsunfähig machte. Seitdem lag er, der früher seine alten, armen Eltern unterstützt hatte, diesen selbst zur Last, bis er im Armenhause seiner Vaterstadt, mit welchem das Stadtlazareth verbunden ist, Aufnahme fand. Arm und krank, so jung und den Tod vor Augen! Wer diesem Unglücklichen noch eine Freude gönnt, spende sie bald!

2) Invalid in Möhra. Früher Weber und Musikant, wurde dieser Mann bei Sedan schwer verwundet (die Kugel steckt noch in der Wunde); da er verheirathet und Vater von drei Kindern ist, so reichen die Invalidengelder nicht zur Ernährung seiner Familie hin, und er sucht, da seine Verwundung ihn an der Betreibung der Weberei hindert, eine Stelle als Aufseher, Portier oder dergl.

3) Barbier und Buchbinder. Theilnehmer an den Feldzügen von 1866 und 1870, wurde er nach dem letzten Ausfall vor Paris krank und in die Heimath beurlaubt. Da er als Barbier seine Kundschaft verloren, so suchte er seine Familie durch Buchbinderei zu ernähren; Concurrenz und Arbeitslosigkeit brachten jedoch ihn um Alles, sodaß er nun dringend um eine Stellung in einem Hause oder einem seiner Berufsgeschäfte bittet.

4) Durch den Krieg an den Bettelstab gekommen. Ein Ziegler, welcher 1859 in die Artilleriereserve trat, ernährte sich und seine rasch anwachsende Familie gut, bis er 1870 die Belagerung von Paris mitzumachen hatte. Dort hat er sich den Rheumatismus zugezogen, der ihn nach der Heimkehr sehr bald zu schwerer Arbeit unfähig machte, und da durch schwindelhafte Ueberproduction die Ziegelfabrikation zum Stillstand kam, so wurde der Unglückliche, mit sechs Kindern Gesegnete brodlos. Eine Stellung des Mannes als Fabrikaufseher, Hausdiener oder dergl. könnte die Armen retten.

5) Eisernes Kreuz und bittere Noth. Ein sächsischer Artillerist, welcher vom 1. Januar 1866 an fünfundeinhalb Jahr im activen Dienst gestanden, die Feldzüge in Oesterreich und Frankreich mitgemacht, in letzterem in den drei Schlachten von St. Privat, Sedan und Beaumont, in den Gefechten von Verdun und Nouart und in der Belagerung von Paris mitgekämpft und für seine Tapferkeit das Eiserne Kreuz zweiter Classe erhalten, wurde nach dem Feldzuge von einem so schweren Brustleiden ergriffen, daß er sein Schuhmacherhandwerk nicht weiter betreiben konnte und ihm eine gesetzliche Invalidenpension bewilligt wurde. Er erhält monatlich 15 Mark Pension, 6 Mark Kriegszulage und 6 Mark Anstellungsentschädigung, zusammen 27 Mark. Wie dankbar der Mann dafür auch ist, so ist es doch nicht seine Schuld, daß er, seine Frau und drei Kinder von dieser Einnahme nur kümmerlich leben können und eine Sorgfalt für seine Gesundheit dabei nicht möglich ist. Da aber selbst diese Einnahme mit Ende October 1881 aufhört, so bittet er dringend um eine leichte Beschäftigung im Wald oder sonst in freier gesunder Luft, um sich seiner Familie wenigstens noch einige Jahre erhalten zu können.

6) Landwirth und ledig. Ein dreiunddreißigjähriger, unverheiratheter Mann, dem am 6. August bei bei Wörth der rechte Unterschenkel zerschmettert worden war und der nach der Heilung mehrmals versuchte, als Verwalter zu dienen, aber wegen der Schwäche, welche die schwere Verwundung ihm zurückgelassen, diese Thätigkeit wieder einstellen mußte, wünscht jetzt, wo sein Zustand ein ziemlich kräftiger geworden, sich in seinem Berufe nützlich zu machen. Er bezieht zwar eine Invalidenpension von monatlich zwölf Thalern, würde aber einer Stellung als Landwirth, Verwalter, Aufseher oder Haushofmeister den Vorzug geben.

7) Ein Veteran der Feldzüge von 1866 und 1870 auf 1871; aus letzterem brachte er hartnäckigen Rheumatismus in beiden Armen heim, der ihm allerdings „saure Arbeit“ unmöglich macht, dagegen ihm gestattet, noch als Feldaufseher, Portier etc. zu dienen.

8) Einer von den Kämpfern vor Belfort im tiefsten Elend. Seines Zeichens ein Bergmann, zog er 1870 nach Frankreich mit und nahm an den Kämpfen bei Metz und 1871 an der dreitägigen Schlacht bei Belfort gegen Bourbaki Theil. Die furchtbaren Strapazen dieses Heldenkampfes an der Lisaine, der damals Deutschlands Rettung vor französischer Verwüstung war, sollte, wie vielen Anderen, auch diesem Manne verderblich werden, der kerngesund ausmarschirt war. Scheinbar kam er auch gesund heim, er stieg wieder in den Schacht, um sich freizuarbeiten von den Schulden, die seine Familie während des Krieges hatte machen müssen. Aber bald brach der bei Belfort gelegte Krankheitskeim in schweren Gichtleiden aus. Da auch er die rechte Meldungsfrist zur Invalidenpension versäumt hatte, so suchte er durch Schuhflicken die Seinen zu ernähren. Endlich ging auch das nicht mehr. Mit gichtgekrümmten Händen und Füßen ist der in der treuesten Ausübung seiner Pflicht für das Vaterland in solches Elend Gesunkene auf das Öffentliche Mitleid angewiesen. Ein Gensd'arm, welcher in hohem Auftrag ihn aufsuchte, ward beim Anblick des Mannes und seiner Familie so ergriffen, daß er aus der eigenen Tasche zwei Mark auf den Tisch legte. Und das ist Einer von Belfort!

9) Ein Jäger von St. Privat. Am 18. August 1870 wurde beim Sturm auf St. Privat ein Trompeter der sächsischen Jäger durch den rechten Oberschenkel geschossen. Nach achtmonatlichem Lazarethlager als Invalid entlassen, erhielt er eine Pension von monatlich einundzwanzig Mark gewährt. Da er damit auch Weib und Kind ernähren muß, so reicht es nicht zu, und so bittet er, da in Folge seiner Wunde und der Feldzugsstrapazen er das Musiciren lassen muß, ebenfalls um eine Stelle als Aufseher in einer Fabrik, als Hausmeister oder Aehnliches.

Wir wiederholen, daß wir die Namen dieser neun Invaliden auf Anfrage und nur brieflich mittheilen.




Berichtigung. In dem Artikel „Von Babylon nach Jerusalem“ in unserer Nr. 6 heißt es in Bezug auf das Verhältniß der Gräfin Ida Hahn-Hahn zu Heinrich Simon: „Simon hielt um die Hand der Gräfin an, doch diese konnte sich nicht entschließen, ihren Rang einem Bürgerlichen von jüdischer Herkunft zu opfern“. Diese Angabe wird von der Familie Simon auf Grund vorhandener Papiere in Abrede gestellt, was wir hiermit berichtigend zur Kenntniß bringen.

D. Red.



Kleiner Briefkasten.

S. M. D. Eigener Name des Autors! Adresse: Danzig, Heiligegeistgasse Nr. 53.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_332.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)