Seite:Die Gartenlaube (1880) 326.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

musikalischen Verständniß, für die Darstellung und den Vortrag von großer Bedeutung war und beim Zuhörer jenes wohlthuende Gefühl anmuthenden natürlichen Gefallens erzeugte, wie es blendende Mittel und Effecthascherei niemals vermögen. Seine Stimme gehörte nicht zu den mächtigen, aber zu den sympathischen, wie ich sie im bewunderungswürdigen Cantabile lyrischer Rollen und in seelenvollen Liedervorträgen schöner nie gehört habe.

Bei den gesteigerten Anforderungen, die nun an den Künstler auf der Bühne herantraten und die er vor Allen an sich selbst stellte, arbeitete er mit einer Strenge und Gewissenhaftigkeit, wie sie ihm eigenartig, an seiner höhern, künstlerischen Ausbildung fort. Von der Richtigkeit und Zweckmäßigkeit seiner Gesangsmethode konnte er mehr und mehr überzeugt werden, da er in dieser Zeit auf Grund derselben eine junge Dame, Fräulein Rosalie Aghte, ausbildete, welche bald als Frau von Milde bei der Oper in Weimar als eine ganz hervorragende dramatische Sängerin glänzte; gleichwohl war es ihm vom höchsten Interesse zu wissen, wie Garcia, der berühmteste Gesanglehrer seiner Zeit, Unterricht ertheilte, was von ihm noch zu erlernen sei, und in wie weit derselbe mit der Methode und den Leistungen des deutschen Sängers übereinstimme. Ein zu diesem Behufe erlangter Urlaub von einigen Monaten wurde benutzt, nach Paris zu reisen, um in die vielgerühmten Geheimnisse der Stimmausbildung und des Kunstgesanges einzudringen.

Götze erlangte da die Genugthuung, daß sein bisheriger Studiengang im Grunde der rechte gewesen war, und gewann mit der Anerkennung des berühmten Gesangsmeisters die Ueberzeugung, auf dem betretenen Wege weiter gehen zu sollen; denn ein Genügen, ein Ausruhen auf dem Lorbeer giebt es für ihn überhaupt nicht; sein Streben nach Wahrheit und Vollkommenheit in seiner schönen Kunst wird erst mit ihm selbst endigen.

Von größter Bedeutung für ihn war jene Zeit, als auf der Weimarischen Bühne ein Stern erster Größe in Wilhelmine Schröder-Devrient aufging, die zu einem längeren Gastspiel eintraf. Dieser hochbegabten größten dramatischen Sängerin Deutschlands war es ein Vergnügen, hier eine stimmungsvolle edle Künstlernatur in Götze zu finden, mit dem sie eine ganze Anzahl Rollen in ihrer genialen Weise einstudirte. Der Gewinn, den Götze aus dem Zusammenwirken mit der Schröder-Devrient für Darstellung und dramatischen Gesang zog, war ein so hoher, der Eindruck, den die unvergleichliche Frau auf ihn machte, war ein so tiefer, daß seine Verehrung für sie noch heute den Lorbeer um ihr Bildniß schlingt, welches sie ihm mit einer eigenhändigen Widmung nebst einem werthvollen Ringe beim Abschiede von Weimar verehrte.

Als jüngsthin Frau Marie Wilt, die während ihres Engagements in Leipzig die Aufmerksamkeit Götze’s durch ihre phänomenalen Gesangsmittel gefesselt hatte, dem liebenswürdigen Meister des Gesanges scheidend einen Lorbeerkranz überbrachte, wollte er ihn mit den Worten zurückweisen: „Was soll ich damit? Der gebührt mir nicht – aber,“ setzte er sogleich hinzu, „da hängt das Portrait einer großen echten Künstlerin, das wollen wir damit schmücken,“ und der Kranz wurde um das Bildniß der Schröder geschlungen.

Unter Chelard’s und Liszt’s Direktion gewann das umfangreiche Repertoire der Weimarischen Hofbühne immer mehr an Ausdehnung. Es umfaßte die deutsche Oper von der classischen Periode, von den Werken Gluck’s, Mozart’s, Beethoven’s, an bis zur neuern romantischen Zeit, zu den Opern Weber’s, Spohr’s, Marschner’s etc., wie die Oper der alten und neuen Franzosen und Italiener. Götze’s vielseitiges Talent beherrschte alle die bedeutenden ersten Tenorpartien darin, unter steigender Theilnahme des kunstgebildeten Publicums.

Wenn Götze seiner ganzen Natur nach den unsterblichen Werken unserer classischen Componisten mit Vorliebe zugethan war, so hielt ihn das nicht ab, jeder Kunsterscheinung von Werth warmes Interesse entgegen zu bringen, wie er es auch in neuester Zeit der Muse Richard Wagner’s und Liszt’s widmete. In nähere freundliche Beziehung zum geistreichen Liszt trat Götze noch, indem er einer der Ersten war, der dessen Liedercompositionen vortrug, die dadurch allgemein bekannt und gewürdigt wurden.

Im weiteren Verfolge seiner Künstlerlaufbahn wurde Götze bei angestrengter Thätigkeit am Theater wiederholt leidend, und so reifte der Wunsch in ihm, von der Bühne zu scheiden und sich dem liebgewonnenen Berufe, Unterricht in seiner Kunst zu ertheilen, ganz zu widmen. Ein wiederholt vom Direktorium des Conservatoriums zu Leipzig an ihn gelangter Ruf bestimmte ihn, die Stelle als Gesangslehrer daselbst anzunehmen. Weimar empfand den schweren Verlust tief und schmerzlich, und der Großherzog würdigte die Verdienste des Scheidenden durch Verleihung des Titels als Professor der Musik.

Im Jahre 1853 trat Götze seine Stelle in Leipzig an, mit der Hoffnung, hier die Erfahrungen, die ihm ein langes geliebtes Studium verschafft, möglichst allgemein und nützlich zu verwerthen. Gewissenhaftigkeit und Consequenz, eine mit liebreicher Theilnahme verbundene Strenge waren Eigenschaften bei seiner Unterrichtsweise, die ihm eine seltene Autorität und eine Zuneigung seitens der Schüler erwarben, wie sie nur dem besten Lehrer zu Theil werden. Zahlreiche Beweise von Anerkennung und rührender Dankbarkeit wurden ihm von vielen Seiten dargebracht.

Nach einer fünfzehnjährigen Wirksamkeit am Conservatorium widmete sich Götze von 1868 an lediglich dem Privatunterricht, darin das eigentliche Mittel erkennend, stimm- und talentbegabte Schüler bis zu derjenigen Ausbildung zu bringen, die den Künstler berechtigt, vor die Oeffentlichkeit zu treten. Ist der Schüler nach langen gründlichen Studien zu jener Stufe gelangt, so weiß ihn der Meister auch bezüglich der Darstellungskunst in einem Grade vorzubereiten, daß sein erstes Auftreten die Leistung als die eines Anfängers kaum erkennen läßt.

Es würde zu weit führen, die zahlreichen Schüler, welche durch Götze zu bedeutenden und hervorragenden Künstlern gebildet worden sind, hier alle aufzuführen; es genüge, einige aus neuerer Zeit zu nennen; wie: Georg Herrschel, der als Concertsänger auch außer Deutschland, in England und Rußland, die größten Erfolge erzielt, Bulß, Hofopernsänger in Dresden, Bariton Karl Meyer am Hoftheater in Kassel, der dort in die frühere Stelle von Bulß getreten, lyrischer Tenor Landau in Hamburg bei Pollini, Bariton Goldberg in Königsberg, ferner Frau Gutschbach-Lißmann, früher in Leipzig, jetzt in Hamburg, Fräulein Lammert, jetzt Frau Dr. Damm, Hofopernsängerin in Berlin, Fräulein von Hartmann in Königsberg und Fräulein Friedländer zur Saison in London mit großem Erfolge singend.

Aus Götze’s Schule sind aber auch Lehrer, die in seinem Geiste mit der an sich selbst erprobten Methode lehren, hervorgegangen. So weit sie mir bekannt, sind es: Professor von Bernuth in Hamburg, Fritz Rebling (lange Zeit hindurch ein vorzüglicher Oratorien- und höchst brauchbarer Bühnensänger), Fräulein Natalie Schilling in Leipzig, Fräulein Elise Eicke in Bremen, Frau von Milde in Weimar und Götze’s eigene reichbegabte Tochter, Fräulein Auguste Götze in Dresden, welche die jetzt an der Frankfurter Bühne thätige vortreffliche und Aufsehen erregende Sängerin Frau Morau-Olden herangebildet hat. Mögen sie die empfangene wahre reine Lehre in alle Welt verbreiten und damit der Klage über den Verfall der Gesangslehre in Deutschlands abhelfen, die von Denen erhoben wird, welche das ernste geräuschlose Wirken Götze’s, dem freilich nichts mehr als die Reclame verhaßt ist, nicht kennen.

Zum Schlusse sei es mir noch gestattet, einige Worte über die Kunst des Gesanges, wie sie von Götze verstanden wird und von der ganzen Welt verstanden werden sollte, hinzuzufügen.

Die menschliche Stimme ist das vollkommenste aller Instrumente, weil sie, aus der schöpferischen Hand der Natur hervorgegangen, allein die Fähigkeit in sich trägt, die leisesten Regungen der Seele zum Ausdruck zu bringen; daß dieser Ausdruck aber wahrhaft künstlerisch, das heißt allezeit wahr und schön sei, dazu muß der Sänger das vorzutragende Musikstück, nachdem er es seinem Musikalischen und geistigen Inhalte nach völlig in sich aufgenommen hat, vor seiner Seele in höchster Tonschönheit hervorzurufen verstehen und seine Stimme so durchaus beherrschen, daß sie, mühelos seinem Willen gehorchend, das Empfundene ungetrübt zur Erscheinung bringt.

Diese wenigen Worte enthalten das Wesentliche aller Gesangskunst und können dem Laien wohl kaum einen Begriff von dem jahrelangen Mühen und Ringen geben, dem selbst ausgesprochene Talente sich unterziehen müssen, wofern sie über die Mittelmäßigkeit sich erheben wollen. Es gilt eben, in der Seele des Sängers ein Ideal heranzubilden, welches sein Denken und Empfinden so völlig beherrscht, daß ihm jede Unschönheit als Verneinung der Kunst widerwärtig, ja als Unmöglichkeit erscheint,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_326.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)