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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


niedergelassen und sah einen Augenblick nachdenklich in die Gluth der Schüröffnung hinaus.

„Ich will zuvor ein wenig hinausgehen und nach dem Ofen sehen,“ sagte er, „dann wird's wohl das Beste sein, ich erzähl' Dir, was ich weiß – wenn's auch nicht viel ist und Du darnach so gescheidt bist, wie zuvor.“

Er ging hinaus, und Nannei sah, wie er das Schürloch öffnete, darin lange herum stocherte und die brennenden Scheiter durch einander warf, daß die Funken stoben. Es war, als ob er auch von den Kohlen seiner Erinnerung die Asche abstoßen und sie zu neuem Glühen bringen wollte.

„Bevor ich Dir von Dir selber etwas sag',“ begann er, als er wieder ihr gegenüber saß, „muß ich schon auch ein bissel von mir erzählen. Nannei, ich bin meiner Lebtag' ein armer Teufel gewesen; ich bin auch einer geblieben und werd's bleiben, bis ich in die Gruben hineinfall', aber wenn ich auch nie Gesottenes und Gebratenes besonders viel gehabt habe, Hunger hab' ich doch nie gelitten und hab' alleweil unsern Herrgott einen guten Mann sein lassen. In dem Dörf'l, wo ich daheim war, bin ich oft zu einem Nachbarn, einem Schuster, in den Heimgarten gegangen und habe ihm zugeschaut, wie er die schweren Bauernstiefeln gehämmert, gedoppelt und vernagelt hat; ich hab' Gefallen an dem Handwerk gefunden, hab' es gelernt, bin dann ein paar Jahre als Handwerksbursche mit dem Felleisen auf dem Rücken herumgewandert und – ein ordentlicher Schuhknecht geworden. Unten im Dorf, wo ich auch hinkommen bin, ist damals kein Schuster gewesen; ich hab' meine Alte da kennen gelernt; die Gemeinde hat mich aufg'nommen und heirathen lassen, und so ist der Himmel voll Baßgeigen gehängt. Leider hat sie halt nicht lange gedauert, die Glückseligkeit, und der hinkende Bot' ist nicht ausgeblieben. Einmal ist's Nachts Feuer ausgekommen im Dorf' – ich war nicht der Letzte beim Löschen und Heraustragen. Da ist ein brennender Balken heruntergestürzt und hat mich an der rechten Hand getroffen, daß ich Monate lang wie ein Siech herumgegangen bin, und wie ich zuletzt curirt war, sind mir die zwei Finger steif geblieben – da ist's vorbei gewesen mit der Schusterei, und der Bettelmann war so gut wie fertig.“

Ein schwerer Seufzer rang sich aus der Brust der Zuhörerin; auch der Erzähler mußte einen Augenblick inne halten.

Mit sichtbarer Bewegung berichtete er dann weiter, wie die Noth nun tausend Mann stark bei ihm eingezogen sei, wie das Weib sich als Tagwerkerin bei den Bauern der Umgegend verdingen mußte und ihm selbst nichts übrig blieb, als in den Forst zu gehen, Aeste zu sammeln, Besen zu binden und allenfalls beim Aufklaftern von Holz behülflich zu sein. Das Liebste wäre ihm schon damals gewesen, wenn man ihm gestattet hätte, das Harz von den Fichten und Föhren abzukratzen, Pech daraus zu sieden und Schmiere zu kochen; allein der Förster besorgte, er könnte die Bäume beschädigen und sonstigen Unfug treiben, und weil dieser ein ungünstiges Gutachten abgab, verweigerte der Landrichter standhaft die Bewilligung. So war es immer tiefer und rascher abwärts gegangen; es kam dazu, daß man ihm das Häuschen und die wenigen Geräthschaften und Werkzeuge verkaufte und ihn schließlich mit seinem Weibe in das Gemeinde- oder Hüthaus aufnahm, weil man ihm doch einmal die Heirathbewilligung gegeben hatte, ihn also nicht fortweisen konnte, und weil er sich doch seine Krüppelhaftigkeit durch die Hülfeleistung beim Brand in der Gemeinde zugezogen hatte.

„Das war nun freilich eine Zeit,“ fuhr er fort, „in welcher der Schmalhans bei uns Küchenmeister und Kellner gewesen ist, und oft hab' ich mit aufgehobenen Händen Gott gedankt, daß wir allein geblieben sind und nicht auch ein Häuflein hungriger Kinder um uns herum haben sitzen sehen. Da einmal,“ sagte er tief aufathmend, „einmal am Abend – es war schon völlig Nacht geworden – am Schutz-Engelfest jährt's sich wieder – da sind's just achtzehn Jahre – da haben wir uns gerad' niederlegen wollen, als wir vor dem Hause ein Weinen und ein Jammern und eine menschliche Stimme gehört haben, und wie mein Weib hinausgeht, um nachzusehen, findet sie eine fremde Frau draußen auf dem Boden liegend; die war ganz todtmüde und ohnmächtig gewesen, hat ganz verwirrt daher geredet, noch dazu in einer Sprach', die wir nicht verstanden haben und in der nur manchmal ein einzelnes deutsches Wort vor'kommen ist.

Du weißt, das Hüthaus liegt ziemlich weit vom Dorfe; die Frau hat immer um 'Wasser! Wasser!' gebeten; wir haben ihr also eins gegeben und haben sie dann in's Haus hineingetragen und auf das Bett gelegt, ich aber bin in's Dorf hineingelaufen zum Vorsteher und zum Herrn Pfarrer; denn ich habe gemeint, die Frau wird's nimmer lang machen. Die Zwei sind auch gleich mit mir hinausgelaufen, der Vorsteher schon in der größten Angst, es könnt' eine neue Last auf die Gemeinde kommen. Aber wie wir draußen waren, ist die Frau schon fast in den letzten Zügen gelegen; sie hat nicht mehr reden können, und nur wie sie den Pfarrer in seinem geistlichen Gewande gesehen hat, da hat sie den Mund verzogen, als wenn sie noch lächeln wollt', und hat mit den letzten Kräften die Hand zum Gesicht hinaufgeschoben und das Kreuz gemacht – dann hat sie den letzten Schnaufer gethan, mein Weib aber hat ein kleines Kind auf dem Arm gehabt; das hat sie in ihren Schurz eingewickelt, ein Mäderl mit einem lieben herzigen Gesichtl, aber so schwach, daß es jeden Augenblick zum Auslöschen war. Der Pfarrer hat gemeint, das Kind würde den Morgen nicht erleben, hat ihm die Nothtaufe gegeben, und wir haben ihm den Namen Nannei gegeben, nach meiner guten Alten, die auch so geheißen hat und die in der Geschwindigkeit Gevatter gestanden ist. Das Kind'l, Nannei,“ schloß der Alte, „das wirst Du schon errathen haben, bist Du gewesen, und die todte fremde Frau war Deine Mutter. Am andern Tage ist sie im Freithof eingegraben worden, und weil nichts zum Zahlen da war, gleich im Eck' neben dem Beinhaus – Du kennst den Fleck ja wohl; Du hast mich öfter gefragt, warum ich immer davor stehen bleiben thät'? Ich hab' Dir gesagt, daß mir der wilde weiße Rosenbusch, der dort steht, so gut gefallen thät' – in der Wahrheit aber hab' ich, so oft ich vorbei gegangen bin, an Deine arme Mutter denkt und ein 'Vater Unser' für sie gebet't.“

Die Erinnerung hatte den Alten so ergriffen, daß er inne halten mußte; auch Nannei war auf das Lager gesunken, drückte das Gesicht auf Hand und Arm nieder und weinte bitterlich.

„Am andern Tage,“ begann Kaspar wieder, „ist das ganze Dorf zusammengelaufen und hat Zeter und Mordio geschrieen, daß die Gemeind' ein fremdes Kind auf dem Halse haben müßte; das Kind solle fort; der Landrichter müsse sorgen, daß es anderswo untergebracht werde. Aber der Landrichter hat gesagt, das ginge nicht an; das Kind sei einmal da geboren, und wo es geboren sei, da habe es auch seine vorsorgliche Heimath so lange, bis die wirkliche ausfindig gemacht werde, und so lange müsse die Gemeinde für dasselbe sorgen. Da war nun Feuer im Dach, und der Vorstand wollte das Kind irgendwo in Kost geben, bei armen Leuten, die selbst nichts hatten als die Noth und die einen 'Bettel' dafür empfangen sollten. Aber wie sie nun kamen und den armen Narren holen wollten, da haben wir uns nicht mehr trennen können von dem Kind. Es war so auffallend schnell gerathen und gewachsen; wir hatten es lieb gewonnen und erklärten der Gemeinde, wir wollten es behalten und nichts dafür verlangen, wenn man mir die Erlaubniß zum Harzsammeln und Pecheln geben wollte. Das hat geholfen; das war Allen recht; der Vorstand sagte über Hals und Kopf ja; der Pfarrer war nicht dawider; drum willigte auch der Förster ein, und nun hatte der Landrichter nichts mehr dagegen einzuwenden – Gott tröste sie alle Vier!“ fügte er hinzu, „es thut ihnen allen schon lange kein Zahn mehr weh. Seitdem habe ich mir nun diese Hütte gebaut; da haben wir schlecht und recht fortgehaust, bis mir mein Weib desertirt ist in die Ewigkeit und bis Du herangewachsen bist und mich auch allein gelassen hast.“ –

Nannei war eine Weile zu sehr ergriffen um den Erzähler mit Fragen zu bestürmen; als sie etwas ruhiger geworden war, verlangte sie zu wissen, ob denn keine Nachforschungen stattgefunden und ob gar nichts über die Herkunft der Frau ermittelt worden sei.

„Nichts, nichts!“ erwiderte der Pechler. „Der Landrichter hat sich's angelegen sein lassen und hat in der halben Welt herum geschrieben, aber nirgends ist etwas zu erfahren gewesen. Die Frau hat gar kein Zeichen an sich gehabt, kein Ring'l, kein Amulett, kurz, gar nichts. Mein Weib hat ein einziges Tuch von ihr aufgehoben, das sie um den Hals gehabt hat – das hab' ich in meiner Truhen liegen und will Dir's zeigen. Morgen, wenn's Tag geworden ist, oder wenn Dir einmal darum ist, daß Du es sehen willst.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_044.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)