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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Zum Register der aussterbenden Volksgebräuche. Bei dem Durchlesen eines früheren Jahrgangs der „Gartenlaube“ treffe ich auf die Veröffentlichung eines altdeutschen Liederbruchstückes, welches mit den Worten „Hermen slag lermen“ beginnt. Dieses Lied erinnert mich an etwas Aehnliches aus unserer Gegend.

Als ich zu den Kindern meines Heimathsdorfes Langsdorf in der Wetterau zählte, da war es noch – es ist kaum ein Jahrzehnt her – an der Tagesordnung, daß alljährlich vierzehn Tage vor und vierzehn Tage nach Ostern die gesammte Kinderschaar des Dorfes sich auf einer nahe beim Orte belegenen Wiese, die „Au“ genannt, versammelte, um unter Aufführung eines eigenthümlichen Reigens ein seltsames Lied anzustimmen. Schon die ältesten Leute hatten es so gesungen in ihrer Jugend und so den Reigen getanzt wie wir. Das Lied heißt:



So einfach, wie die Melodie, ist auch der nach derselben aufgeführte Tanz. Bei den letzten Worten läßt der Tänzer die Tänzerin stehen und engagirt eine andere.

Der Text des Liedes ist ein völlig räthselhafter.

Sollte in den zum Theil unverständlichen Worten nicht ein tieferer Sinn liegen? Sollte es nicht etwa ein spärlicher Rest uralt-germanischer Poesie sein? fragen wir billig, die wir wissen, daß die „Au“, auf der, so weit die Ueberlieferung zurück reicht, die Tänze alljährlich zu Ostern aufgeführt wurden, früher mit vielen Hünengräbern oder „Ringköppeln“, wie's im Volksmunde heißt, bedeckt war, welche Herr Pfarrvicar Emil Ohly in früheren Jahren (um 1847) mit Erfolg öffnen ließ, und daß man ferner den gegenüberliegenden Hügel noch heutzutage das „Hainholz“ nennt. Und wäre dem so (was außer allem Zweifel steht! D. Red.), sollte sich dann nicht unter Deutschlands Sprachforschern einer finden, der das Lied zu deuten vermöchte?

Unterdessen möge die „Gartenlaube“ das Archiv sein, wo es dem deutschen Volke erhalten bleibt, denn jetzt ist das Lied verklungen. Die Prosa des neunzehnten Jahrhunderts griff auch hier mit rauher Hand ein: nachdem der Tanzplatz im Jahre 1869 von der Verwaltung der Oberhessischen Bahnen angekauft worden, ging allmählich im Laufe des letzten Jahrzehnts auch der Tanz ein, und das Lied verfiel der Vergessenheit. Es daraus zu retten, das war neben dem Wunsche, den wahren Sinn zu erfahren, der Zweck dieser Zeilen.

     Langsdorf in der Wetterau.

Phil. Koehler-Lugge.




Die Genossenschaften im oberschlesischen Nothstand. In den Berichten der Presse über die Unterstützungsspenden für Oberschlesien ist auffälliger Weise bis jetzt die Thätigkeit eines weitverzweigten Instituts nicht hervorgehoben worden, dem als einem frei in unserer Mitte erwachsenem Product zeitgemäßer Volksbestrebungen stets eine aufmerksame Beachtung gewidmet werden sollte. Schon bei dem großen ostpreußischen Nothstande im Jahre 1876 hatten die deutschen Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften den Beweis geliefert, daß sie sich als eine vaterländische Vereinigung fühlen. Mit ihrem Hauptzwecke, der Selbsthülfe ihrer Mitglieder, haben sie damals die weitere Aufgabe zu verbinden gewußt, in Fällen großer Landescalamitäten Erhebliches auch zur Bekämpfung einer Armuth beizutragen, die sich selber nicht mehr zu helfen vermag. Als nun im Herbst vorigen Jahres wieder einmal aus verschiedenen Gegenden Deutschlands die Kunde von bereits ausgebrochenen oder herannahenden Nothständen ertönte, sind die deutschen Genossenschaften von dem ehrwürdigen Schulze-Delitzsch, ihrem Gründer und Führer, sofort an ihre bereits früher geübte patriotische Pflicht erinnert und mit Nachdruck zu thatkräftiger Theilnahme und angemessenen Beiträgen aus ihren Reserven aufgefordert worden. Sein warmer Aufruf erschien in den „Deutschen Genossenschaftsblättern“ am 14. November, also zu einer Zeit, wo noch von keiner andern Seite her diesem Elende und seiner Gefährlichkeit gegenüber ein öffentlicher Schritt geschehen war.

Durch Veranlassung Schulze's ist hierauf alsbald ein aus angesehenen Männern bestehendes Central-Comité und fast gleichzeitig ein speciell für Oberschlesien wirkendes genossenschaftliches „Provinzial-Hülfs-Comité“ in Breslau gebildet worden. Auf Grund der in aller Stille eingezogenen zuverlässigen Ermittelungen erließ dasselbe sodann am 1. December einen Aufruf, dessen Wirkung als eine verhältnißmäßig sehr günstige bezeichnet werden muß. Denn schon zum Schluss des Jahres, also in einer Zeit von kaum vier Wochen, waren bei dem Breslauer Comité aus den Kreisen der Genossenschaften nicht weniger als 18,691 Mark und außerdem zahlreiche Bekleidungsgegenstände und Lebensmittel eingelaufen. Von dieser Summe sind im Laufe des December 16,500 Mark zur Vertheilung gelangt, und zwar theils durch die Vermittelung localer Vorschuß- und Sparvereine selber, wie solche in den Nothstandsdistricten bestehen, theils durch die Landrathsämter und andere behördliche Organe. Bedacht wurden dabei übrigens auch die armen Weberdistricte der Grafschaft Glatz, deren Nothstand hinter dem oberschlesischen kaum zurück bleibt. Die dem Comité am Jahresschlusse zur Verfügung gebliebene Summe von 2191 Mark ist durch inzwischen neu eingegangene Beiträge wiederum auf 5000 Mark gestiegen, sodaß bald eine zweite Vertheilung wird stattfinden können.

Alle diese Gaben sind ja an sich nicht bedeutend, aber sie erhalten einen besonderen Werth und geben ein schönes Zeugniß, wenn man an ihren Ursprung denkt. Kommen sie doch aus allen Theilen des deutschen Vaterlandes und aus den Cassen der genossenschaftlichen Vereine oder von einzelnen Mitgliedern derselben, das heißt aus jenem mittleren und kleineren Gewerbestande, der seit Jahren selber schwer unter dem Druck der Zeitverhältnisse zu leiden hat. Andererseits aber wird hier auch eine große Sicherheit wirksamer Verwendung durch den Umstand gewährleistet, daß sich das Comité der musterhaften genossenschaftlichen Organisation und ihrer an verschiedensten Orten bestehenden genossenschaftlichen Vereine bedienen kann. Es wird also, wenn einmal gewissenhaft über das gesammte Unterstützungswerk Rechnung zu legen ist, auch das humanitäre Verdienst und die eingreifende Opferwilligkeit dieses großen volksthümlichen Verbandes um so mehr die gebührende Würdigung finden müssen, als das Comité keine Sonderbestrebung verfolgt, sondern nur in pflichtmäßigem Einverständniß mit den Behörden und der Gesammtleitung des Unterstützungswesens für Oberschlesien gehandelt hat.




Kinder genug – aber wo bleiben die Eltern? Wir wollen nicht undankbar sein: ganz wirkungslos ist unsere „Bitte um liebende Eltern für verwaiste Kinder“ nicht gewesen; aber die Zahl der Kinder ist schon in dieser kurzen Zeit viel stärker angewachsen, als die der um sie werbenden Eltern. Wohl wissen wir, daß es unmöglich ist, alle armen Waisen in die Arme sorgender Familien zu führen, schon aus dem einfachen Grunde, weil es viel mehr elternlose Kinder als kinderlose Eheleute giebt, aber wünschen dürfen wir ja, daß es eine Sitte frommen Pflichtgefühls und nationaler Liebe, daß es eine so echte deutsche Sitte, wie die Pflege des Weihnachtsfestes, werden möge, kinderlose Ehen mit einem Waisenkinde zu schmücken. Wie viel wahres Familienglück könnte dann mehr, wie viel Unglück durch verlorene, weil verwahrloste Menschen weniger in Deutschland sein!

Sollte man hinter diesem Wunsche einen Vorwurf gegen die Waisenhäuser und die jetzige Waisenpflege erblicken, so wollen wir sofort bekennen, daß wir die großen Verbesserungen in denselben und die großartigen hier einschlägigen Stiftungen wohl zu schätzen wissen. Sie liegt ja hinter uns, die „gute alte Zeit“, wo man nicht blos Zucht- und Irrenhäuser, sondern nicht selten auch die Armen- und Waisenhäuser dazu unter einem Dache finden konnte. Der Anblick der vom „Waisenvater“ begleiteten langen Züge von Kindern, die in ihrer gleichen knappen Kleidung, mit den bleichen traurigen Gesichtern paarweise dahinschlichen, dieser Anblick ist heute wohl aus den meisten Städten verschwunden. Wir besitzen sogar Musteranstalten, welche den armen Elternlosen auch die Freuden der Kindheit gewähren und sie einer durch Arbeitsfähigkeit möglichst gesicherten Zukunft entgegenzuführen suchen. So dankbar dieses Eine anzuerkennen ist, so fest steht das Andere: das Leben in guter Familie kann dem Kinde kein Waisenhaus ersetzen. Eben darum müssen wir wünschen, daß das Glück, an kinderfreundliche Herzen gezogen zu werden, möglichst vielen Waisen zu Theil werde.

Allerdings ist es kein leichter Entschluß, durch die Annahme eines Kindes auch sein Schicksal mit in die Hand zu nehmen. Ein Kind macht nicht nur Freuden, es macht auch Sorgen und kann trübe Stunden bereiten. Wer solche dunklen Seiten des Familienlebens scheut, wird freilich besser thun, sich jeder derartigen Verantwortlichkeit zu entschlagen. Daß er damit aber auch einen Himmel voll reinster Freuden sich verschließt, das ist eben die Strafe für die ruheliebende Selbstgenügsamkeit. Nur wem das Herz lacht, wenn die leuchtenden Augen und die klatschenden Händchen eines Kindes ihm zeigen, wie schön es sich freuen kann, nur Der fühlt das wahre Glück des Lebens. Und an Solche richtet sich unsere Bitte: Ihr Kinderlosen, gebt Euer Herz einem Kinde und sucht in seinem Glück das Eure!

Schließlich haben wir noch eine Bitte. Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß weit mehr Mädchen als Knaben von den Kinderlosen begehrt werden. Das Zahlenverhältniß ist sogar auffällig. Gewiß schmälert das unsere Dankbarkeit nicht um eine Linie gegen die Adoptiveltern von Waisenmädchen; ist es doch eine hohe Aufgabe, aus einem Mädchen eine Jungfrau zu erziehen, die einst als Frau und Mutter ihre pflichtreiche Stellung im Leben ausfüllen kann. Aber was haben Euch denn unsere armen Jungen getan, daß sie so tief im Preise stehen? Ist es nicht auch eine Ehre, aus einem Waisenknaben dem Vaterlande einen tüchtigen Mann mehr zu erziehen? Die Natur hat es ja so lieb in die Seele der Geschlechter gelegt, daß der Mann sich nach einer Tochter, die Frau sich nach einem Sohne sehnt: so möge diese Doppelsehnsucht auch der Herzensruf der Adoptiveltern werden! Dann sind wir sicher, daß auch unsere Knaben sich nicht mehr so lange mit ihren frischen und doch so traurigen Augen nach liebenden Eltern umsehen werden.

Fr. Hfm.


Kleiner Briefkasten.

A. M. in Z. Die billigste der uns bekannt gewordenen Bezugsquellen für den Samen der Douglas-Fichte ist die Forst- und Landw. Samenhandlung Heinrich Keller Sohn in Darmstadt, welche im vorigen Jahre ihre importirten Vorräthe von Samen der Abies Douglasii mit 26 Mark per Pfund lieferte.

E . . . . . e in F., Ungarn. Nur brieflich können wir Ihnen das Gewünschte mittheilen. Ihre Adresse?



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_120.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)