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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Richard entwickelt eine eigene Grausamkeit gegen Thiere,“ sagte sie zu Steinweg, der ihr stumm gegenübersaß und dessen fest auf sie gerichteter Blick beunruhigend wirkte. „Deshalb muß er auch so häufig mit seinem Stalle wechseln. Er überanstrengt seine Pferde. Haben Sie noch den scheuen Schimmel?“

„Nun, das scheint denn doch über den Spaß zu gehen!“ fiel hier Richard ein, der, nur mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, eine Weile an seinem kleinen braunen Schnurrbart gedreht hatte. „Und Witold ist also wirklich abgereist? Ja, was sagt denn er dazu?“

„Ich meine, wir können das später noch besprechen.“

Der junge Officier war jedoch zu sehr aufgeregt, um auf dies Ausweichen einzugehen.

„So ist es also thatsächlich etwas Bedrohliches?“ sagte er. „Es hat mich gleich so eigenthümlich gefaßt. Ei was! Steinweg ist ja mit unseren Verhältnissen genugsam bekannt; vor ihm habe ich keine Geheimnisse. Er wird auch nicht sofort an die Börse laufen und aus der Neuigkeit Capital schlagen. Wir sind keine Jobber und speculiren nicht. Man kann aber auch nicht fordern, daß ich mir mit einer solchen Nachricht in der Tasche ruhig die Zähne stochere. Das sieht ja wie eine partielle Explosion aus. Was sagt Dein Mann?“

„Fatalitäten könne es wohl geben,“ gestand sie mit dem Ausdrucke des Widerwillens.

„Fatalitäten, ja, das glaube ich!“ rief Richard ungestüm aufspringend aus. „Aber ich will nicht darunter leiden, ich wahrlich nicht, alle Teufel! Sagte ich's nicht schon Papa immer, er solle mich unabhängig stellen? Aber da hieß es: Richard ist leichtsinnig, Richard versteht nichts vom Gelde, Richard ließe sich in einem halben Jahre ausplündern und fiele dann nur der Familie zur Last. Mit einem Wort, Richard war ein Windelkind. Mich bis zur Volljährigkeit unter die Vormundschaft Heinrich's stellen – Heinrich's, der selber eines Vormunds bedürfte; mich mit halbjährigen Interessen an die Masse verweisen; mich damit zu allerlei Kunststücken zwingen, die mich über Wasser erhalten müssen, bis ich endlich in Besitz meines Vermögens gelange – das scheint allerdings eine meisterhafte Einrichtung gewesen zu sein. Nun kann ich zusehen, wie ich zu meinem Rechte komme.“

„Es wird ja nicht so schlimm sein, Freund,“ suchte Steinweg beruhigend einzuwerfen. „Ein Haus Mildner!“

„Es sind noch ganz andere in die Brüche gegangen. Du kannst freilich die Dinge leicht nehmen, hast eben eine hübsche Erbschaft eingesackt; aber mir lebt kein so liebenswürdiger Onkel, dessen Tod mir den Verlust ersetzen würde. Ich kann keinen Heller verschmerzen von dem, was mir rechtmäßig zugefallen.“

„Ich begreife Dich nicht, Richard,“ ließ sich seine Schwester mit ernstem Tadel vernehmen. „Zu solchem Lärm ist ja die Sache doch nicht angethan. Du bist jedenfalls sichergestellt.“

„Nach Frauenansicht,“ fiel er heftig ein. „Ist es nicht schon merkwürdig, daß Witold herbeigerufen wird? Was kann Alles ohne mein Beisein abgemacht werden!“

Die Brauen der jungen Frau zogen sich etwas zusammen, und mit zurückweisender Hoheit entgegnete sie nachdrucksvoll:

„Zu Deinem Nachtheil sicherlich nichts, wo er mitspricht.“

Die knappe, doch von der Ueberzeugung geführte Vertheidigung, zu der das Rechtsgefühl sie unwillkürlich gedrängt, blieb nicht ohne Eindruck auf den Erregten; dennoch vermochte sie ihn nicht ganz zu beschwichtigen.

„Immerhin ist es sonderbar, daß ich keiner Mittheilung gewürdigt wurde,“ sagte er. „Ich sollte doch meinen, mich gingen die Dinge draußen in Selikau und Sternberg ebenfalls an. Es mag Heinrich passen, mich in Ungewißheit zu erhalten, nicht so aber mir. Ich werde sofort Urlaub verlangen und mir erlauben, meine eigene Nase hineinzustecken. Ich habe keine Minute zu verlieren – –

Nachdem er spornstreichs davongestürmt, trat eine unangenehme Pause zwischen den Zurückgebliebenen ein. Die von Steinweg zustimmend aufgenommene Bemerkung, daß sich solch ein sanguinisches Temperament leicht übertriebenen Befürchtungen hingebe, war nicht der Ausdruck von Lisa's eigenthümlicher Empfindung; dieselbe verriet sich deutlicher in dem fast verächtlichen Ausdruck um den Mund, welcher bezeugte, daß sie des Gefühls, welches die haltungslose, egoistische Art ihres Bruders hinterlassen, nicht so unmittelbar Herr zu werden vermochte. Dann aber kam ihr das peinigende Bewußtsein ihrer Lage; dieses unvorbereitete Alleinsein mit dem Manne, der ihre Phantasie seit Stunden beschäftigte, verursachte ihr Unbehagen. Sie war noch nicht einmal angekleidet, ihr Haar noch ungeordnet; vielleicht sah man noch die Spuren der durchwachten Nacht an ihren Lidern, und sie hatte sich doch so schön wie möglich machen wollen, um ihn bei sich zu empfangen; nun war das Alles anders – ganz anders gekommen. Welchen Eindruck mußte sie auf ihn machen?

Für die Rathlosigkeit des Moments mußte Frip den Ableiter bieten. Im wurden Liebkosungen zu Theil, die ihn für alle erlittenen Torturen reichlich und auf ein ganzes Lebensalter hinaus entschädigen mußten. So, den Kopf über ihn geneigt, die zarten, weißen, halb von Spitzen verhüllten Finger tief in dem braunen Fell des Lieblings vergraben, fing sie nur ein einziges Mal flüchtig einen Blick aus Steinweg's Augen auf, und dieser Blick bewirkte, daß sie den Kopf noch tiefer senkte.

Eine Weile sah der Officier dem Spiele dieser schönen kleinen Hände zu, deren Kunstfertigkeit dort die angefangene Aquarellskizze auf der kleinen Ebenholzstaffelei am Fenster, hier gegen die Ecke das Pianino verrieth; dann sagte er lächelnd, jedoch mit gespanntem Blicke:

„Sie haben mich zuvor um meinen Kiaffar gefragt, so erinnern Sie sich doch noch dessen?“

Rasch, wie wenn es ihr darum zu thun wäre, sich von einer Anschuldigung frei zu reden, fiel sie ein:

„Ich habe mich immer für schöne Pferde interessirt, und hätte ihn gar zu gerne selbst geritten, statt des geduldigen Ponys, den mir Papa damals hielt.“

Warum lenkte sie so ängstlich auf Kiaffar ein? Fürchtete sie den Antheil zu verrathen, den ihr der Reiter eingeflößt? Aber der war ihm ja damals nicht verborgen geblieben.

Sie folgte der seltsamen Bangigkeit, die sie befallen, weiter und spielte das Gespräch mit fast nervösem Eifer auf ein allgemeines neutrales Gebiet hinüber. Jedes Wort sorglich vermeidend, das auf die Ursache ihrer damaligen gezwungenen Entfernung aus dem Stationsorte des abgewiesenen Bewerbers Beziehung hatte, fragte sie ihn um sein Verweilen während der letzten Jahre, seinen Aufenthalt in Galizien, sein Avancement, die von Richard erwähnte Erbschaft, über alles, was sich daran knüpfen ließ und ihr in den Sinn kam, und in heiterem Tone und scheinbar leichtherziger Freimüthigkeit ging er auf Alles ein. Mit Laune schilderte er seine Stationen und manches Erlebniß, das vielleicht kaum der Erwähnung werth sein mochte, ihm aber sichtlich den Eindruck der Wichtigkeit gemacht hatte – kleine Ereignisse aus engem Kreise, hauptsächlich aus seiner militärischen Welt, kunterbunt genug zusammengemengt, aber genügend, um ein halbes Stündchen angenehm mit dem Beschauen dieser Genrebildchen zu verbringen.

Er hatte eine so fröhliche Art, über dies oder jenes zu lachen, während er, behaglich in den Fauteuil zurückgelehnt, den Schnurrbart zwischen den wohlgepflegten Fingern ausstrich, daß man dem Reiz, mit einzustimmen, nicht zu widerstehen vermochte, wenn es auch ein Nichts war, über das man lachte. Ueber Pferde wußte er mit Sachkenntniß zu sprechen, Jagden, Wettrennen, Distanceritte, Schlittenpartien mit farbenreicher Anschaulichkeit zu schildern. Im Ganzen mußte es ihm die Jahre her nicht schlimm ergangen sein, wenn er sich auch bemühte, durchschimmern zu lassen wie er bei all diesem unausstehlichen Leben und Treiben doch eigentlich ein tiefes unstillbares Weh mit sich umhergetragen. Im Grunde sei er mit seinem Schicksale zerfallen gewesen; erst die letzte Zeit habe mit einem Male des Glückes Füllhorn über ihn geleert, aber – zu spät!

Er, der Unbemittelte, sei nun wohlhabend geworden. Das Avancement habe ihm zugleich die Versetzung zu einem andern Regiment gebracht, das seine Cantonnements nahe bei Sternberg und Riefling habe, aber – aber es war doch nicht Alles, wie es sein sollte.

„Und so sind Sie denn zu dem Entschlusse gekommen, sich Urlaub zu nehmen und den Carneval hier zu verbringen?“

„Was soll man machen! – Das heißt,“ verbesserte er sich schnell, „ich war in den letzten Jahren angenehmen gesellschaftlichen Umganges so sehr entwöhnt, daß ich eine Art Heißhunger verspürte, mich wieder unter großstädtischen Menschen zu bewegen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_139.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)