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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


theils zur Anstellung von Wanderlehrern, theils zur Errichtung besonderer Schulen für den Hausfleiß (Slöjdskolors) angewiesen.

Clauson hat in Kopenhagen eine Bildungsanstalt für Lehrer errichtet, um solche zur zweckmäßigen Ertheilung des praktischen Unterrichts fähig zu machen, und hat sich bereit erklärt, ähnliche Curse auch anderwärts zu halten. In der nächsten Zeit wird ein Cursus in Berlin stattfinden, auch Görlitz hat sich bereits um einen solchen bemüht. In Schweden besteht eine ähnliche Anstalt in dem „Slöjdlehrerseminar“ im Dorfe Nääs, nordöstlich von Gothenburg. Auch giebt es bereits sowohl in Dänemark wie in Schweden eine ziemliche Anzahl von Schulen, in denen neben dem gewöhnlichen Lernunterricht Unterweisung in Hausarbeiten planmäßig ertheilt wird.

Sehen wir uns einmal eine solche „Lern- und Arbeitsschule“ näher an, z. B. die am längsten, schon seit sechs bis sieben Jahren, bestehende, am besten organisirte, zu Landskrona an der Südküste Schwedens! Auch in Schweden ist der gewöhnliche oder Lernunterricht obligatorisch, wennschon nicht ganz in der Ausdehnung wie bei uns, indessen gestattet das Gesetz den einzelnen Schulbehörden in Bezug auf Stundenzahl und Zeiteintheilung eine ziemlich große Freiheit. Demzufolge hat der Schulrath zu Landskrona den Handarbeitsunterricht als obligatorisches Lehrfach für Knaben und Mädchen in der Gemeindeschule eingeführt.

Die Handarbeiten für Knaben begreifen in sich: Tischlerei, Drechslerei, Laubsägen, Bildschnitzerei, Bürstenbinderei. Aus Mangel an Lehrkräften ist dieser Unterricht vor der Hand auf die obersten Classen, Knaben von zehn bis vierzehn Jahren, beschränkt. Die Mädchen, und zwar diese schon vom achten Jahre an, werden im Nähen, Stricken, Spinnen am Spinnrade und Weben des Gesponnenen an kleinen Webstühlen unterrichtet. Der Unterricht der Knaben beginnt mit den einfachsten Manipulationen; dabei werden sie anfänglich in allen oben genannten Beschäftigungen unterwiesen, und nur wenn bei einzelnen Schülern eine besondere Anlage und Neigung zu dieser oder jener Arbeit sich herausstellt, wird der Unterricht mehr auf diese concentrirt und in dieser gründlich betrieben. Besonders wird darauf gesehen, daß die Knaben selbstständig, ohne fremde Hülfe, arbeiten lernen, daß sie ferner mit den Werkzeugen und dem Rohmaterial sorgsam umgehen.

Die solcher Gestalt gefertigten Sachen: Becher, Kästchen, Dosen, Bürsten, Laubsäge-Arbeiten aller Art, geschnitzte Bilderrahmen etc., werden verkauft und der Ertrag davon theils zur Unterhaltung der Werkzeuge, theils zur Anschaffung von Material verwendet, sodaß wenigstens in dieser Beziehung die Schule sich selbst erhält. Die Berichte über den Fleiß und die Anstelligkeit der Kinder lauten sehr günstig; auch versicherte der Director der Anstalt, daß die Schüler durch diese Arbeiten keineswegs in den theoretischen Lehrfächern zurückblieben.

Aehnliche Zeugnisse liegen von den Directoren anderer derartiger Arbeitsschulen im Norden vor. Die Einrichtung dieser Schulen selbst, die Vertheilung des Lern- und des Arbeitsunterrichts etc., ist bei den verschiedenen keineswegs immer die gleiche. Besonders stark betrieben wird der Arbeitsunterricht in der Schule zu Nääs. Bei den Mädchen kommen dort im Winter in der ersten Classe auf fünfzehn Stunden Lernunterricht deren einundzwanzig für Handarbeiten, in der zweiten Classe ist es umgekehrt; im Sommer wird dem Arbeitsunterricht noch mehr Zeit gewidmet. Die Knaben haben sogar neben drei Lern- sieben Arbeitsstunden. Trotz der ziemlich ausgedehnten Arbeitszeit fand der deutsche Besucher der Schule, dem wir diese Mittheilungen verdanken (der Lehrer Hansen), die Knaben wohlaussehend, frisch und munter. Knaben und Mädchen erhalten dort einen Antheil von dem Ertrag ihrer Arbeiten; derselbe wird für sie in Sparcassenbüchern angelegt.

Der „Centralverein für das Wohl der arbeitenden Classen“ in Berlin hat in seiner Zeitschrift „Der Arbeiterfreund“ sehr lehrreiche Berichte deutscher Lehrer (Höhn, Wilski und Hansen) über Beobachtungen veröffentlicht, welche dieselben beim Besuch theils der Lehrerbildungsanstalt des Herrn Clauson, theils der verschiedenen in dieser Richtung thätigen Anstalten in Dänemark und Schweden gemacht haben.

Wie nun verhält sich bisher Deutschland zu dieser im Norden so stark und so nachhaltig auftretenden Bewegung für Einführung der mechanischen Beschäftigungen in den Jugendunterricht? In Folge von Vorträgen, welche der Rittmeister Clauson Kaas 1875 und 1876 an mehreren Orten des nördlichen Deutschlands gehalten (der zu Berlin gehaltene ist gedruckt erschienen unter dem Titel: „Die Arbeitsschule neben der Lernschule und der häusliche Gewerbefleiß.“ Berlin, Simion), entstand 1876 in Berlin ein „Verein für häuslichen Gewerbefleiß“, an dessen Leitung sich Männer wie Gneist, Hammacher, Lippert und Andere betheiligten, dessen eigentlicher Vorsitzender aber Eisenbahndirector Schrader ist. Um dieselbe Zeit nahm in Kiel die dortige Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde die Sache in die Hand, in Bremen der dortige Bildungsverein, speciell aber der durch seine gemeinnützige Thätigkeit überhaupt vielverdiente Dr. A. Lammers. Letzterer machte die von ihm herausgegebene Zeitschrift „Nordwest“ zu einem Organ für diese Bestrebungen. In Hannover wandte sich Superintendent Th. Raydt mit einer gedruckt vorliegenden Denkschrift an das Landesdirectorinm zu Hannover, um dasselbe zu einem Kostenbeitrag für Anlernung von Lehrern in der Clauson'schen Anstalt zu veranlassen, und erhielt von dieser Behörde eine zusagende Antwort. Die landwirthschaftlichen Vereine der Provinz Hannover zeigten gleichfalls ein sehr lebhaftes Interesse für Förderung dieser Unternehmung. Unlängst hat auch die „Gemeinnützige Gesellschaft“ in Leipzig die Angelegenheit in die Hand genommen. In Folge eines in ihrer Mitte von Herrn Dr. Lammers gehaltenen Vortrages über „Handfertigkeit und Hausfleiß“ ward eine Commission niedergesetzt, die sich weiter mit der Frage beschäftigen soll, ob und in welcher Weise der Gedanke einer „Erziehung zur Arbeit“ für die hiesigen Verhältnisse praktisch und nutzbar gemacht werden könne.

Nach alledem steht zu hoffen, daß auch in Deutschland jene Idee immer fester Wurzel schlagen und Verbreitung finden wird, um so mehr, als, wie oben gezeigt, dieselbe eigentlich hier nichts Neues, im Gegentheil schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert vielfach und lebhaft in der Presse und in der Lehrerwelt discutirt worden ist. Vielleicht ergeht es hiermit, wie es bisher mit so vielen Sachen in unserem lieben Deutschland erging, als deutsche Erfindung oder Anregung mißachtet und unverwerthet geblieben, bekommt ein Ding plötzlich ein ganz anderes Ansehen, wird beachtet und erstrebt, sobald es den Stempel ausländischen Ursprungs trägt. Indessen ist es immer noch besser, wir bekommen diese wichtige pädagogische Reform aus zweiter Hand, als daß sie uns abermals verloren geht, und so wünschen wir von Herzen, daß die in Berlin, Leipzig, Hannover, Bremen und anderen Orten gemachten Anfänge zu einer Verwerthung der Clauson'schen Idee nicht erfolglos bleiben mögen.

Allerdings dürfte für uns in Deutschland – und das erkennen auch diejenigen an, welche sich näher mit jenen skandinavischen Bestrebungen beschäftigt haben – der eine Zweck dieser letzteren, die Weckung des Hausfleißes, nicht in gleichem Maße im Vordergrunde stehen. Wir haben keine so überwiegend mit Landbau beschäftigte Bevölkerung, wie sie dort existirt; unsere Winter sind weniger streng, sodaß die Zeit, wo der Landmann gar nichts in seinem Berufe zu thun hätte, jedenfalls hier viel kürzer ist; für städtische und sonstige industrielle Bevölkerungen ist Manches von dem, was der „Hausfleiß“ bezweckt, überhaupt weniger anwendbar. Immerhin könnte es nichts schaden, wenn auch bei uns wenigstens jeder Hausvater nach dem Schiller'schen Spruche: „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“ kleine Reparaturen in der Hauswirthschaft selbst zu machen verstände, oder wenn er zum mindesten so viel praktisches Geschick besäße, um die Ausführung solcher anordnen und die Güte der ausgeführten controliren zu können.

Doch das sind Dinge, die sich von selbst finden werden, sobald nur erst ein Geschlecht herausgebildet ist, welches wieder mehr Achtung vor der mechanischen Arbeit, mehr Lust und Geschicklichkeit dazu hat, als leider jetzt einem großen Theil namentlich unserer sogenannten „gebildeten“ und „hochgebildeten“ Classen beiwohnt – wesentlich in Folge unserer allzu ausschließlich auf geistige, beziehentlich gelehrte Thätigkeit abzielenden Erziehungsmethode. Worauf es vor Allem ankommt, das ist die Herstellung des natürlichen Gleichgewichts zwischen Geist und Körper, Wissen und Können, welches uns leider nur zu sehr verloren gegangen ist und zu dessen Wiedergewinnung auch die Einführung des Turnens allein nicht ausreicht.

Jene vorzeitige geistige Ermüdung der Kinder in den

Schulen, worüber so viele Pädagogen klagen, und deren Folge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_066.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)