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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Indem mir diese Gesichtspunkte klar vor Augen standen, hielt ich es für gerathen, von dem Ideal einer deutschen Rechtschreibung völlig abzusehen und nur die Aufgabe in’s Auge zu fassen, die mir zunächst gestellt war, Vorschläge zu machen, die geeignet wären, Ordnung und Einklang in die Schreibung zu bringen, welche an den Schulen gelehrt wird.

Es wurde von mir der Grundsatz an die Spitze gestellt: von der Schule vor allen Dingen Alles fernzuhalten, was problematisch ist, also auch die Schreibung der Zukunft. Die Schüler dürfen nicht mit in den Streit, der unter den Gelehrten ausgebrochen ist, hinein gezogen werden. Die Läuterung der Schreibung wird sich nach und nach vollziehen, dann wird die Schule, die anzuleiten ist, darauf zu achten, wie man schreibt, nachfolgen; sie kann nicht vorausgehen. Der Schüler kann Reformvorschläge nicht vertreten und sie dem herrschenden Gebrauch gegenüber nicht behaupten. Auch der Volksschullehrer nicht.

Ich führte aus, daß die allgemeine Uebereinstimmung der üblichen Schreibung in den Hauptsachen hoch zu halten ist und nicht durch Theorien gestört werden sollte. Die Theoretiker haben mit ihren Vorschlägen für die Schule bisher die Uebereinstimmung nicht gefördert, sondern nur gestört.

„Wer ist wohl zweifelhaft, wie er die Wörter: Haß, haßt, gewiß, Riß, Roß, Schloß zu schreiben hat? Die Zeitschriften, die Schriftsteller werden alle übereinstimmend so schreiben, wie ich hier geschrieben habe, unter den Lehrern wird aber der Eine, Heyse’s Regel folgend, schreiben: Haſs, haſst, haſſen, gewiſs, Riſs, Roſs, Schloſs, der Zweite ‚aus historischen Gründen‘: Haß, haßt, haßen, gewis oder gewiſs, jedoch Riß mit ß, aber Ros oder Roſs mit s oder ss, und wieder Schloß mit ß. Schreibt nun ein Dritter noch in herkömmlicher Weise und geschieht das, wie es wohl vorkommt, in einer Anstalt nebeneinander, so kann die Verwirrung wohl nicht größer sein, aber, wohlgemerkt! nicht in der Literatur, nur in der Schule. Wenn die verwirrten Schüler in’s Leben treten, so lernen sie dann wohl noch zuweilen ganz ordentlich schreiben.“[1]

Ich beschränkte mich in meinem Vorschlage daher darauf, die allgemein herrschende Schreibung zu erörtern und zu empfehlen und in einem Wörterverzeichnisse diejenigen Wörter besonders zu besprechen, in denen auch bei unbefangenen Schriftstellern die Schreibung schwankt, wie Brot oder Brod, Dienstag oder Dienſtag, echt oder ächt, gescheit oder gescheut, gibt oder giebt, gültig oder giltig, Hilfe oder Hülfe etc. Die Besprechung sollte nur dazu dienen, daß der Lehrer sich selbst ein Urtheil bilde.

Bei den Berathungen, die über meine Vorschläge gepflogen wurden, ging es dann aber freilich wieder, wie bei allen solchen Berathungen, aus Gründen, die ich schon angedeutet: man wollte nicht, daß die Schulen einfach die herrschende Schreibung lehren, sondern man wollte erst „sich einigen“, daß heißt: eine neue Schreibung schaffen und diese dann anbefehlen.

Unter solchen Umständen zog ich meinen Vorschlag zurück und gab ihn in den Buchhandel (vgl. unten: Anmerkung), und die Schulen lehren in Oesterreich munter ihre neuen Orthographien noch immer fort.

In Berlin faßte man die Sache groß an. Rudolf von Raumer wurde beauftragt, einen Entwurf auszuarbeiten, welcher der Berathung zur Einigung in der Rechtschreibung als Grundlage dienen sollte. Zur Berathung dieses Entwurfes wurden Delegirte der deutschen Bundesregierungen, ein Delegirter des deutschen Buchdruckervereins und einer des deutschen Buchhändlerverbandes einberufen. Ihre Verhandlungen, die 1876 erschienen, sind bekannt. Sie fanden keinen Beifall und sind Theorien geblieben.

Es scheint natürlich, daß man, um sich in einem solchen Falle zu einigen, vom Wirklichen ausgeht, das heißt, die Punkte, in denen die Welt schon einig ist, vorerst unberührt läßt und nur über die noch nicht geklärten sich zu verständigen versucht. Statt dessen stürzte sich die Conferenz auf die schiefe Ebene der Reform des Bestehenden, die allerdings schon Rudolf von Raumer’s Vorlage betreten hatte, und wenn man sich erst auf diesen Boden begiebt, dann ist freilich kein Halt mehr. Das Publicum erschrak über die Ergebnisse der Conferenz; die Schule hatte keinen Nutzen davon.

Ich verkenne nun keineswegs, daß in den Reformvorschlägen der Berliner Conferenz mit Vorsicht und Sachverständniß der Weg zu einer idealen Schreibung angedeutet worden ist. Wer durch Jahre und Jahrzehnte mit der deutschen Sprache in ihren verschiedenen Entwickelungsstufen und Mundarten zu thun hat, dem erscheint das jetzige Deutsch in anderem Lichte, als dem Laien, und die Schreibung dieses Deutsch, wie sie üblich ist, kann ihn allerdings wenig befriedigen. Ich selbst bekenne, daß ich nicht frei von der Neigung bin, Manches anders zu schreiben, als es üblich ist. Ich denke, das muß jedem Schriftsteller frei stehen. – Wenn ich aber Kinder im Schreiben unterrichten sollte, da wollte ich mich doch dreimal bedenken, bevor ich es wagte, sie eine neue Schreibung zu lehren.

Da sind nun jüngst wieder von Seiten der Behörden neue „Regeln und Wörterverzeichnisse für die deutsche Rechtschreibung“ erschienen, sowohl 1879 in Wien, wie auch 1880 in Berlin.

Die in diesen Publicationen enthaltenen Regeln weichen wieder von einander ab. Die Wiener stimmen nicht mit den Berlinern und beide nicht mit dem üblichen Schreibgebrauch überein. Die Wiener sind nicht bindend für die Schulen, die Berliner aber werden denselben strengstens zur Darnachachtung anbefohlen. Diese verdienen daher besondere Aufmerksamkeit.

Sie sind in der That so eigenthümlich, daß man die Aufregung, die sie hervorgerufen, begreiflich finden muß. Man traut seinen Augen nicht.

Das Kind soll nun schreiben: der Tau, der Teil, teuer, das Tier; daneben aber doch mit th: das Thal, die That, der Thon, das Thor, der Thor, die Thräne, thun, Thür! Wo die Dehnung des Vokals sonst nicht angedeutet wäre, soll nämlich th stehen bleiben. Nun ist aber doch auch Muth ohne h empfohlen. Wie ist denn da die Dehnung des Vocals angedeutet?! Auch Fremdwörter und Wörter aus älteren germanischen Sprachen sollen mit h geschrieben werden, z.B. Günther, Mathilde, Bertha. Nun sind das keineswegs Namensformen aus älteren germanischen Sprachen; die althochdeutschen Formen wären ja: Gundahari, Mahthilda, Perahta! In Günther, Mathilde erklärt sich das h aus der Zusammensetzung mit -her (wie auch in Walt-her) und -hilde; hingegen Bertha ist gar nichts als neuhochdeutscher Schreibmißbrauch. Daß mit dem h das althochdeutsche h in Perahta angedeutet werden soll, welches nicht gehört und nicht gesprochen wird, auch in Albert, Hubert längst schon abgefallen ist, das soll wohl damit gesagt sein, allein ist das richtig motivirt, indem Bertha unter die Fremdwörter aus älteren germanischen Sprachen gestellt wird?! – Welche Schwierigkeiten erwachsen aber nun daraus, wenn die Schule nicht dort th schreiben soll, wo man überall th schreibt, sondern nur in den Fällen, die hier angegeben sind! Wird damit größere Einheit erzielt oder größere Verwirrung? Mir scheint entschieden Letzteres.

Ein merkwürdiges Beispiel von den üblen Folgen aller Willkür in Dingen, über welche die Gelehrten noch nicht einig sind, ist aber die Vorschrift, die hier § 17 gegeben ist, alle Verba auf iren mit e zu schreiben.

Die Germanisten haben nach Jac. Grimm’s Vorgang die Schreibung -ieren in allen Zeitwörtern solcher Endung in mittelhochdeutscher Weise zu schreiben angefangen. Bis dahin war die Regel bekanntlich die, daß man, mit Ausnahme von regieren, spazieren und den von einem Substantiv auf -ier abgeleiteten Zeitwörtern (wie barbieren, quartieren) -iren schreibe. Phonetisch genügt -iren vollkommen, und es sieht befremdlich aus, wenn geschrieben wird: manieriert, studieren etc.

Das Berliner Büchlein befiehlt die Durchführung des -ieren in allen diesen Verben, obwohl es phonetisch nicht zu rechtfertigen ist. Warum? Wohl im Hinblick auf den Vorgang der Germanisten. Nun haben es die Germanisten aber in neuerer Zeit mit guten Gründen wieder aufgegeben und kehrten zum üblichen Schreibgebrauch zurück. In Wilmann’s Grammatik lesen wir S. 213: „die Verbalendung -iren wird mit e geschrieben in regieren, spazieren – sonst werden die Verba auf -iren ohne e geschrieben, z. B. probiren, hantiren, negiren etc.“ Auch W. Scherer schreibt -iren.

Die Anschauungen, auch der Gelehrten, sind eben Wandlungen unterworfen. Die älteren Germanisten aus der Schule J. Grimm’s und Lachmann’s schrieben so übereinstimmend -ieren (mit e), daß man noch vor zehn Jahren annehmen konnte, diese Schreibung werde durchdringen. Ich selbst empfahl noch vor

  1. Aus meiner Schrift: Die deutsche Rechtschreibung in der Schule. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1870. Seite 13.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_307.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)