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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Thier-Charaktere.
Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.
Der Maulwurf.

Welchen Titel soll ich dem vielfach Verkannten geben, um ihm den gebührenden Platz anzuweisen in der Reihe der Insectenfresser, denen als auserlesene Waffenrüstung ein Gebiß verliehen ist, welches ich gelegentlich der Schilderung des Igels (vergl. 1878, Nr. 2) bereits zur Genüge gewürdigt habe? Der Maulwurf (Mull-, d. h. Erdaufwerfer) ist ein Riese an Kraft und Muth in Zwerggestalt, ein Hercules der Arbeit in niederster Erscheinung, ein Nimmersatt in der Begierde der Selbstbefriedigung durch Raub, Mord und Gefräßigkeit, eine lebendige Wühllocomotive, die sich nach allen Richtungen hin unter der Erde den Weg bahnt und die täglichen Züge ordnungsmäßig innehält, Morgens, Nachmittags und Abends, abgerechnet die Extrazüge, welche je nach Umständen und Bedürfniß abgehen und die zahlreichen Nachtzüge. Die Hauptanhaltestellen sind da, wo das kriechende Vegetariergeschlecht unterirdischen Gewürms sich um Wurzeln sammelt, und die Orte, wo Wasser eingenommen wird, selbstgefertigte Erdtrichter, in denen sich das unentbehrliche Naß durch Zufluß ansammelt.

Den Ein- und Ausgangspunkt der vielfach verzweigten Erdfahrten bildet der Kessel, in welchem der Raubritter zu bestimmten Tageszeiten der Ruhe pflegt. In Rainen unter Mauern oder in sonstigen trockenen höheren Lagen errichtet, hat diese unterirdische Burg als Mittelpunkt eine kegelförmige, acht bis zehn Centimeter weite Kammer, die Stätte des aus Moos oder sonstigen Pflanzenstoffen bereiteten Lagers. Rund um den Kessel führt erstens in gleich hoher Lage ein Gang in einem Umkreise von zwanzig bis fünfundzwanzig Centimeter, und über diesem wieder ein kleinerer Gang. Der Bewohner kann vom Kessel aus durch drei verschiedene Röhren in den oberen Kreisgang, von da aus durch fünf bis sieben Röhren in den unteren Kreisgang, von diesem aus endlich durch acht bis zehn strahlenförmig in wagerechter Richtung ausgehende Röhren in den eigentlichen Laufgraben von acht Centimeter weitesten Durchmessers gelangen, in welchen die zuletzt genannten Röhren einbiegen und welcher sich dann eine geraume Strecke von der Burg in die flacheren Gänge des Jagdgebietes verzweigt. Der Kessel hat aber auch noch einen Hülfsausgang nach unten: eine besondere, auf dem Boden der Kammer angebrachte Oeffnung fördert den schwarzen Kumpan bei Gefahr rasch in eine in die Tiefe gehende Röhre, welche allmählich bogenförmig wieder nach oben und schließlich ebenfalls in den breiten Laufgraben einlenkt.

Ein solcher Minirer und Wühler muß ungewöhnliche Grabwerkzeuge und zweckentsprechende Körperbildung haben. Der plattkegelförmige Gesammtgestalt schließt sich insbesondere der zur Rüsselschnauze verlängerte gespitzte Kopf an. Unterstützt durch ein sogenanntes Vornasenbein, eine Knochenverlängerung des Nasenbeins, wird sie zum festen, kraftvollen Bohrer. Breit und stark ausgebildet erscheint das Schlüsselbein. Das derb angelegte Brustbein zeigt den sogenannten Kamm, den merkwürdigen kantigen Ansatz, an dessen Seitenflächen sich die stark entwickelten Muskeln des mächtig aufgebauten Vordertheils anschließen. Von besonderer Kraft und Ausbildung sind die Schulterblätter, dabei von unverhältnißmäßiger Länge im Vergleich zu den kurzen Obergliedern der im Leibe versteckte Beine, deren schaufelförmige Riesenpfoten, mit den nach außen gerichteten Innenflächen, seitwärts vom Leibe abstehen.

Das Hintertheil des Thieres kann im Verhältniß zum Vorderteil fast verkümmert genannt werden und läßt in Ansehung seiner Schmächtigkeit eine Erinnerung an die Körperbildung des Löwe zu. Unter den fünf nagelbewehrten Zehen der handähnlichen Pfoten steht nur die mittlere, längste frei, während das rechte wie das linke Paar durch Spannhaut mit einander verbunden ist. Die wie winzige Perlen erscheinenden Augen stecken tief im Pelze, können jedoch vermöge eines Muskels hervorgeschoben werden. Ebenfalls im Pelze verborgene Ohrenränder ersetzen die fehlenden Ohrmuscheln und können den Gehörgang verschließen. Auge wie Ohr ist somit vor dem Einbringen des Staubes und Sandes geschützt. Unter dem Mikroskop wird uns die Bildung des einzelnen Haares klar. Der untere Theil, von der Wurzel an, ist dünn, der mittlere dicker, der obere bis zur Spitze verjüngt sich wieder. Dadurch giebt das Haar jedem Drucke nach, legt sich nach allen Richtungen hin geschmeidig und ermangelt eines eigentlichen Strichs, durch welchen Umstand das Festsetzen der Erde im Pelze und auf der Haut verhütet wird.

Der Maulwurf stemmt sich beim Wühlen mit den Händen gegen die Erdwände seines Ganges, bohrt vor sich den Rüssel in die Erde und schaufelt nun mit den Grabwerkzeugen die Erde nach hinten, den Hinterleib nachschiebend. Beim Entfernen der Erde aus den Gängen leisten der Rüssel sowohl wie die Schulter treffliche Dienste, und die aufgeworfenen Haufen bezeichnen die mannigfaltigen Richtungen und Verzweigungen der Röhren. In leichtem Boden fördert natürlich die Wühlarbeit weit mehr, als in schwerem, gleichwohl ist ihr rascher Fortgang auch in letzterem staunenswerth. Die Bildung der Füße läßt auf den ersten Blick schon vermuthen, daß die Fortbewegung des Maulwurfs über der Erde eine schwerfälligere sein müsse, und so ist es in der That, wenngleich dieselbe immer noch eine ganz erheblich schnelle genannt werden muß. In den Gängen aber ist nach Lecourt sein Lauf ein fabelhaft rascher. Strohhalme mit Papierfähnchen an der Spitze, welche in mäßigen Abständen von einander in die Gänge gesteckt und von dem zur Flucht getriebenen Maulwurf durch Berührung erschüttert wurden, gaben die Maßstäbe für die Berechnung der Geschwindigkeit des unsichtbaren Schnellläufers.

Auf seinen Unternehmungszügen im Erdinnern und auf der Erde bietet der unbedeutende Gesichtssinn dem Maulwurf gewiß nur äußerst geringe Unterstützung, sobald aber das Thier Flüsse, Teiche, Seen, ja selbst, wie beobachtet worden, Meeresarme durchschwimmt, tritt dieser Sinn zur Mithülfe der Orientirung auf. Das Gehör scheint über der Erde bei Weitem nicht so scharf und fein zu sein, wie unter der Erde, denn ich habe mich in vielen Fällen davon überzeugt, daß im Juli und August der Maulwurf im Freien meinen Tritt erst in unmittelbarer Nähe vernahm. Im Erdinnern werden durch entstehendes Geräusch die Gehörnerven des Thieres durch Erschütterung jedenfalls stärker berührt, und Wahrnehmung und Unterscheidung sind da viel feiner. Unstreitig ist der in bewunderungswürdigem Grade ausgebildete Geruch- und Tastsinn des Maulwurfs der vornehmste Führer und Lenker desselben.

Sehr wenig Erfreuliches ist von den inneren Eigenschaften des Maulwurfs zu berichten.

Es treten in den Charakterzügen desselben hauptsächlich zwei Hauptkennzeichen auf, einmal die mit der Raubsucht und außerordentlichen Nahrungsbedürftigkeit verbundene Neid- und Bosheitswuth gegen Alles, was ihm das Jagdgebiet zu beeinträchtigen versucht, und dann die Eifersucht bei Liebeshändeln, die in dem kurzen Zeitabschnitt des Minnerausches zu blutigen Raufereien mit Nebenbuhlern führt. Kein Auge hat zwar bis jetzt die auf Leben und Tod unternommenen Zweikämpfe wuthentbrannter Maulwurfsmännchen in den unterirdischen Gängen beobachten können, wohl aber konnte das Ohr des Horchers das Gepolter und das quiekende Klagen der Verwundeten vernehmen, und die Schippe oder Hacke legte den erweiterten und verstampften inneren Kampfplatz frei und verhalf zu der Wahrnehmung, daß eine förmliche Abschließung oder Einsperrung des Weibchens durch Verrammelung mit Erde stattgefunden hatte. Schade, daß sich nicht hier oben wiederspiegeln läßt, was da drunten Kabale und Liebe unter den Maulwürfen anstiftet! Denn daß die Minnezeit reich ist an unsichtbaren dramatische Scenen, dafür bürgt die Ueberzahl der Männchen im Verhältniß zu den Weibchen sowohl, wie auch der allzeit bereite Hang zur Gewaltthätigkeit auf Seiten der selbstsüchtigen Erdgnome. Einen Zweikampf über der Erde vermag ich übrigens aus eigener Anschauung zu schildern, zu welchem freilich nicht Eifersucht, sondern Neid aus Raub- und Mordgier Veranlassung war (vergl. die Illustration).

Es mochte um den 18. oder 20. Juli des Jahres 1865 sein, als ich mich dem Neste eines Fitispaares (großer Weidenlaubsänger) näherte, in welchem ich Tags zuvor vier nackte Junge als das Ergebniß einer unternommenen zweiten Brut entdeckt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_232.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)